Da ich am Sonntag das erste mal bei einer Bundestagswahl wahlberechtigt bin, wollte ich mich natürlich besonders gut informieren. Gerade als angehender Theaterwissenschaftler haben Wahlkampfveranstaltungen einen besonderen Reiz für mich. Mit der Absicht, die Atmosphäre regelrecht aufzusaugen, damit ich sie für euch beschreiben kann, besuchte ich also AfD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Die beiden großen Parteien hab’ ich ausgelassen, da der Kampf um Platz 3 der eigentliche Krimi dieser Wahl ist.


Einige Gemeinsamkeiten

Natürlich gab es bei allen Parteien eine große Gemeinsamkeit: Das Hetzen über gegnerische Parteien. Jeder gegen Jeden war das Motto, welches die eigentlichen Inhalte in den Hintergrund rücken ließ. Sowohl Grüne, Linke als auch FDP haben es sich zur Aufgabe gemacht, Platz 3 zu ergattern, damit man den Rechtsdrift unserer Regierung „abfedern“ könne.
Eine weitere Gemeinsamkeit aller Parteien ist die Absicht, Kinder- und Altersarmut verhindern zu wollen. In mir löste dies nur die Frage aus, wieso das den Parteien (allen voran Union und SPD) bisher nicht gelungen ist.

 

AfD

Ja liebe Leser, ich hab es wirklich getan! Am 09.09. habe ich Gauland und Co. In der Meistersingerhalle besucht. Die Anreise war gar nicht mal so einfach, da Demonstranten die Straßenbahnschienen blockierten und die Tram für ca. 10 Minuten stehen bleiben musste. Als es dann in Schrittgeschwindigkeit weiterging, standen ebenjene Demonstranten neben den Schienen und brüllten in die vorbeifahrende Bahn. In der Meistersingehalle angekommen, wurde man von Securitys durchsucht, ich natürlich besonders genau, wahrscheinlich weil blaue Haare unter AfD-Wählern eher selten sind.
Die Halle war ziemlich voll, die Menschen verstanden sich untereinander. Es wurden Wahltipps ausgetauscht („Niemals Briefwahl, da verschwinden ganz viele Stimmen!“) und darüber geredet, was aus dem guten alten Deutschland mittlerweile geworden sei. Vom Publikum war ich etwas überrascht, da die meisten Anwesenden im Alter meiner Eltern – also um die 50 – und total unscheinbar waren. Es waren der Schaffner aus dem Zug, die Dame an der Kasse, Menschen aus unserer Mitte, was die ganze Sache für mich noch beängstigender macht.
Mein Lachen nicht zurückhalten konnte ich, als „Kampfmusik“ ertönte, während die Redner die Bühne betraten. (Klicke hier zum Anhören) Die Interessenten empfinden Gauland wie einen Popstar und waren auch an sich leicht zu begeistern. Ein „Holen wir uns unser Land zurück“ hier, ein „Wir Deutsche werden in unserem eigenen Land massiv diskriminiert“ da und die Menge tobte. Noch nie habe ich in meinem theaterwissenschaftlichen Leben so viel Applaus gehört oder Menschen in dem oben erwähnten Alter vor Freude aufspringen sehen. Alles wurde mit Applaus und standing ovations kommentiert, wirklich jede einzelne Aussage. Ich fühlte mich wie im falschen Film, was auch der Dame neben mir auffiel, die jedes Mal, wenn ich nicht klatschte (also immer), fordernd auf meine Hände schielte. Die Reden waren alle ziemlich ähnlich, vor allem mit der Botschaft: Der Flüchtling ist an allem Schuld! Besonders witzig fand ich ein Heft, das auf den Plätzen bereit lag. Hier wirbt die AfD um Migranten, Juden, Frauen und Homosexuelle, aber seht selbst:

Der Flyer von der AfD-Wahlkampfveranstaltung. Foto: Christoph Wusaly

 

Gauland jedenfalls, sprach den Wähler*innen Mut zu. Er weiß, dass es nicht leicht ist, sich als Afd-Sympathisant zu offenbaren, aber „am 24.09. sind Sie ganz allein in der Kabine, müssen sich vor keinem rechtfertigen und können die richtige Entscheidung treffen!“.
Nach diesem Satz bin ich schließlich alleine und ohne Rechtfertigung geflohen.

