Hallo, mein Name ist Lisa. Eigentlich heiße ich anders, aber ich will nicht erkannt werden. Denn ich leide unter einer Krankheit, an der im Laufe eines Jahres circa 5,3 Millionen Deutsche (1) erkranken: Der Depression.
Ein wichtiger Grund, warum ich gern anonym bleiben würde, ist, dass diese Krankheit in ihrer Schwere immer noch ziemlich unterschätzt wird. Unbehandelt kann sie sogar tödlich enden – außerdem ist sie die häufigste Ursache für einen Suizid. Keine Angst, ich habe definitiv nicht den Wunsch, mich umzubringen, der Wunsch nach einem gesunden Leben ist bei mir tausendmal stärker als der Wunsch nach dem Tod. Deshalb bin ich in Behandlung.
„Warum bist du depressiv?“, werden sich jetzt manche fragen. Es gibt bei mir nicht wirklich einen Auslöser, zumindest keinen, der zeitlich und räumlich passt. Die Krankheit kommt in meiner Familie nicht selten vor, deshalb vermute ich, dass es auch genetische Ursachen haben kann. Aber das alleine wird es nicht gewesen sein. Das soll aber nicht Thema dieses Artikels sein.
Ich schreibe diesen Text, da ich mit ein paar Vorurteilen „aufräumen“ möchte. Außerdem werden Depressionen immer häufiger bei Studenten diagnostiziert, woran unser System meiner Meinung nach nicht ganz unschuldig ist. Wir sollen immer schneller immer mehr schaffen. Wir sollen immer die Besten sein – wenn man das nicht ist, ist man raus. Aber ich möchte mich hier nicht mit der Leistungsgesellschaft aufhalten, sondern ein paar Dinge aus meiner Sicht erklären. Ich werde dazu im Folgenden von „uns“ sprechen. Aber, wie bei jedem Thema, kann ich nicht für alle sprechen, denn jeder ist anders, hat einen anderen Charakter, einen anderen Lebenslauf und ein anderes Umfeld – allerdings ist in den Grundzügen vieles ähnlich.
1. Depression ist keine „Einstellungssache“, sie ist eine Krankheit.
Die alte Leier mit der Einstellungssache. Ich kann nur sagen: Es ist ermüdend. Ich habe schon Einiges an Kommentaren unter Artikeln über Depressionen gelesen. Das ging von „Die Jugend von heute ist immer verweichlichter und will nichts mehr leisten.“, bis hin zu „Heutzutage denkt man sich aberwitzige Krankheiten aus, um sein eigenes Versagen zu rechtfertigen.“ Viele Menschen denken so, darunter auch Lehrer, Dozenten, Professoren, Chefs. Das ist ein Unding, denn wie bei jeder Krankheit gilt auch hier: Die Einstellung kann es erträglicher machen, aber sie kann sie nicht heilen. Oder habt ihr schon erlebt, dass euer gebrochener Arm geheilt wurde, nur weil ihr euch eingeredet hat, er ist nicht gebrochen? Das glaube ich nicht. Wenn ja, dann schreibt doch bitte an V, dann würde ich gerne wissen, wie ihr das gemacht habt.
Und was viele vergessen: Eine Depression ist eine Erkrankung, die die eigene Lebenseinstellung maßgeblich beeinflusst. Ein Beispiel aus meinem eigenen Leben: Ich bin eigentlich jemand, dem es bis zu einem gewissen Grad egal ist, was andere über mich denken. Seitdem es schlimmer geworden ist, sehe ich überall kritische Blicke, es ist mir unangenehm, alleine in die Öffentlichkeit zu gehen und manchmal habe ich das Gefühl, dass mich alle für furchtbar lächerlich halten. Die mögliche negative Meinung von Leuten, die in meinem Leben eigentlich völlig unwichtig sein sollte, hat auf einmal einen ganz anderen Stellenwert als früher. Außerdem kann ich schlechter mit Rückschlägen umgehen. Zur Zeit vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht wie ein kompletter Versager fühle und das, obwohl ich das rein objektiv gesehen gar nicht bin.
Wenn das für euch jetzt zu viel Gefühl und zu wenig Fakt ist, dem kann ich diese Seite hier (https://www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/ursachen-und-ausloeser/neurobiologische-seite) empfehlen. Da werden Depressionen noch einmal von der neurobiologischen Seite erklärt. Kurz gesagt: Es existiert eine Veränderung beim Austausch der Botenstoffe im Gehirn. Ein depressives Gehirn sieht demnach anders aus als ein gesundes. Damit wäre das Märchen der „eingebildeten Krankheit“ widerlegt. Glaubt mir, wenn wirklich alles Einstellungssache wäre, wäre ich froh.
2. Ja, es ist möglich, dass wir auf eine Party gehen können, aber die Klausur nicht mitschreiben.
Bevor ich auf diese Aussage weiter eingehe, möchte ich ein großes Lob an das Prüfungsamt aussprechen. Ja, ich habe mich für die Klausuren in diesem Semester krankschreiben lassen und das ging ohne Weiteres. Wegen vorher genannten Gründen hatte ich ein bisschen Angst, dass es da Probleme gibt, aber der Vermerk mit Grund war nach wenigen Tagen bei mein Campus eingetragen. Danke hierfür!
