Erst ein Praktikum öffnete mir die Augen, wie schwierig der Alltag für Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft ist. Wie wir uns alle für Inklusion stark machen können erfahrt ihr in meiner Kolumne “Meine Meinung”!

Meine Freunde sind es leid, sich ständig meine Meinung zu jeglichen Themen anhören zu müssen. Selbst, wenn ich von einem Thema überzeugt bin, beginnt mein Hirn – sobald ich ein Argument ausgesprochen habe – mit dem Suchen und Finden von Gegenargumenten, die meine eigene Meinung außer Kraft setzen. Hin und wieder gelingt es mir dann aber dennoch, nicht nur meinen Kopf zum Rauchen zu bringen, sondern ebenfalls eine fundierte und – wie ich finde – grandiose Meinung zu entwickeln, an der ihr nun monatlich in dieser Kolumne teilhaben dürft. Herzlichen Glückwunsch dazu!

 

In meinem Praktikum bei der Lebenshilfe habe ich einiges gelernt. Die wichtigste Erkenntnis wurde mir schon an meinem ersten Tag klar. Es muss mehr für Barrierefreiheit und Inklusion getan werden! Nach Feierabend sah ich die mir eigentlich so bekannte Neumarkter Innenstadt mit ganz anderen Augen. Überall Kopfsteinpflaster oder Pflastersteine, die in ihrer Höhe so immens variieren, dass jeder Rollstuhl damit Probleme haben wird. Von Drehtüren, Supermärkten mit viel zu engen Gängen, bis hin zum Aufzug am Bahnhof, der immer mal wieder nicht funktionstüchtig ist, sind es nicht nur wortwörtliche Steine, die Rollstuhlfahrer*innen in den Weg gelegt werden. Ein weiteres trauriges Beispiel dafür ist der Nürnberger Hauptbahnhof. Erst dieses Jahr wurde ein Blindenleitsystem für den Weg zum Gleis eingeführt.

 

Doch noch viel schlimmer als die Hürden, die unsere Umgebung mit sich bringt, ist die systematische Diskriminierung unseres Staates. Bei meinen Recherchen zu diesem Thema bin ich auf den Fall von Nancy Poser gestoßen. Nach ihrem Abitur, das sie mit 1,0 abschloss, studierte Nancy Jura und ist mittlerweile Richterin im Amtsgericht in Trier. Aufgrund einer Muskelkrankheit benötigt die 36-jährige rund um die Uhr Betreuung und muss sich an dieser finanziell beteiligen. Deshalb bekommt sie für den gleichen Arbeitsaufwand um einiges weniger Geld als ihre Kollegen. Weiterhin darf sie auch keine Lebensversicherung oder einen Bausparvertrag besitzen. Sobald sie mehr als 2600€ gespart hat oder mehr als diese Summe erbt, meldet sich zudem das Sozialamt. Selbiges gilt auch im Falle einer Hochzeit. „Wenn ich einen Mann heiraten würde, wäre er ja im Prinzip arm. Weil er sein ganzes Vermögen für meine Betreuung einsetzen müsste“[1], stellt Nancy in einem Interview fest.

 

Sieht so Gleichberechtigung aus?

Ich habe teil, [bin] aber nicht gleichberechtigt.[2], beschreibt Nancy ihre Situation selbst.

Doch selbst dieses Teilhaben ist leider immer noch nicht selbstverständlich. Über Inklusion wird zwar viel diskutiert, aber wenig wird durchgeführt. Das Problem daran: Durch Integration bildet sich eine Gesellschaft in unserer Gesellschaft, da es einfach viel zu wenige Berührungspunkte zwischen Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung gibt. Oft entstehen solche Kontakte nur durch das Ausüben eines sozialen Berufs oder durch Menschen mit Behinderung im nahen Verwandtenkreis. Genau das ist das Problem!

 

 

Inklusion und Integration im Vergleich. Entnommen der Wikimedia-Datenbank.

 

Menschen mit Behinderung sind zwar integriert, aber nicht inkludiert. Das sollte sich allerdings ändern! Denn wie kann man von Gleichberechtigung und sozialer Teilhabe sprechen, wenn man Kinder schon im Grundschulalter separiert? Selbstverständlich brauchen Kinder mit Behinderung spezielle und auch andere Förderung, aber könnte man diese bestehende Kluft nicht schließen, indem man schulübergreifende Freizeitangebote anbietet? Ein Sportfest mehrerer Schulen, gemeinsamer Kunst-/Musikunterricht oder inklusive Wandertage. Es gibt unzählige viele verschiedene Möglichkeiten um einerseits Berührungsängste abzubauen und andererseits Freundschaft und Vernetzung zwischen diesen beiden „Gesellschaften“ zu fördern. Damit wäre man einen Schritt weiter in dem Vorhaben, Menschen mit Behinderung das zu geben, was ihnen zusteht: Ein Platz in der Mitte unserer Gesellschaft.

 

 

[1]https://www.aktion-mensch.de/magazin/gesellschaft/teilhabegesetz/film_nancy_poser.html

[2]http://www.stern.de/tv/bundesteilhabegesetz–wegen-der-eingliederungshilfen-duerfen-behinderte-weder-gut-verdienen–noch-sparen-6832532.html

Bildquelle: Creative Commons – Wikipedia User “Sandres”, Autor “CellarDoor85”, Autor der ursprünglichen Grafik: “Robert Aehnelt”: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Inklusion-vs-integration.svg

 

 

von Christoph Wusaly