Ein Zirkusseminar? Clown studieren? Ja, das gibt’s! Die Teilnehmer*innen des Zirkusseminars, das im Juni an der FAU stattfand, erzählen euch in diesem Gastbeitrag, wie das aussieht.

Vor dem Hintergrund der Kulturgeschichte des 1768 in seiner ‚traditionellen‘ Form ins Leben gerufenen Manegenspiels, seiner Ästhetik und intermedialen Konstituenten untersuchte das Kompaktseminar „Zirkus & Fiktion“ (7. bis 9. Juni 2018) die Affinitäten zwischen Zirkus und Literatur. Ziel war es, zu ergründen, wie das Manegenspiel mit seiner primär sprachlosen Kunst und Ästhetik narrativiert wird und welche poetologische Bedeutung ihm zukommt; welche Erscheinungs-formen der Zirkus in der Literatur und in anderen Medien bereithält und wie sie sich charakterisieren lassen. Mit der Herausarbeitung der kulturellen und ästhetischen Funktionen der Manegenkünste und ihrer Protagonisten (insbesondere Clowns) widmete sich die Veranstaltung letztendlich der Untersuchung und Bestimmung der kulturellen und intermedialen Relevanz der Kulturraumverdichtung Zirkus.

Zirkusgeschichte(n): Ein Phänomen stellt sich vor

Am ersten Tag des Seminars wurde ein Überblick über die Geschichte und Definition der Manegenkünste

Das Seminar beginnt…

erarbeitet, um Wurzeln und Ursprung der zu behandelnden Thematik begreifbar zu machen. Von Philip Astley (18. Jahrhundert), ging es über P.T. Barnum (19. Jahrhundert) – der auch die folgenden Tage immer wieder als eine Art zirzensischer Archetyp oder Grundfarbe im Zirkuspanorama in Erscheinung treten sollte – und anderen für die Entwicklung und Verbreitung des Zirkus wesentlichen historischen Protagonisten zur Hochphase der Manegenkünste um 1900. Von dort wurde ein Blick auf die Produktivität populärer Unterhaltungsformen für die Avantgarden geworfen und schließlich wurden die Entwicklungen des neuen und zeitgenössischen Zirkus seit den 1970er Jahren untersucht – und damit die vielfältigen Facetten, die dieses internationale Kulturphänomen bereithält. Theoretische und literarische Texte zur Wirkung des Zirkus, sowohl auf Künstler und Dichter, als auch auf andere Unterhaltungs- und Kunstformen der Jahrhundertwende wurden herangezogen, um sich die Präsenz, Vielseitigkeit und Bedeutung des Zirkus zu vergegenwärtigen.

„Dieses Seminar zeigte mir, dass Zirkus überall zu finden ist, nicht nur in der Manege!“
– Corinna Köhler

So offenbarte sich, dass und wie stark sich die russischen Avantgarden von den Körperkonzepten, Bewegungsroutinen und der Zirkusästhetik inspirieren ließen, welche durchaus als virtuos-mechanisch wahrgenommen und kreativ weitergedacht wurde. Unkonventionelle Körperkonzepte – wie sie beispielsweise sogenannte Freakperformer verkörpern, die in Zirkussideshows auftraten –, ambivalente Komik und (un-) menschliche Perfektion wurden auch als Ingredienzen zirkusspezifischer Ästhetik an historischen Beispielen aus Westeuropa in Text und Film sowie in zeitgenössischen Aktualisierungen untersucht. Spannend war der Vergleich mit literarischen Werken, die in ihrer Darstellung von Zirkuswelten Zirkuscharakteristika aufrufen, rekonfigurieren und weiterschreiben (beispielsweise Thomas Manns Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“). Dass Zirkus, und zwar Flohzirkus im Spezifischen, als transzendierende, d.h. grenzüberschreitende Figur gedacht werden kann und einen kaleidoskopischen Blick nicht nur heraufbeschwört, sondern auch selbst verkörpert und inszeniert, verdeutlichte schließlich Frau Dr. Aura Heydenreich (FAU) in ihrem Gastvortrag zu E.T.A. Hofmanns „Meister Floh“.