Wenn man krank ist, kann man nicht arbeiten, aber dann kann man doch auch nicht auf eine Party gehen, oder? Natürlich stimmt das in gewisser Weise, aber man kann das im Fall Depressionen recht simpel erklären: Die Konzentrationsfähigkeit ist extrem vermindert. Ich sitze hier jetzt schon drei Stunden am Rechner und bin bei gerade mal eineinhalb Word-Seiten. Andere hätten diesen Artikel wahrscheinlich schon in einer halben oder einer ganzen Stunde fertig gehabt. Ich brauche für alles was ich tue mindestens das Doppelte an Zeit. Ich habe natürlich versucht, zu lernen, denn auch ich dachte, dass ich es zumindest versuchen kann, aber es hat für mich vor allem eins bedeutet: Sehr viel Stress. Ich habe gemerkt, dass ich einfach nicht mehr so leistungsfähig bin wie früher – für einen Text, den ich normalerweise in zwei, drei Stunden durchgearbeitet und verstanden hätte, habe ich einen ganzen Tag gebraucht. Ich habe Sätze fünfmal durchgelesen und sie nicht verstanden. Das war mir natürlich alles bewusst und ich habe mich extrem unfähig gefühlt. Ständig war da diese kleine Stimme, die mir sagte, dass ich es doch besser kann, was mich dazu trieb, mich noch schlechter zu fühlen, was natürlich stresst. Und Stress, das ist erwiesen, begünstigt Depressionen. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, meine Versuche nicht an meine Krankheit zu verschenken.
Da man körperlich eigentlich unversehrt ist (es gibt Fälle, in denen leidet auch die körperliche Gesundheit, aber das ist nicht unbedingt die Regel), ist es auch möglich, Dinge zu unternehmen, wie etwa auf eine Party zu gehen. Das mag auf manche vielleicht heuchlerisch wirken, aber auf einer Party muss ich mich nicht konzentrieren, eine Party kann ich verlassen wann ich will und sie beeinflusst meine Zukunft nicht maßgeblich. Außerdem ist es für viele heilsam, sich in soziale Situationen zu begeben. Mir zum Beispiel tut es unfassbar gut, was mit Freunden zu unternehmen und sich für einige Stunden normal zu fühlen und nicht die ganze Zeit über sich selbst nachdenken zu müssen.
Aber es gibt auch Depressive, die das nicht tun, die es anstrengend finden überhaupt außer Haus zu gehen. So schlimm ist es bei mir Gott sei Dank nicht geworden, obwohl es auch für mich schwer ist, mich aufzuraffen. Aber mein soziales Umfeld ist für mich essenziell, es verschafft Linderung.
Depressionen verhalten sich so unterschiedlich, dass nicht jeder Erkrankte den ganzen Tag im Bett liegt und nicht aufstehen kann. Das ist ein Vorurteil.
Trotzdem ist eine Prüfungssituation wieder ganz anders, als die Situation, Zeit mit seinen Freunden zu verbringen. Aber ich denke, das ist jedem bewusst.
3. „Ihr wollt doch nur Aufmerksamkeit!“
Auch ein abfälliger Kommentar, der sehr oft in Verbindung mit der Krankheit fällt. Aber ja, die wollen wir. Und die ist auch wichtig, denn Menschen erkranken immer häufiger, aber im Gegensatz dazu werden sie immer noch nicht so ernst genommen, wie sie eigentlich sollten. Ich wiederhole mich: unbehandelt kann sie zum Suizid führen. Aber auch bei Menschen in Behandlung kann das vorkommen. Stellt euch mal vor, man würde über Krebs so sprechen. Das wäre doch makaber, oder? Und genauso makaber ist es, so über Depressionen zu reden.
Ihr müsst euch das mal vorstellen: Man muss sowieso schon mit den ganzen Symptomen klar kommen und fühlt sich selbst schon wertlos und dann muss man sich auch noch damit herumschlagen, für manche Leute jemand Schwaches zu sein, der nichts auf die Reihe bekommt und sich dafür eine Ausrede einfallen lässt. Und leider kommt es auch vor, dass das Menschen sind, die in unserem Leben eine nicht ganz unwichtige Rolle spielen, wie eben der Chef, oder der Dozent. Da sind wir dann nicht krank, sondern unfähig und ich kann euch sagen, dass es das nicht besser macht. Deshalb ist die Aufklärung über diese Krankheit sehr wichtig und das hat mich auch dazu bewegt, diesen Artikel zu schreiben.
Denkt daran, nicht jeder Kommilitone, der im Seminar nicht aufpasst, Prüfungen schiebt oder nicht zu den Vorlesungen kommt, nimmt sein Studium nicht ernst. Da kann etwas Ernstes dahinter stecken – deswegen seid vorsichtig mit Verurteilungen.
