Münster, die 300.000-Einwohner Stadt in Nordrhein-Westfalen, gilt als die deutsche Hauptstadt des Fahrrads  in Münster auch als Leeze bekannt. Doch hat sich Erlangen diesen Titel nicht viel eher verdient?

Ein Besuch in Münster sollte hier Klarheit schaffen.

 

Beim Aussteigen aus dem Fernbus rechne ich schon fast damit, demnächst von einem Fahrrad erfasst zu werden. 500 000 Drahtesel und damit fast doppelt so viele Räder wie Einwohner soll es hier ja geben. Doch die Sorgen sind unbegründet, denn die Leezen, die ich sehe, stehen ganz friedlich hinter dem Bahnhof und haben teilweise nicht einmal mehr ein Hinterrad. Ein Bild, dass man auch aus Erlangen kennt. Keine Gefahr also für mich.

Da es in Münster außerdem quasi überall Radwege gibt, teilweise sogar ganze Fahrradstraßen, auf denen den Rädern klar Vorrang vor Autos gegeben wird, kommt es doch seltener zu Konflikten zwischen Fußgängern und Radfahrern als gedacht. Vorrausgesetzt natürlich, man hält sich an die Regeln.

IMG_2577
Sogar so manche rote Ampel gilt nicht für Radfahrer. Foto: Verena Knöll

Aufpassen muss man natürlich trotzdem, aber das bin ich ja aus Erlangen schon gewohnt, wo man als Fußgänger schonmal zurückspringen muss, um nicht unter die Zweiräder zu kommen und sich als Radfahrer manchmal weniger grazil durch die Spaziergänger schlängelt.

Was ich zunächst so von der Stadt sehe lässt mich schon staunen. Neben toller Architektur und freundlichen Menschen hat Münster eine unglaubliche Rad-Infrastruktur, die man mit Erlangen so nicht wirklich vergleichen kann.

Nicht nur Radwege, Fahrradstraßen und Sonderregelungen an Ampeln und Co. –  die Stadt kann sogar mit der Promenade, die sich ringförmig um die Innenstadt legt, eine wahre Autobahn für Fahrräder vorweisen, auf der man blitzschnell im Schatten der Bäume am Rande der City entlangradeln kann. Motorisierten Verkehr braucht man hier nicht zu fürchten, auf plötzlich bremsende Pokémon-Go-Spieler (“Da ist ein Enton!”) sowie den Weg kreuzende Kaninchen muss man jedoch  wie überall sonst auch achten.

 

Nach den ersten Tagen heißt es in die Pedale treten

Nachdem ich mir das Ganze vor allem zu Fuß angeschaut habe, schwinge ich mich auch selbst einmal aufs Rad. Ich bin hier ja nicht zum Spaß, sondern um ein Praktikum zu machen und da muss ich ja irgendwie hinkommen. Den Weg habe ich mir gut gemerkt und bin ihn zu Fuß schon einmal abgelaufen, mit dem Rad ist man aber natürlich schneller.

An dem Abzweig, den Google-Maps mir gesagt hat, verlasse ich die Promenade also und staune nicht schlecht, als der Radweg plötzlich vorbei ist. Einfach so, zack, keine rote Markierung mehr, aber auch kein Schild. Es gibt eine Baustelle und der Radverkehr ist nicht weiter geregelt. Ich sehe keine einheimischen Radler, an denen ich mich orientieren kann und fahre also dort weiter, wo der Radweg meiner Ansicht nach hätte sein können.

“Ey! Das ist für Fußgänger, hier ist kein Radweg!” Nicht einmal 30 Sekunden dauert es, bis man mich auf mein Vergehen hinweist. Ich lächle entschuldigend und fühle mich schlecht, naja… ich bin ja nicht von hier und morgen mache ich es besser. Ein paar Meter weiter finde ich auch den Radweg wieder.

Man lernt ja aus seinen Fehlern und so möchte ich es am nächsten Tag noch einmal probieren. Hilft ja nichts, ich muss ja irgendwie zum Praktikum kommen. Wenn es keinen Radweg gibt, kann ich sicher auf der Straße fahren, hätte ich mir ja gestern schon denken können, lernt man ja in der vierten Klasse.