„Dieses Seminar veränderte mein Bild vom Zirkus – was ich dachte zu glauben, muss neu geordnet werden.“  – Vera Walberer

„Wer hätte gedacht, dass zirzensische Romane wie Geek Love oder The Unusual Life of Tristan Smith Motive des Zirkus auf solche Weise übernehmen, weiterführen und ihrerseits überzeichnen, dass sie die dem Zirkus eigene Hyperbolik als Schreibweise in die Literatur übertragen.“

„Vor dem Seminar erschien mir der Zirkus als Institution für sich, als eine eigene Sphäre der Unterhaltung. Ich habe gelernt, dass diese Abgrenzung nicht ganz so einfach ist und
sich zirzensische Elemente in allen möglichen Bereichen von Literatur, Theater und Film finden!“ – Philipp Meyer

(Un-)Lustig? – Die Ambivalenz des Zirkusclowns

Die Clownmaske unter der Clownmaske – „The Dark Knight“

Clowns und die sie auszeichnenden Qualitäten stellten den Kerninhalt des zweiten Tages dar – wobei vor allem herausstach, dass der Clown in der Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts das Menschsein dahingehend problematisierte, dass er sich transgressiv gegen Realitätsgrenzen und gesellschaftlich akzeptierte Normen positionierte. Besonders die gewalttätige und teils auch bestialische Grenzüberschreitung war dem Clown als Prototyp der Entmenschlichung und des Artifiziellen schon im 19. Jahrhundert (in literarischen Texten und auf der Bühne) zu eigen. Auch in Filmen der vergangenen Jahrzehnte lässt sich dieses Motiv entdecken: Die Unterscheidung zwischen der ‚Rolle‘ des Clowns und der Person ‚dahinter‘ wird hinfällig. Prof. Matthias Christen (Uni Bayreuth) verdeutlichte dies – dass der Clown durch den Wegfall der Inszeniertheit existentialisiert werden kann – in seinem Gastbeitrag am Beispiel von Christopher Nolans Joker.

„Wer hätte gedacht, dass sich meine Ansicht und Einstellung zum Zirkus durch diese drei Tage Seminar von Grund auf verändern?“ – Inga Hahn

Das Handwerk des Clowns – The Seidenstein Method

Dr. Ira Seidenstein stellt sich und
seine Methode den Workshopteilnehmerinnen und -teilnehmern vor

Der Workshop „Introduction to Clowning“, der Teil des Kompaktseminars „Zirkus & Fiktion“ war, stellte eine Auswahl kreativer Körperübungen vor, die der Performer, Clown und Dozent Dr. Seidenstein entwickelt hat und in Workshops auf der ganzen Welt unterrichtet: The Seidenstein Method, auch bekannt als Quantum Theatre – Slapstick to Shakespeare.
Seidensteins Methode basiert auf seiner jahrzehntelangen Erfahrung in den darstellenden Künsten. Er arbeitete u.a. für den Cirque du Soleil, Slavas Snowshow, Opera Australia und die Bell Shakespeare Company.
Als Schauspieler, Performer, Regisseur und Autor entwickelt(e) Seidenstein eigene Live-Theaterprojekte und tritt im Zirkus, Theater und Varieté auf; Oper, Tanz und Film gehören gleichfalls zu seinen Wirkungsfeldern. Seit 2006 war er für über 30 Gastspiele und Workshops in Europa.

