Ich soll einfach die Treppe runter zu Apartment Nummer 1 – ziemlich unspektakulär. Als Veranstaltungsort war einfach „private Wohnung“ angegeben. Ich bin neugierig.

Margret (li.) und Nora (re.). Foto: Arena/S’Zäddala

 

Das richtige Haus habe ich auf jeden Fall gefunden, denn ein Mädchen auf dem Klappstuhl hat mir an der Eingangstür einen Zettel und die Anweisungen gegeben, und mir mein Ticket aus der Hand genommen.

Die Beschreibung von Nora Scherers Inszenierung „date and rate“ kann man ohne schlechtes Gewissen als kryptisch bezeichnen. Als Gegenstück zu den sozialen Netzwerken, in denen das eigene Privatleben bewusst geschönt inszeniert und zur Schau gestellt wird, will Nora uns in ihren tatsächlichen Alltag mitnehmen – ohne die Filter des Internets, der 30-Sekunden-Stories und der Möglichkeit des nachträglichen Bearbeitens oder Löschens. Ich war skeptisch und konnte mir – zaghaft formuliert – nicht vorstellen, wie das ablaufen würde.

Um niemanden die Vorfreunde auf „date and rate“ zu nehmen, bleibt genau diese Frage hier auch ungeklärt. Nur so viel: Als ich nach 14 Minuten die Treppenstufen zur Haustür wieder hinaufsteige, begleitet mich das Gefühl, dass ich hier gerade etwas erlebt habe, das ich schon kannte. Ganz kurz, aber doch viel intensiver, bin ich eingetaucht in ein Leben. Als hätte ich durch meinen Instagram-Feed gescrollt und gestoppt, weil mir ein Foto gefällt. Kurzer Halt, kaum Bildunterschrift, schnell noch ein Kommentar zu einem Leben, in das ich nur kurz den großen Zeh gehalten habe. Wie das zu kalte Wasser, hat mich Noras Handywecker zum Rückzug gezwungen – ein kurzer Blick aufs Profil, Zurück-Taste, weitergescrollt – und ich stehe wieder vor der Haustür.

Nach nur wenigen Minuten habe ich zu Nora eine Verbindung aufgebaut. Absurd irgendwie, aber warum fühlt sich das so vertraut an? Ich kenne sie doch gar nicht. Ich muss verwirrt an alle Blogger, Instagrammer und Youtuber denken, denen ich seit Jahren folge und die ich definitiv besser kenne und über die ich besser Bescheid weiß als über Nora. Aber stimmt das eigentlich? Wenn ich ehrlich zu mir bin, kenne ich von allen gerade erwähnten NUR Nora. Ich habe sie kennengelernt, sie umarmt, mit ihr gelacht und Zeit verbracht.

Natürlich kenne ich sie nicht gut, aber das, was ich gerade erlebt habe, war wirklich echt. Nicht nur das: Sie hat mich auch kennengelernt, richtig persönlich. Zwischen uns war kein Display oder Bildschirm, kein Daumen hoch nach drei Tagen, sondern richtige Interaktion – ziemlich altmodisch. Ich fühle mich trotzdem gut dabei, als ich ihre Inszenierung bewerte. Ja, komplettiert wird die Erfahrung durch den Zettel, den ich am Anfang von dem Mädchen auf dem Klappstuhl bekommen habe. Ich soll noch ein paar Kreuze setzen und Smileys verteilen – wie im Netz. Vielleicht suche ich Nora doch noch auf Instagram.

 

Termine “date and rate”:

Freitag, 8.6. sowie Samstag, 9.6. / 11-18 Uhr / Private Wohnung (Hindenburgstraße 38a), Nora Scherer

7, 14, 21, 28, 35 oder 42 Min. / Anmeldung erwünscht: kl@arena-festival.org

Samstag 18:30 Uhr: “date and rate” – Gegenüberstellung im Festivalzentrum (Hauptstraße 55)

 

Von Margret Gareis für S’Zäddala von ARENA

 

“S’Zäddala” am Freitag: https://issuu.com/arena-festival/docs/vorschau_02

Vom Donnerstag, den 7. Juni bis zum Sonntag, den 10. Juni veröffentlichen wir jeden Tag einen Artikel aus dem an jedem dieser Tage erscheinenden “S’Zäddala” des Arena-Festivals (Infos zu unserer Kooperation findet ihr hier). Außerdem veröffentlichen wir den Link zum ganzen “S’Zäddala”.