Die Frage “wie war’s?” stürzt das Gehirn unserer Autorin im Moment mehrmals täglich in schweres Chaos. Warum das so ist, nur weil sie eine Woche in Israel war und sich ihre Freunde danach erkundigen – und wieso sie trotzdem unglaublich froh ist, mal wieder an einer Jugendbegegnung teilgenommen zu haben: Das möchte sie gern erklären. Auch wenn es ihr schwer fällt, da sie aktuell kaum ihre eigenen Gedanken im Kopf über die letzte Jugendbegegnung ordnen kann.

 

Wie genau ich damals auf die Idee gekommen bin, an einer Jugendbegegnung teilzunehmen, weiß ich nicht mehr. Aber irgendwann habe ich das Internet nach ihnen durchforstet und mich zu einer Jugendbegegnung zwischen einer Potsdamer Organisation und einer Organisation in Barcelona angemeldet.

Brainstorming in Potsdam zum Thema “Urban Cities”. Foto: Carla Ober

Jedenfalls habe ich daraufhin im Sommer nach dem Abi erst eine gute Woche in Berlin und dann einen Monat später in Barcelona mit vorher wildfremden Menschen verbracht, jungen Menschen aus Deutschland, Spanien und anderen Ländern mit völlig verschiedenen Hintergründen – manche noch Schüler, manche Studenten, manche berufstätig. Und die kamen mir überraschend schnell so überhaupt nicht mehr fremd vor.

Berlin. Foto: Carla Ober
Sanssouci in Potsdam. Foto: Carla Ober
Der Plan für die Woche in Berlin und Potsdam.

Wir erkannten schnell, wie viel wir voneinandern lernen konnten: Das Thema war eigentlich “Nachhaltigkeit in urbanen Zentren”. Also machten wir uns zu Beginn in Kleingruppen erste Gedanken, wie man Nachhaltigkeit in Großstädten umsetzen kann. Bei der Besprechung fiel uns dann auf, dass die spanischen Teilnehmer dabei an ganz andere Probleme dachten als die Deutschen: sie hatten sich hauptsächlich mit Wassersparen beschäftigt, ein im Alltag in Barcelona viel relevanteres Problem als in Berlin.

Ich würde euch langweilen, wenn ich jetzt aufzähle, was wir noch alles gemacht und geredet haben. Ich kann nur versuchen, zu erklären, dass ich erst im Verlauf der seit dem vergangenen drei Jahre gemerkt habe, wie viel ich mitgenommen habe aus der Jugendbegegnung in beiden Ländern. Aus den schönen gemeinsamen Aktionen und vor allem den vielen vielen spannenden Gesprächen miteinander. Außerdem weiß ich seitdem nicht nur mehr über urban gardening in Berlin, Potsdamer Flüchtlingspolitik und Stadtteilpartizipation in Barcelona, sondern auch, wie patatas bravas schmecken, wie man arroz a la cubana kocht (in Potsdam wohnten wir in einem Selbstversorgerhaus, da musste die ganze Gruppe kochen) und wie das ist, wenn man gerade Heißhunger auf Chips hat, man als Deutsche aber nicht auf die Idee kommt, dass der Supermarkt in der Millionenstadt Barcelona vormittags um 11 Siesta macht.

Es bleiben unglaubliche Erinnerungen und wunderschöne Fotos. Ihr fragt euch vermutlich, was man, außer emotionaler Verwirrung, davon hat, zwei intensive Wochen mit fremden Menschen auf engstem Raum zu verbringen und Zeug zu diskutieren, wenn doch sowieso nichts bei ‘raus kommt und man sich danach nie wieder sieht – was bringt das, außer emotionalem Chaos?

Dieses Bild hängt im Hostel in Barcelona an der Wand. Ich glaube, dass Jugendbegegnungen ihren Beitrag zum Frieden leisten können. Foto: Carla Ober
Kunst im Viertel Poble Sec in Barcelona. Foto: Carla Ober

Wunderschöne Fotos: ich habe vor ein paar Tagen noch ein paar Fotos bekommen, die ich noch nicht hatte. Nicht von der Jugendbegegnung in Israel vor kurzem, sondern Fotos von einer Freundin und mir in Barcelona, vor drei Jahren. Ich sage Freundin und meine das auch so: wir haben insgesamt gerade einmal zwei Wochen miteinander verbracht, aber wir haben uns prächtig verstanden, haben über so vieles diskutiert und dabei manchmal so völlig verschiedene Meinungen gehabt. Wir haben Kontakt gehalten über die letzten drei Jahre und uns vor knapp 2 Wochen endlich, das erste mal nach diesen drei Jahren, wieder gesehen. Und waren uns immer noch vertraut, konnten Mädelsgespräche über Jungs führen und über Gott und die Welt reden wie “damals”.

