In den letzten Jahren ist der Begriff des Volkes wieder in Mode gekommen. Aber was soll das “Volk” überhaupt sein?

 

Gerne wird der Begriff des Volkes herangezogen, um rechte Forderungen einzubetten und deren vermeintliche Legitimität zu betonen. Dabei wird vor allem darüber gesprochen, was das Volk denkt, will und fordert. Weniger im Zentrum steht die Frage, was dieses Volk eigentlich ist, oder besser: Was es sein soll. Betrachtet man den Begriff des Volkes aber genauer im Hinblick auf seine Verwendungsweise und Bedeutung in der Gesellschaft, so zeichnet sich ab, dass es sich in erster Linie um ein Konstrukt handelt, das Menschen ausschließt und Demokratie als Hürde ansieht.

 

Was soll ein Volk sein?

Betrachtet man den Begriff des Volkes und fragt sich nach der Bedeutung des Wortes, so hat man vielleicht die Intention, dass mit Volk einfach alle Menschen gemeint sind, die in einem bestimmten Gebiet leben. Das deutsche Volk ist demnach nichts anderes als die Gesamtheit aller Menschen, die innerhalb deutscher Staatsgrenzen langfristig leben. Klingt doch gar nicht so schlecht. In diesem Sinne wäre Volk ein Synonym für den neutralen und deskriptiv verwendeten Begriff der Bevölkerung.

Es zeigt sich aber, dass der Begriff des Volkes andere Implikationen hat. Wenn Pegida vor der Islamisierung des Abendlandes warnt und „wir sind das Volk“ skandiert, so ist der Ausruf nicht gleichbedeutend mit „Wir sind die Gesamtheit der Menschen, die in Deutschland langfristig leben“.

Im Gegenteil: Der Begriff des Volkes bezeichnet gerade nicht die Gesamtheit der Menschen, die bspw. in Deutschland leben. Wenn die AfD auf Wahlplakaten vor Vollverschleierung warnt und erklärt, dass „wir“ neue Deutsche am besten „selber machen“, dann zeigt sich hier, dass nicht alle Menschen, die in Deutschland leben, zum rechten Verständnis des Begriffs Volk passen.

Im gesellschaftlichen Diskurs bemühen sich rechte Akteure, den Begriff des Volkes mit Bedeutung zu füllen und die Deutungshoheit zu erlangen: Das Volk wird konstruiert als homogene Einheit. Es hat eine einheitliche Kultur, spricht dieselbe Sprache, hat dieselben Interessen und ist darüber hinaus „deutscher Abstammung“ – so die Konstruktion der politischen Rechten. Der Begriff des Volkes impliziert Homogenität in kultureller und ethnischer Hinsicht und schließt so alle Menschen aus, die einen Migrationshintergrund haben oder nicht der „deutschen Kultur“ entsprechen.

 

Jenseits konfligierender Interessen: Demokratie als Hürde

Was aber passiert mit unserer Demokratie, wenn sie getrieben wird von diesem Verständnis, das von Ausgrenzung lebt und das Volk als homogene Einheit konstruiert?

Wenn es ein Volk gibt, das eine gleiche Kultur mit gleicher Sprache und gleicher ethnischen Herkunft besitzt, also vollkommen homogen ist, dann hat dieses Volk auch gleiche Interessen. Zwischen Gleichen unter Gleichen kann es keine konfligierenden Interessen geben.

Diese Argumentation findet sich vielfach bei der politischen Rechten. Der Wahlslogan „Er will, was wir wollen“ von Strache (FPÖ) ist hierfür ein gutes Beispiel. Das Volk hat einen gemeinsamen Willen, eine gemeinsame Position, gemeinsame Forderungen. Die Aufgabe der Rechtspopulisten ist es nur noch, den Volkswillen umzusetzen. Er will, was „wir“ wollen und „wir“ sind das Volk – so das Narrativ.

Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass Narrative, die das Volk als homogen konstruierte Einheit ins Zentrum stellen, höchst antidemokratisch sind. Sie verneinen die Pluralität an Ansichten, Lebensentwürfen, Meinungen und Interessen innerhalb der Gesellschaft, indem sie unterstellen, dass das „Volk“ genau die Interessen hat, die sie selbst vertreten. Alle anderen Personen, die sich darin nicht wiederfinden können, gehören im Umkehrschluss nicht zum Volk und werden zum Gegner des Volkes.

Gleichzeitig erscheinen demokratische Institutionen wie Wahlen und Rechtsstaatlichkeit nicht länger als Fundament des Staates, sondern als Hürden: Schließlich sind ja nur die Interessen des Volkes überhaupt relevant und da es keine Interessenskonflikte geben kann und die Rechtspopulisten genau wissen, was das Volk will, braucht es auch keine demokratischen Verfahren mehr. Denkt man das Konzept des Volkes, wie es Rechtspopulisten in Europa vertreten, weiter, so zeigt es sich, dass es im Kern und in der Konsequenz antidemokratisch ist.

 

Zur Dekonstruktion

Wie bereits gesagt, ist das Volk stets Ergebnis einer diskursiven Konstruktion. Es gibt keinen Bevölkerungskern in Deutschland, der in der angedachten Weise homogen ist. Selbst die Personen, die die AfD als Teil der ethnisch und kulturell homogenen Einheit des Volkes sehen will, unterscheiden sich maßgeblich hinsichtlich ihrer Kultur und hinsichtlich ihrer Ethnie.

Im Norden Deutschlands wird anders gesprochen als im Ruhrgebiet und anders als in Bayern. Nicht einmal in ganz Bayern spricht man bayerisch, ganz zu schweigen von den Verständigungsproblemen. Menschen in Deutschland (und überall anders auch) haben unterschiedliche Weltsichten, unterschiedliche Überzeugungen, Lebensentwürfe, Religionen, Wünsche, Ideale und Träume. Unterschiedliche Präferenzen und Interessen. Unterschiedliche Normen und Werte, Bräuche, Traditionen, Routinen und Feste.

Das Volk als homogene Einheit ist eine Illusion. Eine Illusion, die uns Sicherheit, Geborgenheit und Zugehörigkeit verspricht; die uns zuflüstert, dass wir Teil einer exklusiven Einheit sein können, wenn wir die Illusion nur nicht hinterfragen. Aber wenn wir auf sie hören, verschließen wir nicht nur unsere Augen vor der Wirklichkeit, sondern geben die Demokratie gleich mit auf.

 

Von Eric Hartmann