Teil 2 unseres Interviews mit Pascal Pfannes beleuchtet die theoretischen Hintergründe des Libertarismus.

Zu Teil 1 mit den praktischen Auswirkungen auf die Hochschulpolitik geht es hier.


V: Die Libertäre Liste hat auf ihrer Website einen Text von Elisha Williams geteilt, der inhaltlich stark an die Argumentation von John Locke und dem Libertarist Robert Nozick erinnert. Der muss in seinem Werk ‘Anarchie, Staat, Utopie’ (1974) scheinbar eingestehen, dass die momentane, reale Verteilung maßgeblich durch unfreiwillige Tauschaktionen, also durch Zwang, Betrug etc. zustanden gekommen ist. Müsste daher nicht erst einmal eine grundlegende Neuverteilung erfolgen, bevor eine libertäre Welt wirklich akzeptabel wäre?

Pascal Pfannes: Gegen diesen theoretischen Einwand können wir natürlich gar nicht dagegen argumentieren, weil Eigentum nur legitim ist, wenn es eben durch das genannte Homesteading-Prinzip von Locke (durch Vermengung von körperlicher Arbeit mit unberührten Dingen, die noch niemandes Eigentum sind, werden diese Dinge legitimerweise zu Eigentum des Arbeitenden; Anmerkung der Redaktion) oder durch freiwilligen Tausch, Vererbung oder Kauf erworben wurde, wie von Nozick beschrieben. Ich habe nur persönlich Zweifel, ob man den legitimen Eigentumszustand je wiederherstellen kann, gerade wenn wir an Enteignungen im Dritten Reich denken oder noch prominenter die Enteignungen der Kirche im Mittelalter. Da hat man noch das weitere Problem, dass die Leute schon tot sind. Wem überträgt man das Eigentum dann? Wie teilt man das zwischen den Erben auf? Also theoretisch: Zustimmung. Praktisch, wenn man das einigermaßen sinnvoll machen könnte – ich bin da jetzt kein Experte – auch Zustimmung. Ich habe einfach meine Zweifel, ob man das umsetzen kann.

 

Ist es trotzdem auch legitim, dass man denen, die jetzt nichts mehr haben, nichts gibt und diese dann ohne Eigentum in die neue libertäre Welt starten müssen? Haben sie dann einfach Pech gehabt, wenn sie beispielsweise nicht überleben können? Man könnte sich ja auch vorstellen, dass man alles Einkommen einmal nimmt und an alle gleichviel ausgibt und von da aus können dann alle in libertärem Sinne transagieren, wie sie wollen.

Einerseits kritisiert man die illegitimen Eigentumsaneignungen der Vergangenheit, aber schlägt dann den größten Raubzug der ganzen Geschichte vor, indem man dann jedem erstmal alles wegnimmt und sagt, „jetzt teil ich das mal durch 8 Milliarden“. Zumal da die Frage aufkommt: Wer nimmt das dann jedem Weg? Das läuft ja dann darauf hinaus, dass es eine weltweite Institution geben muss, die die militärische Stärke hat, jedem sein Eigentum wegzunehmen und das dann umzuverteilen und das klingt nach einer sehr viel größeren Horrorvorstellung als die aktuelle Eigentumsverteilung.

Wenn man in einem individuellen Fall feststellen kann, wer dieses illegitime Eigentum jetzt hat und von wem dieses illegitime Eigentum weggenommen wurde, dann kann natürlich praktischerweise eine Herstellung des eigentlich legitimen Eigentumszustandes durchgeführt werden. Aber das ist bei 8 Milliarden Menschen mit noch viel mehr Fällen in der Vergangenheit bis an den Anfang der Menschheitsgeschichte nicht möglich. Theoretisch alles wünschenswert, praktisch wäre das dazu notwendige Mittel – ein weltweiter totalitärer Staat – nicht akzeptabel.

 

Nochmal zu dem Gedanken von Locke bezüglich der ursprünglichen Eigentumsannahme: Wieso sollte eine bloße Logik à la „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ das Recht auf Eigentum legitimieren können? Man sollte vor allem bedenken, dass es irgendwann Menschen gibt, für die einfach nichts mehr da ist.