Die hat der Autofahrer hinter mir wohl nicht besucht, zumindest scheint er von meiner Anwesenheit vor ihm beim Warten an der nächsten roten Ampel nicht begeistert zu sein, was ich seinem durchgehenden Hupen entnehmen kann. Ich kann nur den Kopf schütteln über dieses harmonische Miteinander der Verkehrsteilnehmer und bin froh, als ich wieder auf dem roten Radweg bin. Die kommenden sechs Wochen fahre ich einen Umweg und habe keine Probleme mehr.

 

Der Ruf bringt auch eine große Verantwortung mit sich

Wahrscheinlich ist solcher Ärger vorprogrammiert in einer Stadt mit vielen Radfahrern. Und so bekannt die Stadt auch für ihre Räder und die wirklich außergewöhnliche Fahrradinfrastruktur ist, umso größer sind dann eben auch die Erwartungen. Dass da der Radweg an manchen Stellen nicht einmal einen Meter breit und von Wurzelschäden durchzogen ist, lässt einen dann schnell an dem Titel Fahrradhauptstadt zweifeln. Müsste es nicht außerdem viel mehr Abstellflächen für die Räder geben?

Kann ja nicht sein, dass man das kostenpflichtige Fahrradparkhaus nutzen muss, wenn man nur kurz etwas holen will oder einen Tagesausflug mit der Bahn macht nicht, dass das geliebte Zweirad nachher abgeschleppt wurde, weil es falsch abgestellt war. Schon in Erlangen gibt es ja Probleme mit Abstellplätzen gerade im Bahnhofsbereich, in Münster ist das nicht wirklich besser. Nachdem geklagt wurde, dürfen nicht einmal mehr die Radleichen weggebracht werden schön sieht das nicht gerade aus.

IMG_2575
Radabstellflächen am Hauptbahnhof in Münster – und das ist nur die Rückseite des Bahnhofs! Foto: Verena Knöll

Und dann gibt es natürlich auch die Leute, die von den Radfahrern ‘profitieren’ wollen: Fahrraddiebe zum Beispiel oder die Polizei, die natürlich ganz genau hinschaut und auch selbst mit dem Rad unterwegs ist, um sündige Fahrer zur Kasse zu bitten. Beim Fahrstil mancher Radler ist das sicherlich nicht ganz verkehrt, doch durch die komplizierte Wegführung landet man dann schonmal auf der falschen Seite oder fährt dort, wo man eigentlich schieben sollte. Das kann schnell teuer werden.

Ein Großteil der extra ausgewiesenen Fahrradstraßen, auf denen Autos nur geduldet sind, ist für Radfahrer eine echte Herausforderung, denn Münster ist nicht nur Fahrradstadt, sondern hat auch einen historischen Kern, der mit unebenem Kopfsteinpflaster einhergeht, einem Feind schmaler Reifen.

 

Dann nicht eher: Erlangen – die Fahrradhauptstadt?

So erwischt man sich recht schnell dabei, den Titel der Stadt in Frage zu stellen. Doch wo sonst, wenn nicht in Münster, könnte man die Hauptstadt der Fahrrads in Deutschland finden? Zwar hat auch Erlangen ein großes Aufgebot an Rädern und der zugehörigen Infrastruktur, doch mit einer ‘Fahrradautobahn’ à la Promenade kann es dann doch nicht mithalten.

Auch in Erlangen gibt es viele Fahrrräder.... Foto: Eric Hartmann
Auch in Erlangen gibt es viele Fahrrräder….  Foto: Eric Hartmann

Dafür sind die Bedingungen vielleicht auch einfach nicht so gut, denn während in Münster der Dom auf einem nicht wirklich nenennswerten Hügelchen die höchste Erhebung ist, geht es in Erlangen stellenweise doch mal etwas steiler zu, gerade wenn man die Innenstadt verlässt.

Vielleicht ist es auch besser so, denn während man in Münster ständig einen Ruf zu verlieren hat und die Erwartungen sehr hoch liegen, ist man bei Erlangen eher positiv überrascht über die stellenweise gute Infrastruktur und die Affinität der Bewohner zu dem zweirädrigen Fortbewegungsmittel. Außerdem wurde ich in Erlangen noch nie angehupt, weil ich auf der Straße gefahren bin, dass ist mir zumindest schon einmal sympathischer. Um Münster den Titel Fahrradhauptstadt abzuradeln, fehlen dann doch noch ein paar Leezen in Erlangen. Und natürlich ein ebenso charmanter Spitzname.

 

von Verena Knöll