Der Workshop in Erlangen – „Introduction to Clowning“ – begann mit einer kurzen Diskussion mit den Teilnehmern, gefolgt von einigen einfachen physisch-kreativen Übungen nach Dr. Seidensteins Methode. Diese Übungen richten sich an den Körper – d.h. „the intelligence within the body“ –, seine Energien und Gefühle, und locken jene Kreativität und performativen Kräfte hervor, die ein Clown auf der Bühne braucht. Die Übungen wurden mehrfach wiederholt, so dass die Teilnehmer sich mit den Anweisungen vertraut machen konnten, die sie erhielten, um die Elastizität ihrer eigenen Vorstellungskraft und Kreativität zu erforschen. Abschließend wurden die Erlebnisse und Körpererfahrungen in einer Feedbackphase gemeinsam reflektiert. In diesem Workshop offenbarten sich den Teilnehmenden neue schöpferische Impulse, die spontan durch ihre eigene Bewegung entstanden, sowie Einblicke in das Handwerk des Clowns.

Tropen mit Dr. Michael Mayer: Zirkus und Exotismus

„Wer hätte gedacht, wie viel Präzision in der Performance eines Clowns steckt! – denn Clown sein bedeutet viel mehr als sich nur eine rote Nase aufzusetzen. Das Seminar zeigte mir, wie vielfältig und allgegenwärtig das Phänomen
Zirkus ist.“ – Thekla Busse

Der zweite Tag endete mit einer Analyse der Relationen von Exotik, Exotismus und Schaustellung im (literarischen) Zirkuskontext, die der Gastvortrag von Dr. Michael Mayer (Uni Bayreuth) zu Robert Müllers „Tropen“ extrem bereicherte.

Von Tropen, ‚Magischem Zirkusrealismus‘ und den Grenzen der Normalität

Am dritten Seminartag stand das Thema ‚Täuschung‘ und manieristisches Erzählen im Mittelpunkt der Diskussionen. Zunächst wurden zwei zirzensische Romane – Angela Carters „Nights at the Circus“ und Katherine Dunns „Geek Love“ – in Referaten vorgestellt, wobei die spezifische Hyperbolik, pikareske und unzuverlässige Erzähler im Vordergrund standen. Es wurde einmal mehr deutlich, wie stark die Welt der Manegenkünste auf und in der Literatur wirkt(e) – und zwar nicht nur als Motiv und Thema, sondern auch als Erzählstrategie.

Sie standen immer wieder im Fokus: Ambivalente Spaßmacher und ihre Erscheinungsformen in verschiedenen Medien – hier in einem Doppelreferat von Seminarteilnehmerinnen

Im Rahmen eines Gastvortrages von Dr. Markus Wierchem (Uni Paderborn) wurde daraufhin ein weiterer wesentlicher Aspekt der Zirkusthematik erörtert: ‚AbǀNormalität‘. Die Filme „Freaks“ von Tod Browning und „The Elephant Man“ von David Lynch dienten als Untersuchungsobjekte mitsamt der Frage: Was macht einen ‚Freak‘ zum ‚Freak‘?

Um den Bogen zu schließen und wieder zu den ‚traditionellen‘ Manegennarrativen zurückzukehren, zu historischen Dimensionen der Zirkuswelt und zeitgenössischer Zirkusnostalgie, wurde schließlich der Roman „Water for Elephants“ von Sara Gruen analysiert. Die Darstellung des zentralen ‚traditionellen‘ Zirkus regte hierbei die Diskussion der Frage an, was den Zirkus so attraktiv für unsere Zeit und ständige Neuinterpretationen in ganz unterschiedlichen Medien macht: Ausgestellte Exotik? Virtuosität? Seine Fülle an Vielfältigkeit? Optische Opulenz? Die Fragen, die er aufwirft? Zirkus, das demonstrierte dieses Seminar, ist nicht nur ein konstitutiver Bestandteil der Literatur, sondern auch eine kontinuierliche intellektuelle, ästhetische, performative Herausforderung, die faszinierenden Stoff für zahlreiche weitere Diskussionen bereithält.

Von Thekla Busse, Inga Hahn, Corinna Köhler, Philipp Meyer, Vera Walberer
und Anna-Sophie Jürgens

Bildquellen: Alle Fotos durch die Autor*innen / Teilnehmer*innen bereitgestellt

Beitragsbild: pixabay (Alexas Fotos)