Das Beweisfoto, ich war wirklich bei der AfD! Foto: Christoph Wusaly

 

DIE LINKE

Es war kalt, es war regnerisch, es war voll. Am Sebalderplatz konnte man am 14.09. Sahra Wagenknecht live erleben. Das Publikum war bunt gemischt, aber dennoch unscheinbar und hielt dem Regen tapfer stand. Madame Wagenknecht ließ auf sich warten, in dieser Zeit wurde man mit Live-Musik und Reden der Direktkandidaten vertröstet.
So weit, so unspektakulär. Nach etwa einer Stunde wurde Wagenknecht auf die Bühne gebeten. Die Meute war aufgeregt, schier außer sich, „Sahra we love you“-Schreie waren zu hören.
Wagenknecht wusste und weiß genau wie der Hase läuft, nicht umsonst gilt sie als eine der besten Rhetoriker*innen der deutschen Politiklandschaft. Wie ein moderner, weiblicher Robin Hood stand sie dort und sagte das, was das Publikum hören wollte. Auch wenn viel gejubelt und applaudiert wurde, reichte es nicht an AfD-Verhältnisse heran. (Wobei ihr hier wissen müsst, dass ich noch kein Publikum in meinem Leben so laut, ausgelassen und vor allem beständig klatschen hören habe wie das der Alternative.) Trotzdem geht ein Punkt an DIE LINKE, denn meines Erachtens waren hier die meisten Hörlustigen vertreten.
Die Rede Sahras war brillant, motivierend und mitreißend. Für mich gab es vor allem einen besonderen Gänsehaut-Moment, als sie Krankenpfleger*innen, Altenpfleger*innen und Menschen, die im Allgemeinen soziale Berufen ausüben, als wahre Leistungsträger unserer Gesellschaft bezeichnete.
Nach ihrer Rede verschwand nicht nur Wagenknecht ziemlich flott, sondern auch ich.

 

Lassen sich vom Regen nicht abschrecken. Foto: Christoph Wusaly
Wagenknecht in Action. Foto: Christoph Wusaly

 

FDP

Vorurteile haben ist wie in der Nase bohren. Man ist dagegen, findet es eklig, aber hin und wieder erwischt man sich doch dabei. Im Gegensatz zu allen anderen Parteien bewahrheiteten sich meine Vorurteile über FDP-Interessenten. Unzählige Audis, BMWs und weitere Luxusschlitten standen am 18.09. auf dem Parkplatz des Ofenwerks in Nürnberg. Das Publikum war – wie erwartet – sehr chic (das heißt eine sehr hohe Quote an Perlenketten und Krawatten) gekleidet, was unzählige schiefe Blicke auf mich verursachte.
Die Redner feierten sich, die wiederauferstandene Partei und die Wähler. Mit Stolz wurde verkündet, dass die FDP laut einer Studie die glücklichsten Wähler hat. Als ich zu meiner Begleitung „kein Wunder, wenn man 5000€ netto verdient“ kommentierte, erntete ich erneut schiefe Blicke.
Als Christian Lindner das Podium betrat, wurde er gebührend gefeiert, es hatte den Anschein, als ob das Publikum ihn fast so sehr mochte, wie er sich selbst. Seine Rede war – genauso wie seine TV-Auftritte – rhetorisch sehr ausgefeilt und naja, was soll man anderes erwarten, wirtschaftsliberal. Er wolle nicht, so wie es die Grünen mit der FDP handhaben, über andere Parteien herziehen anstatt das eigene Wahlprogramm vorzustellen, verkündete er und begann damit, Bündnis 90 schlecht zu machen. Nette Doppelmoral Herr Lindner! Die Halle war gut gefüllt und selbst Lindner nahm sich nach der Veranstaltung noch Zeit für persönliche Fragen und Fotos. Ein Foto mit Christian wollte ich nicht, da mir diese locker reichen:

