Unruhe und Ruhe, Spannung und Entspannung – alltägliche Empfindungszustände? Wie gehen wir damit eigentlich um und ist es uns möglich, das Phänomen des Unruhezustandes einfach einmal auszuhalten, um zu sehen, was dahinter steht?

 

Das sind Fragen, mit denen sich die Performancekünstlerin Mareike Buchmann, die die Initiatorin des Stückes „Die Unruhe“ ist, beschäftigt. Umgeben von einer Atmosphäre aus Musik, Licht und Metaphern nimmt sie uns mit auf eine Reise – und konfrontiert mich und vielleicht auch die anderen Besucher*Innen mit eigenen Unruhezuständen.

Experimentell und intuitiv – so beschreibt sie unter anderem die Performance und auf diese Weise versuche nun auch ich, das Interview und meinen persönlichen Eindruck des Stückes zu artikulieren. Inspiriert wurde die Künstlerin anfangs vom Restless-Legs-Syndrom – der Name spricht eigentlich schon für sich. Es handelt sich dabei um nervlich bedingte Unruhezustände: „Interessant ist, dass der Körper anscheinend die Ruhe braucht, um dafür sensibel zu werden, die Unruhe wahrzunehmen.“

Mareike erzählt davon und wie sie das auf die Idee zum Stück gebracht hat: „Irgendwann habe ich angefangen, darüber nachzudenken, was das eigentlich für eine Unruhe ist und das wurde für das Stück eigentlich mehr zu so einer Metapher, um der Unruhe in der Ruhe zu begegnen.“ Eine sehr gelungene Metapher, die sich in der die Performance begleitenden Musik und im Kostüm wiederfinden lässt.

Die körperliche Verbildlichung der Künstlerin ist unheimlich ausdrucksstark. Die vertraute Basis der Mitwirkenden, die teilweise schon sehr lange zusammen arbeiten, wird deutlich spürbar. Auf die Frage nach dem Entstehungsprozess antwortet die Performerin: „Das Gesamte lässt sich nicht denken, das muss man ausprobieren und so ist das Stück für Stück entstanden. Es gab die Instanz, dass es für mich stimmig sein musste und der Rest ist dann aus der Intuition entstanden. Da war das Material, da war das Konzept und dann irgendwann wusste ich, was da kommen würde.“

Diese Art, etwas entstehen zu lassen – seien es Empfindungszustände eines Körpers oder Gedankenkonstrukte – werden durch das Spiel und die Bildräume auf irrwitzige Weise auch auf den/die Zuschauer*In übertragen. Die Performance soll nicht biographisch wirken und „keinen kognitiven, erzählerischen Hintergrund haben, sondern einfach ein intuitiver Prozess sein.“

Die meisten von uns leben oft nach dem Prinzip der „Ablenkung von der Ablenkung von der Ablenkung, anstatt sich dieses Erdbeben mal anzugucken, was das eigentlich ist.“ Aushalten. Nicht ablenken. Das Erdbeben der Unruhe, das während des Stückes immer wieder auf einen zukommt und gefolgt wird von Ruhezuständen und damit in seiner Verworrenheit doch in vollkommener Klarheit das Prinzip unseres Kosmos widerspiegelt. Der Körper der Performerin drückt all dies von Bild zu Bild aus und ist doch nie nur das Eine von beiden. Verworrenheit und Klarheit – zwei weitere Gegensätze, die sich wiederum ergänzen.

Davon ausgehend komme ich zu den nächsten Gedanken, die ich mir über das Stück mache. Skript oder Improvisation? Erneut eine facettenreiche Antwort – eine Harmonie aus beidem. „Mirko mischt die Stücke live und auch das Licht ist immer ein bisschen anders und ich nehme mir auch die Freiheit je nach Stimmung, wie ich auch das Publikum wahrnehme. Die Reihenfolge ist festgelegt, aber innerhalb der einzelnen Bilder ist eigentlich Freiraum – das Ganze ist wie ein Organismus, wie ein Nervenkostüm, das sich gegenseitig irritiert, jedoch besteht gleichzeitig ein riesiges Vertrauen zwischen uns und wir wissen, was passiert, aber gleichzeitig wissen wir nicht, wie es passiert.“ Passender könnte die Beschreibung der Künstlerin nicht sein.

Die Vertrauensbasis der Mitwirkenden beeindruckt mich sehr und das nicht zuletzt, als die Sprache auf das Kostüm kommt. In vielen Gesprächen entstanden die Ideen, die konkret waren – aber auch wieder nicht. Ebenfalls ein Versuch, Empfindungen und Fantasien zu artikulieren, etwas zu verbildlichen, was eigentlich ganz tief in einem schlummert.

Der Versuch, ein „Nervenkostüm“ zu tragen und trotzdem etwas Transformatives zu haben – in rot, monochromem rot: das sollte es sein. Mareike verließ sich auf die Kostümbildnerin Julia, die die „Kleidung“ anfertigte: „Ich hab ihr von Anfang an komplett vertraut und wusste auch: “Sie macht da was Tolles”. Als ich das Endprodukt gesehen habe, war es genau das, was ich wollte, und ich hätte es niemals so beschreiben können.“

Geht es auf dieser Reise nicht auch irgendwie darum? Einen Versuch, etwas zu visualisieren und zu artikulieren, dabei sich und vor allem seiner eigenen Intuition und der anderer zu vertrauen? Unruhezustände anzusehen und der Ruhe Platz zu geben, die irgendwann folgt? Das waren meine Gedanken über „Die Unruhe“. Mareike dazu: „Eben darüber nachzudenken fand ich spannend und auch tatsächlich diese Metapher, dass etwas unter der Haut ist und dass man nicht sehen kann, wo es anfängt und dann ist es aber plötzlich da und es hat sich etwas verändert. Ein ursprünglicher Zustand ist in Unordnung gebracht. Was bedeutet es, das anzuschauen und auch auszuhalten?“ Inspiriert vom Restless-Legs-Syndrom und übertragbar auf unzählige weitere Zustände.

Nach 70 Minuten kehre ich von meiner Reise zurück und bin nachhaltig beeindruckt, wie es das Zusammenspiel aus Musik, Licht und Bewegung geschafft hat, mich so wechselhaft und doch ruhig in meiner eigenen Gedankenwelt versinken zu lassen. Ein sehr inspirierendes Stück. Das Interview schließen wir mit dem gemeinsamen Konsens, dass es auch einfach Dinge gibt, die sich nicht in Worte fassen lassen. Dinge, die man auch einfach mal für sich empfinden kann und trotzdem irgendwie mit anderen teilen kann. Klarheit und Irritation. Stille und Lärm. Wunderbar greifbar gemacht durch Mareike Buchmanns künstlerischen Ausdruck.

 

Von Louisa Behr für S’Zäddala von ARENA

 

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