Meine erste Begegnung mit Julia Engelmann dürfte – wie bei ziemlich Vielen – drei Jahre her sein. „Eines Tages Baby“ war damals ein virales Video. Viele haben es geteilt. Ich hatte damals keinen Facebook-Account, aber eines Nachmittags kam der Vater meines damaligen Freundes mit seinem Laptop in die Küche und meinte, er müsse uns unbedingt dieses Video zeigen – diese Julia sage einfach nur die Wahrheit.

 

Was ich von dem Text hielt kann ich heute nicht mehr sagen. Ich weiß nur noch, dass ich ihre Aufregung als zu gespielt wahr nahm und dass mich die zu direkt übersetzten Lyrics des Asaf-Avidan-Songs störten. Ich glaube, dass ich dachte, sie hat schon Recht. Aber tief berührt war ich nicht, sonst würde ich mich daran erinnern.

Meine zweite Begegnung war schon etwas weniger versöhnlich. Ich stolperte damals über ein Interview mit ihr, das damals in der NEON veröffentlicht wurde. Sie wurde mir unsympathisch und ich habe mich nicht mehr mit ihr beschäftigt.

 

Meine dritte Begegnung mit ihr ist noch gar nicht so lange her. Ich stieß auf ihr sogenanntes Lied-Gedicht namens Grapefruit. Darin heißt es Dinge werden wahr, wenn man sie oft genug sagt. Sie soll es geschrieben haben, nachdem sie auf einer Party einen sehr traurigen Menschen kennen gelernt haben soll. Der gesamte Text erinnert mich ein wenig an das Musik-Video zu Touch a New Day von Lena Meyer-Landrut. Ich frage mich ehrlich gesagt, wie so ein Text jemanden weniger traurig machen soll und eigentlich finde ich ihn ein wenig makaber. Es wirkt, als wäre es tatsächlich eine Lösung, seine Gefühle zu ignorieren, sie zu verdrängen. Und darauf bauen viele ihrer Texte auf. Zweifel, Sorgen, Traurigkeit – Baby, lass mal vergessen. Denn das ist doch das Einfachste, oder?

 

Mit Verdrängung ins Glück?

Ich weiß nicht, ob es schon immer so ist, oder ob ich es jetzt verstärkt wahrnehme, weil ich älter geworden bin, aber diese Wohlfühlblase, die auch Julia Engelmann vermittelt, scheint auf jede Altersklasse eine hohe Anziehungskraft auszuüben. Schließlich schiebt man damit den ganzen negativen Kram von sich weg. Aus den Augen, aus dem Sinn – heißt es ja so schön. Und Menschen, die sich beschweren? Ach, die sind ja eh komisch, die sind nicht erwachsen, die haben im Leben nichts verstanden, schließlich ist ein Lächeln die beste Medizin, das Wundermittel für alles, meint ihr nicht?

 

Man kann es allerdings Niemandem verübeln. In Zeiten von Krieg, Hass und Unsicherheit sucht man nach etwas Einfachem, einer scheinbaren Lösung. Manche wählen konservativ, wieder andere fühlen sich durch eine Aneinanderreihung von Kalendersprüchen bestätigt. Und Julia Engelmann erfüllt nun mal dieses Einfache, dieses „erfrischend Normale“, wie man gerne mal so schreibt. Schließlich ist sie wie du und ich. Sie hat nichts Rebellisches, nichts Schrilles, sie fällt nicht auf. Es ist, als würde sie uns alle in unserem Sein bestätigen, sie drückt genau die richtigen Knöpfe. Und genau das ist das Problem. Beim genaueren Hinsehen, oder in dem Fall Hinhören, bemerkt man diese künstliche Blase. Das Negative wird nicht aufgearbeitet, es wird verdrängt. Man kann das gut finden, aber gesund ist es nicht.

 

Natürlich muss nicht jeder Text gesellschaftskritisch sein und voller Weltschmerz triefen, ein Text darf auch voller Humor, Leichtigkeit und Lebensfreude sein. Aber das bekommen andere Slammer durchaus besser hin. Und das, ohne Menschen beiseite zu schieben, die oft unerträglich traurig und negativ sind. Die es sogar schaffen, diese Menschen für ein paar Minuten zu erleichtern und ihnen eine Sicht auf Dinge zu geben, die sie so noch nicht in Erwägung gezogen hatten. Und das, ganz ohne durchkalkuliert und durchgestylt Knöpfe zu drücken.

 

Kurz nachdem ich gebeten wurde diesen Text zu schreiben, war ich beim Poetry Slam im E-Werk. Ich habe gelacht, nachgedacht, ich war berührt, erstaunt und begeistert und manche Aussagen haben mich gestört. Und irgendwo zwischen den Auftritten dachte ich an Julia Engelmann. Und irgendwie war ich ein bisschen traurig. Da spielen Slammer so talentiert mit Aussagen und Sprache und bekommen nicht einmal die halbe Aufmerksamkeit. Trotzdem konnte ich am Ende des Abends meinen Frieden finden: Rita Apel gewann. Und bei jedem ihrer Texte habe ich mir gedacht: So hat das wirklich noch keiner gesagt.

 

Und irgendwo war es auch ein Funke Hoffnung. Ja, einige wollen eine Scheinblase, aber nicht jeder – und davon sogar Viele. Danke dafür.

 

 

Von Joana Hammerer