Dilman (rechts), die ich nun endlich wieder getroffen habe, und ich vor drei Jahren in Barcelona. Foto: privat

Hoffentlich dauert es nicht wieder drei Jahre, bis wir uns wieder sehen. Man hält natürlich nicht zu jedem Kontakt, aber doch zu einigen. Auf Facebook habe ich vor allem zu den Spaniern noch Kontakt – und bekomme dadurch vieles von ihrem Alltagsleben und ihrer Kultur mit. Immer wieder rieseln Portiönchen davon mitten in meinen eigenen Alltag hinein. Das ist schön! Und ich weiß, bei welchen von ihnen ich mich für ein Wiedersehen melde, sobald ich es endlich mal wieder nach Barcelona schaffe!

Barcelona. Foto: Carla Ober

Emotionale Verwirrung und es kommt sowieso nichts bei ‘raus: Ihr könnt euch vermutlich vorstellen, dass eine Jugendbegegnung zwischen Israelis und Deutschen anders ist, als eine zwischen Spaniern und Deutschen. Es werden ganz andere Fragen gestellt – oder nicht gestellt, wenn man sich nicht traut, weil einem die Themen so heikel vorkommen. Oder man es nicht schafft, seine eigenen Gedanken und Gefühle angemessen zu formulieren. Bei “Let’s try to walk on water” ging es nicht um Nachhaltigkeit in Großstädten sondern – natürlich – natürlich? – um den Holocaust und um den Nahostkonflikt. Und – natürlich? – ging es nicht nur darum.

Die ganze Gruppe in Jerusalem. Im Hintergrund der Felsendom und rechts unten die Klagemauer. Foto: privat

Wir waren Kanu fahren im Jordan, schwimmen im Mittelmeer und feiern in Tel Aviv, feiern in Jerusalem und schwimmen im Toten Meer. Wir haben den Sonnenaufgang über Jordanien am anderen Ufer bewundert. Wir waren wandern auf den Golanhöhen und haben die Klagemauer und die Grabeskirche in Jerusalem besucht. Aber wir haben auch über die Golanhöhen und ihre Bedeutung geredet. Die Golanhöhen, von denen die israelischen Teilnehmer sagen, dass sie seit der Annexion vor 50 Jahren zu ihrem Land gehören und dass sie aus strategischen Gründen so wichtig seien. Von denen viele meiner Freunde in Deutschland sagen würden: “Golanhöhen? Dann warst du ja jetzt in Syrien und nicht nur in Israel!” Und überhaupt, “Israel”? Wenn ich dieses Wort verwende – und ich habe gesagt, “ich war in Israel” und bewusst dieses Wort verwendet – verwendet für das Land, das auf der “israelischen” Seite der Grünen Linie ist – sehe ich den Schmerz in den Augen einiger meiner arabischen Freunde. Sie lassen meine Wortwahl unkommentiert, aber selbst reden sie von Palästina.

Gespräch auf dem Bental-Berg auf den Golanhöhen. Im Hintergrund der berühmte Berg Hermon (hebr.) / Jabal asch-Schaikh (arab.). Foto: Carla Ober
Zwei UN-Soldaten auf dem Beobachtungsposten der UN. Bental-Berg, Golanhöhen. Foto: Carla Ober

Wir haben nicht nur ein Kibbuz besucht, wir waren auch im Rabin Center in Tel Aviv, in einem weiteren Kibbuz, um uns mit einer Friedensaktivistin von Givat Haviva zu treffen und in Yad Vashem in Jerusalem. Und haben uns selbst gefragt, worum es eigentlich geht und warum wir an dieser Begegnung teilnehmen. Wollten wir über den Nahostkonflikt diskutieren? Reduzieren wir Israel auf den Nahostkonflikt? Reduzieren wir Israel auf das Judentum und das Judentum auf den Holocaust? Werden “wir Deutsche” auf den Holocaust reduziert? Und diese Fragen, oder Teile dieser Fragen, oder andere Fragen, mit denen wir uns an das Thema heranstasteten, haben wir auch laut gestellt. Haben wir uns gegenseitig gefragt. Und die unterschiedlichsten Antworten bekommen. Und diese haben oft zu ganz viel Unzufriedenheit geführt: Weil wir die Antworten nicht mochten, oder nicht verstanden, oder – das war meistens das Problem – vor lauter Programm gar nicht die Zeit hatten, das gerade angerissene heikle Thema weiter miteinander zu besprechen.