 

 

Lindner am Boden. Foto: Christoph Wusaly
Lindner und seine Groupies. Foto: Christoph Wusaly

 

Bündnis 90/Die Grünen

Zunächst war nicht allzu viel los, als die Grünen am 21.09 auf dem Sebalder Platz um die Stimmen der Interessenten warben. Nach und nach füllte sich der Platz jedoch mit Zuhörern für grüne Anliegen. Durch die Veranstaltung führte eine Künstlerin aus Fürth, welche Gründungsmitglied der Grünen in Nürnberg war und ihrer Partei noch immer die Treue hält. Sie überzeugte durch ein grün-buntes Outfit und ihre lockere Art, weshalb der Punkt für die beste Moderation eindeutig auf das Konto der Grünen geht. Zum Einklang spielte eine „Punk“band namens Cisco Pikes, während Frau Roth bei den Zuschauern saß und ausgelassen mitwippte und klatschte. Nach zwei Tracks gaben einige Direktkandidaten ihre Ziele und Vorhaben preis, bevor Toni und Claudi zu Wort kamen. Hofreiters Rede war sehr authentisch, man konnte seine Wut über die jetzige Regierung an seinem hochroten Kopf erkennen. Auch hier wurde viel geklatscht und gejubelt, vor allem, als Parteiikone Roth die Bühne betrat. Am Rande der Menschenmenge versuchte jemand, seine Abneigung zur Partei und wahrscheinlich auch zur Rednerin mittels einer Trillerpfeife zum Ausdruck zu bringen, schaffte es aber nicht ansatzweise, Roths Stimmgewalt zu übertünchen. Fakten und Emotionen waren der Weg, mit dem die Redner*innen punkten wollten. Gänsehaut auch hier, als Roth sprach, dass die Grünen die Ängste der Bürger sehr ernst nehmen, aber auch als einzige Partei für Hoffnung stehen.
Beide Parteivorsitzende blieben auch nach der Veranstaltung eine Weile, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Auch Lutz van der Horst stattete den Grünen einen Besuch ab, um einen Beitrag für die heute-show zu drehen. Nachdem ich ein Foto mit van der Horst ergattert hatte, machte ich mich auf den Heimweg, ein bisschen enttäuscht darüber, dass niemand selbstgestrickte Klamotten trug.

 

Grünes Publikum. Foto: Christoph Wusaly

 

Claudia Roth und ihre bunte Jacke. Foto: Christoph Wusaly

Fazit:

Mein eigentliches – ich gebe zu ziemlich egoistisches – Ziel dieses Artikels war es herauszufinden, welche Partei die absolut, einzig wahre für mich ist. Okay, zur AfD hat mich eine Mischung aus Neugierde, Abenteuerlust und Selbsthass getrieben, aber dadurch habe ich jetzt eine Geschichte mehr in petto, die ich auf Partys (oder euch in Form eines Artikels) erzählen kann.

Mein Kreuz hab ich zwar mittlerweile gemacht, aber 100% stehe ich hinter keiner Partei. Das liegt wahrscheinlich daran, dass mir alle Parteien von deren Gegnern mies gemacht worden sind.  Aber egal, das einzige, was am Sonntag zählt, ist und bleibt, dass man seine Stimme abgegeben hat (und ich ein Foto mit Lutz van der Horst habe).


Zu Lutz passe ich eindeutig besser als zur AfD und FDP.

 

Vielen Dank auch an Annabel, die mich zu einigen Veranstaltungen begleitet hat.

 

Von Christoph Wusaly