4. Wie gehe ich mit depressiven Menschen um?
Ich habe selbst am eigenen Leib erfahren, dass es Manchen schwer fällt, mit depressiven Menschen umzugehen. Ich bin in einem Stadium, in dem ich es nicht mehr vor Menschen verstecken kann, die öfter mit mir zu tun haben, denn die Krankheit macht mich sehr empfindlich. Deswegen meide ich Menschen, denen ich nicht vertraue (ich habe beispielsweise meinen Nebenjob gekündigt) und habe mich dafür entschieden, es bei meinen engeren Freunden direkt anzusprechen. Leider Gottes habe ich manche Freunde als enger eingeschätzt, als sie es wirklich waren und habe gemerkt, wie sie sich von mir distanzierten oder mich nicht mehr ernst nahmen. Auch wenn sie sagen, sie nehmen es als Krankheit ernst und verstehen mich, merke ich, dass ich nicht mehr gefragt werde, wenn etwas unternommen wird, oder es werden Ausreden gesucht. Dann beim Durchforsten von Instagram herauszufinden, dass es, obwohl man „noch so viel zu tun hatte“, noch möglich war, Pizza essen zu gehen, tut einfach unfassbar weh.
Außerdem fiel mir auf, dass Freunde, die sich nicht abgewendet haben, mir nicht erzählen, wenn bei ihnen etwas nicht gut läuft. Es mag vielleicht blöd klingen, aber auch das fühlt sich nicht gut an. Man denkt sich: „Ich bin deine Freundin, ich bin die Letzte, die dich verurteilt, vertraust du mir nicht, nur weil es mir selbst schlecht geht? Du bist für mich da. Wieso sollte ich nicht für dich da sein können?“
Deswegen: Behandelt uns bitte wie normale Menschen! Klar, wir sind krank, wir können manche Sachen nicht mehr, sind vielleicht ernster geworden und manchmal kann man unser Handeln nicht wirklich nachvollziehen, aber wisst ihr, wie gut es tut zu merken, dass man immer noch seinen Platz hat? Hey, unser Leben gerät gerade aus den Fugen, wisst ihr, wie gut es sich anfühlt, dass zumindest ein Teil davon noch bleibt? Genau, wahnsinnig gut und wahnsinnig sicher. Und wenn ihr was nicht versteht: Fragt nach! Kommunikation ist das A und O. Depressive sind nicht ansteckend und wenn der Grad der Erkrankung nicht so schwer ist, dass eine sofortige Einlieferung in eine psychiatrische Klinik nötig ist, sind wir auch noch zurechnungsfähig.
Natürlich kann und muss niemand einen Psychotherapeuten ersetzen, aber ich verrate euch mal ein Geheimnis: Das wissen wir und das wollen wir auch nicht. Wir wollen nur unsere Freunde nicht verlieren, auch wenn wir gerade nicht die beste Version unserer selbst sein können.
5. Was kann ich tun, wenn ich das Gefühl habe, dass ich oder jemand in meinem Umfeld von Depressionen betroffen ist?
Eine gute Anlaufstelle ist die Webseite der Stiftung Deutsche Depressionshilfe (https://www.deutsche-depressionshilfe.de/start). Dort findet ihr einen Selbsttest, der eigentlich recht präzise zeigt, ob depressive Symptome vorliegen. Natürlich ersetzt er keine Diagnose! Hier findet ihr auch Adressen und Telefonnummern, an die ihr euch wenden könnt, wie beispielsweise die Telefonseelsorge. Diese könnt ihr anrufen, wenn es besonders schlimm ist, ihr aber noch lange auf einen Termin warten müsst.
Aber auch hier vor Ort könnt ihr euch Hilfe holen. Das Studentenwerk bietet eine offene Sprechstunde an, sowie Einzelberatungen. Die kosten allerdings was – was ich ehrlich gesagt nicht gut finde. Hier gibt es weitere Infos: http://www.werkswelt.de/index.php?id=ppb
Meine persönliche Empfehlung ist das Uniklinikum in Erlangen. Hier könnt ihr anrufen, wenn ihr einen Termin haben wollt: http://www.psychiatrie.uk-erlangen.de/kontakt/
Ich bin dort selbst ambulant in Behandlung und schätze die Kompetenz und Freundlichkeit der Ärzte.
Lasst euch aber nicht von den langen Wartezeiten abschrecken. Leider ist das Gesundheitssystem in Deutschland bei psychosomatischen Krankheiten noch sehr ungnädig. (Auch deshalb ist eine Aufklärung wichtig!) Deshalb solltet ihr aber noch lange nicht aufgeben. Auch wenn es sich manchmal nicht so anfühlt: Es ist gut möglich, gesund zu werden.
Ich hoffe, ich konnte mit diesem Artikel für manche ein wenig Licht ins Dunkel bringen und eventuell auch Betroffenen klar machen, dass sie nicht alleine sind und es definitiv nichts Verwerfliches ist, depressiv zu sein. Ich für meinen Teil habe jetzt fast sechs Stunden für diesen Artikel gebraucht und ich bin ordentlich geschafft, aber auch stolz auf mich.
Alles Gute,
Eure Lisa
(1) Quelle: Stiftung Deutsche Depressionshilfe