Wenn man sich ein Beispiel rausnimmt: Man hat ein Dorf und ein Bewohner findet einen neuen Acker – ganz primitiv und theoretisch formuliert, sonst wird das viel zu kompliziert. Ein Bauer aus dem Dorf läuft einfach ein bisschen weiter als alle anderen, findet den Acker und sagt dann: „Den Acker hab ich als erstes gefunden und baue hier jetzt Getreide an“. Er vermischt also seine Arbeit mit dem unberührten Land und somit kommt das Homesteading-Prinzip zum Tragen. Wenn dann das restliche Dorf kommt und auch was von dem Land haben will, was passiert dann? Die Alternative zum Homesteading-Prinzip ist, dass jeder Mensch kommt und sagt „Hey, du hast da jetzt das Haus drauf gebaut, aber eigentlich gehört ja die Erde allen zusammen und deswegen gib doch jetzt mal 3 Prozent der Mieteinnahmen ab“. Und so würde es ja dann letztendlich bei allen Sachen laufen. Das ist sowohl praktisch unmöglich umzusetzen, denn dann müsste ja jeder ein achtmilliardstel Land besitzen, und theoretisch auch vollkommen ineffizient, wenn man jetzt einem Unternehmer, der sich gut am Markt behauptet, 99 Prozent des Unternehmens wegnimmt und das dann allen anderen Menschen gibt und diese als neue Teileigentümer beim Unternehmen mitmachen lässt. Das sind immer einzelne Menschen, die mit Eigentum einen Mehrwert schaffen und dadurch ja auch andere Menschen durch Produkte bereichern.

 

Heute sind wir ja aber eben nicht mehr an einer Stelle, wo man mal eben einen neuen Acker findet; wir leben heute in einer anderen Realität. International agierende Konzerne besitzen unglaublich viel und manche Menschen sind unglaublich reich. Wir haben also einen begrenzten Kuchen und manche haben riesige Stücke und andere haben Stücke, mit denen sie nicht überleben können.

Diese Argumentation unterliegt der vollkommen falschen Vorstellung, dass es einen Kuchen gibt, der eine feste Größe hat. Wenn der Kuchen aus Vermögenstiteln besteht, dann gibt es angeblich wenige Menschen, die besitzen dann so und so viel Prozent. Zumindest gibt es da Studien, die das behaupten. Ich kann das nicht verifizieren, ich gehe da einfach skeptisch dran. Beim Boden ist das natürlich die Realität: Der Grund und Boden ist begrenzt. Was man aber nicht sieht bei dem Kuchen an Vermögenstiteln: Da sind auch Unternehmen dabei, die durch ihren Ressourcenverbrauch und ihren Output an Produkten den Kuchen nicht an gleicher Stelle halten, sondern im Produktionsvorgang den ursprünglichen Ressourcen Wert hinzufügen. Das Endprodukt ist deutlich teurer als die Ressource am Anfang und deswegen ist dieser Kuchen nicht statisch fest. Jeder Mensch, der auf die Welt kommt, ist aufgrund seiner Bildung und seiner Talente Humankapital und schafft sozusagen mit dem Einsatz seines Humankapitals auf dem Markt dann als Arbeiter in Unternehmen mehr Wohlstand . Es ist nicht der Fall, dass es begrenzte Vermögenswerte gibt, und wenn man die jetzt nicht den Reichen wegnimmt und den Armen gibt, dann werden diese Armen immer arm bleiben. Sondern man kann genauso durch eigene Leistung aufsteigen, dann wird der Kuchen eben größer.

 

Tomasz Froelich ist Autor bei einem Magazin namens „eigentümlich frei“, welches ihr auf eurer Website auch verlinkt habt und den ihr kürzlich zu einem Vortrag eingeladen habt. Auf der Website von „eigentümlich frei“ findet man unter anderem Artikel, welche besagen, dass die Klimaerwärmung Propaganda ist und dass „der linkssozialistische Gegner das Gelände weltanschaulich-propagandistisch sowie judikativ vermint hat und das deutsche Volk durch jahrzehntelange Konditionierung bei dem Begriff „rechts“ zusammenzuckt wie ein geprügelter Hund.“ Ist das Magazin unter diesen Umständen als Partner haltbar? Inwiefern passt der Bezug zur Gruppe des „deutschen Volkes“ zu einer libertären Position, die Staaten auflösen will und Menschen als Individuen begreift, statt als Teil einer Gruppe oder eines „Volkskörpers“?

