Oder die Frage, ob wir mal Weltherrscher oder Systemkritiker unter der Brücke werden.
Als Kulturgeographie-Student neue Bekanntschaften zu machen, ist nicht immer leicht. Denn am Anfang jedes Gesprächs steht meist eine Menge Small-Talk, oft im Zusammenhang mit Studienfächern. Wenn ich also sage, was ich studiere, nicken die Leute oft verständnisvoll und fragen mich erst zwei Stunden später, wenn sich das Gespräch längst um ein völlig anderes Thema dreht, was dieses “Kulturgeographie” eigentlich ist.
Manchmal kommt die Reaktion auch schon viel früher, unmittelbar nach der Nennung meines Studienfaches, in Form eines schlichten “HÄÄ?”.
Ab und zu kommen unbequeme Fragen auf, die ich dann mit Sätzen beantworten muss wie: “Nein, ich studiere nicht KUNST-Geographie!” oder “Nein, ich weiß noch nicht genau, was ich später mal arbeiten werde.”
Oder. Ob. Überhaupt.
Für die häufig gestellte Frage, was man (als Alternative zum Taxi-Fahren, wo man ja wenigstens gebraucht wird) denn für berufliche Wege einschlagen kann, habe ich das Informationsblatt über Kulturgeographie auswendig gelernt. Das bete ich dann eloquent herunter, weil da eine Menge wichtig und kompliziert klingende Berufe dastehen und wenn die nicht reichen, erfinde ich eben noch ein paar.
Ich könnte an dieser Stelle natürlich auch besagtes Info-Material zitieren, aber das könnt Ihr ja auch selber lesen. Was auf dem Infoblatt nicht so explizit drauf steht, ist, ob der Studiengang Spaß macht. Diese Frage kann man natürlich nicht allgemein beantworten. Grundsätzlich kann man aber festhalten: Der große Pluspunkt an Kulturgeographie ist, dass man schon im ersten Semester in viele verschiedene Gebiete Einblick bekommt, zum Beispiel in die Entwicklungsforschung, Stadtforschung, Kartographie, Statistik, Politik und Wirtschaft. Und natürlich das, woran wir zuerst denken, wenn wir Geographie hören: Fremde Länder, Gletscher, Vulkane und Erdbeben. Ja, es ist auch Naturwissenschaft dabei. In Bodenkunde auch ein bisschen Chemie, da kommt man nicht drum rum. Aber machbar, auch für überzeugte Geisteswissenschaftler. Und: Man kann die physische Geographie nach dem zweiten Semester ablegen.
Ein weiterer Pluspunkt ist die Auswahl an Nebenfächern, die sich von Soziologie über Sinologie bis hin zu Archäologie und vielen anderen Gebieten erstreckt. Wobei Gebiete nicht immer räumlich zu sehen sind und an dieser Stelle die Frage nach der Definition von Räumen aufkommt. Oder gar nach der Existenz von Räumen. So etwas wird in der Vorlesung nämlich auch diskutiert. Was für den ein oder anderen frustrierend sein könnte: Auf die meisten dieser Fragen gibt es keine eindeutige Antwort, nur viele verschiedene Blickwinkel. Dazu bietet dann die physische Geographie mit ihren Vulkanen, die nun mal da sind und definitiv auch irgendwann ausbrechen, den perfekten Ausgleich.
Wir kommen der Frage vom Anfang, was der mysteriöse Studiengang eigentlich ist, also schon ein bisschen näher: Es geht um Theorien, um geschaffene oder gegebene Räume, um die Globalisierung und ihre Auswirkungen, um die Dynamik von Großstädten, um Konventionen und Ansichten, die man aus Karten lesen kann, wenn man nur weiß, wie. Vor allem lernt man, selbst zu denken. Nimmt man noch die anderen Grundvorlesungen dazu, könnte man sagen, dass ein Kulturgeograph außerdem nachts irgendwo auf der Nordhalbkugel mit nur einem Sextanten und den Sternen seine exakten Koordinaten ausrechnen könnte. Theoretisch. Oder mit einer Hand voll Dreck als Grundlage einen ganzen Vortrag über heimische Böden halten könnte. (Nachdem man darauf rumgekaut hat.)
Also: Was ist Kulturgeographie? Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Ein bisschen was von allem wahrscheinlich. Nebenher irgendwo auch ein Crash-Kurs in Allgemeinbildung. Und unterm Strich bestimmt auch etwas, was in der heutigen Welt mit den heutigen Problemen dringend gebraucht wird.
Und sollte ich trotzdem nicht die Weltherrschaft an mich reißen, hatte ich wenigstens ein geiles Studium.
von Hannah Schabert