Grundsätzlich wird eigentümlich frei auf unserer Linkliste auf unserer Homepage genannt und da präsentieren wir verschiedene liberale und libertäre Quellen, vor allem aus dem Internet und im deutschsprachigen oder teilweise auch englischsprachigen Raum, die mindestens in Teilen unsere Ideen verbreiten. Ich habe nicht jeden einzelnen Artikel in „eigentümlich frei“ gelesen und ich fühle mich auch nicht für jede einzelne Äußerung darin verantwortlich. Wir haben das in unserer Linkliste, weil wir einer entsprechend großen Mehrheit der dort getroffenen Aussagen zustimmen. „eigentümlich frei“ geht eher in die paläolibertäre Richtung, aber wir haben genauso Sachen verlinkt, die in die linkslibertäre Richtung gehen und natürlich gibt es da noch unterschiedliche Strömungen innerhalb des Libertarismus, auf die wir uns nicht festlegen, weil wir den Studenten jeden möglichen Zugang, den sie theoretisch zum Libertarismus finden können, offen stehen lassen und nicht schon die Hälfte ablehnen, weil sie einen Zugang zum Libertarismus finden, den wir ablehnen würden.

 

Also auch einen rechtspopulistischen oder nationalistischen Zugang?

Zum Thema Klimaerwärmung: Ich bin kein Klimaforscher, deshalb kann ich da nicht definitiv sagen, was die richtige Sichtweise ist und was die falsche. Aber generell ist es schon auffällig, dass die Forschungsergebnisse, die die wissenschaftliche These des menschengemachten Klimawandels bekräftigen, gefördert werden und wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass diese These nicht stimmt, dann gibt es eben keine staatlichen Förderungsgelder und das führt natürlich dazu, dass Menschen rein rational richtig handeln und eher zu dieser These neigen. Aber das kann man sehen, wie man möchte und wir stehen zu einer offenen Forschung ohne staatliche Interventionen.

Beim zweiten Punkt ist die Frage, wie man das Rechts-Links-Spektrum sieht. Wenn man das jetzt als deutsche Rechts-Links-Spektrum sieht, wo am rechten Ende die Nazis sind und am linken Ende die Kommunisten, dann wäre ein Libertärer auf diesem Spektrum gar nicht vertreten. Aber wenn man das jetzt amerikanisch sieht, wo ganz links die Kommunisten stehen und je weiter man nach rechts kommt, desto stärker wird der freie Markt befürwortet, dann kann man natürlich den Libertarismus in die andere Ecke packen und ich denke aus diesem Verständnis von rechts und links folgt das Zitat. Deswegen wird dort von linkssozialistisch geschrieben, wobei wir den Sozialismus natürlich ablehnen, solange er nicht freiwillig ist.

 

Noch eine ähnliche Frage, diesmal geht es um Oliver Janich. Dieser schreibt unter anderem für neurechte Verlage, bezeichnet die AfD als wählbar und mutmaßt in seinen Videos zum Beispiel darüber, dass die deutsche Regierung Anschläge auf die eigene Bevölkerung plant oder dass der Tod des Künstlers Prince ein rituelles Opfer war, weil dieser „zu viel wusste“. Wie steht ihr dazu? Ist Janich vor diesem Hintergrund für Links auf eurer Website geeignet?

Oliver Janich ist eine bekannte Persönlichkeit der libertären Szene, die, gerade wenn es um die Theorie des Libertarismus geht, sehr viel praktisch geleistet, diese sehr weit verbreitet und dadurch seine Bekanntheit erlangt hat. Deswegen sehen wir es als legitim an, ihn als möglichen Zugang zum Libertarismus unseren Websitebesuchern als Wahl zu geben, genauso wie wir eher linkslibertäre Sachen dort verlinken.

 

Eigentum und die negative Freiheit von Zwang ist ja das Zentrale beim Libertarismus. Wie ist das jetzt zum Beispiel in der denkbaren Situation, in der jemand überhaupt gar kein Eigentum hat außer seinem eigenen Körper? Wenn diese Person jetzt auf einen Arbeitgeber trifft, ist das dann nicht Zwang, weil die Person keine andere Alternative hat als für den Arbeitgeber zu jeder Kondition zu arbeiten, weil sie ja nicht sterben möchte?

Egal welcher politischen Philosophie man jetzt anhängt, es herrscht immer der natürliche Zwang, dass man zur Selbsterhaltung essen, trinken etc. muss. Die Frage ist nur, und das sind die Unterschiede zwischen diesen Ideen, wie man an diese Dinge kommt, um zumindest seinen Körper zu erhalten. Jeder Mensch hat ja das Eigentum am eigenen Körper und das wirft man eben auf den Markt und im unqualifizierten Bereich ist es ja nicht die Realität, dass man nur einen Anbieter hat, der dann quasi das Monopol hat. Gerade wenn man unqualifiziert ist – Putzen, irgendwelche Hilfsjobs – da gibt es dann dutzende Arbeiter. Die Lohnentwicklung entsteht zwischen dem einen Menschen und den ganz vielen Unternehmen, die diese Arbeitskraft nachfragen.

 

Aber es gibt doch unglaublich viele niedrigqualifizierten Personen. Das hatten wir ja auch in der industriellen Revolution: Sie werden eben nicht unendlich nachgefragt, was vor allem durch die Technisierung und Digitalisierung vielleicht noch weiter zunimmt. Was sagt man dann diesen Personen, die heute von sozialen Sicherungssystemen aufgefangen werden, wenn eben nicht für jeden ein Arbeitsplatz vorhanden ist?

Das erste Argument ist, dass man heute in der Wirtschaft einen Interventionismus hat in Form von Regulierungen, Vorschriften und in anderer Form durch Steuern auf die Unternehmenstätigkeit. Mit dem Wegfall dieser Steuern hätten die Menschen erst einmal mehr Geld, das heißt, sie müssten weniger Stunden arbeiten, um auf den gleichen Nettolohn zu kommen. Durch den Wegfall von Vorschriften wäre es einfacher, Arbeit anzubieten, ein Unternehmen zu starten oder zu expandieren. Deswegen würde in meinen Augen der Pool an Arbeitsstunden, der im Niedriglohnsektor aktuell vorhanden ist, durch eine Entstaatlichung zunehmen. Es hätten mehr Menschen die Möglichkeit zu arbeiten, insofern sie eben die niedrigen Anforderungen des Niedriglohnsektors erfüllen. Für diejenigen, die in diesem Fall trotzdem keine Arbeit finden würden, gibt es grundsätzlich Arbeitsversicherungen….

 

… die sich die Person aber vermutlich nicht leisten könnte….

Das kommt natürlich auf den Fall an. Aber gerade durch den Wegfall von Steuern und Abgaben haben die Menschen natürlich mehr Geld. Wenn dann der Staat nicht mehr den Sozialstaat finanziert und man dem Bettler nicht mehr sagen kann, „Hey, geh doch zum Amt, da kriegst du dein Hartz IV und dann ist für dich gesorgt“, dann trifft das ja wirklich das eigene Gewissen. Und dann wird man bei der eigenen Handlung in der Konsequenz wirklich sehen, dass dort niemand mehr ist, auf den das einfach abgeschoben werden kann. Sondern ich muss das mit meinem eigenen Gewissen wirklich vereinbaren und gerade dieser Gewissensdruck wird wohl mehr Menschen zu einer Spendenbereitschaft bringen.

 

Wenn es zu so einem Einzelfall kommt, dann müsste der Libertarist sagen, „das ist richtig“. Wie kann man vertreten, dass jemand stirbt, weil er kein Eigentum hat, weil ihn niemand haben will, weil ihm einfach niemand Geld gibt oder ihn keiner mag?

Der Naturzustand ist so, dass jeder erst einmal das Problem hat, sich selbst zu unterhalten. Die Befürwortung für den Libertarismus ist nicht nur moralischer Natur, weil es einfach nicht moralisch ist, Gewalt gegen andere zu initiieren, sondern auch praktischer Natur: Wir sind der Meinung, dass ein libertäres System im Gegensatz zu allen anderen politischen Philosophien den meisten Wohlstand für die meisten Menschen schaffen kann. Vor diesem Hintergrund sehen wir, dass die konsequente Verteidigung von Eigentumsrechten ohne Kompromisse zu mehr Freiheit und Wohlstand für alle Menschen führt als ein System der Umverteilung, des Interventionismus und der Gewalt. Wenn man das libertäre System vergleicht und sagt, in dieser Welt ist jetzt irgendwie der Fall aufgetreten, dass einer sich nicht selbst unterhalten kann und ihm auch niemand helfen will, warum auch immer das ist natürlich zu bedauern, aber es ist immer noch dem staatlichen System vorzuziehen. Denn ein Staat schafft alleine durch seine Existenz, also dadurch, dass er Steuern einzieht und reguliert, sehr viel mehr Leid. Weil hinter jedem Gesetz, hinter jeder Steuer, hinter jeder staatlichen Regulierung die logische Konsequenz steht, dass die Polizei kommt, wenn du legitimerweise dein Eigentum verteidigst. Dass die Polizei dann auf dich schießt. Und letztendlich bedeutet das, dass staatliche Gewalt bis zur letzten Patrone durchgesetzt wird. Im Vergleich zu diesem geschilderten Fall ist das libertäre System immer noch wesentlich humaner und bringt weniger Leid, als jedes staatliche System das je schafft.

 

Interview von Eric Hartmann