Gemeinsames Zutatenschnippeln für das “Poike” (Kochen in großen Metalltöpfen auf einem Lagerfeuer), einer südafrikanischen Tradition (“potjie”), die in Israel zunehmend beliebt wird. Foto: Carla Ober

Die gute Nachricht: der zweite Teil, der “Gegenbesuch” der 10 israelischen Teilnehmer gemeinsam mit den 10 deutschen Teilnehmern in Wandlitz und Berlin kommt erst noch, nämlich ab übermorgen. Wir haben also noch ganz viel Zeit. Ok, zugegeben, das Programm in Deutschland wird ähnlich vollgestopft. Einen Teil dürfen wir deutschen Teilnehmer selbst mitgestalten: Zum Beispiel eine Session über die “Flüchtlingskrise” und warum wir, die 10 Deutschen Teilnehmer, Bauchschmerzen bei der Bezeichnung “Krise” haben. Das ist toll, denn die Flüchtlingsthematik war eins der Themen über Deutschland, zu denen uns die Israelis viele Fragen stellten.

Der israelische Guide Tsach mit der Friedensaktivistin Lydia Aisenberg. Foto: Carla Ober
Blick von Yad Vashem auf Jerusalem. Foto: Carla Ober

Ich mache mir nichts vor, wir werden genauso unzufrieden aus dem zweiten Teil herausgehen, weil wir dann wohl noch mehr offene Fragen haben werden. Wir werden noch mehr angefangene Gespräche gern zu Ende – nein, weiter, denn “zu Ende” ist selten greifbar – führen wollen. Ein guter Grund, danach mit den 19 neuen Freunden in engem Kontakt zu bleiben!

Schabbat-Feier am Freitagabend in der ganzen Gruppe, Masada Youth Hostel. Foto: Carla Ober
Festung Masada am Toten Meer. Foto: Carla Ober

Ich bin überzeugt, dass mehr als “nichts” bei ‘raus kommt: Es bleiben zwar viele Fragen. Vermutlich werde ich nie verstehen, warum man die israelische Staatsbürgerschaft durch Konversion zum Judentum nach strengen religiösen Regeln (in Einzelfällen gibt’s sie auch ohne) bekommt und jedenfalls 9 der 10 israelischen Teilnehmer auf Israels Charakter als jüdischen und demokratischen Staat Wert legen, obwohl doch von Beginn an ein Teil der Staatsbürger muslimische und christliche Araber waren und sich ohnehin alle 10 Teilnehmer als völlig areligiös (aber Juden von Nation her) verstehen.

Geburtstagsparty am letzten Abend. Feiern können die Israelis mindestens genauso gut wie wir. Und Konfetti dürfen dabei nie fehlen! Foto: Carla Ober
Müde Gesichter warten am letzten Morgen auf den Sonnenaufgang über dem Toten Meer. Foto: Carla Ober

Dennoch lernen wir voneinander. Wir lernen nicht nur Kleinigkeiten, wir lernen enorm viel voneinander. Nicht nur inhaltlich. Nicht nur, dass in jedem zweiten aktuellen israelischen Hit (oder dem, was die israelischen Teilnehmer, für die Gesamtgesellschaft nicht repräsentativ, gerne hören) balbale oder balagan (hat beides irgendwas mit Verwirrung zu tun, meist anzüglich) vorkommt, dass ein israelisches Militärlazarett Verwundete aus dem syrischen Bürgerkrieg über die Grenze holt und medizinisch versorgt, dass die Deutschen ständig eine “Pinkelpause” brauchen und es einige von ihnen körperlich überfordern kann, sie am ersten Tag in der israelischen Augusthitze unter der Mittagssonne eine Wanderung machen zu lassen. Sondern wir lernen auch enorm viel über die eigene Persönlichkeit, die eigene Gesellschaft und die des “anderen” und das eigene (vorherige oder noch bestehende) Bild des “anderen”.

Ufer des Toten Meers mit Salzkruste auf dem Wasser. Foto: Carla Ober
Die ganze Gruppe am Strand des Toten Meers. Foto: privat

OK, das war jetzt viel. Und wieder bin ich unzufrieden: ich habe das Gefühl, dass ich überhaupt nicht formulieren kann, was ich eigentlich ‘rüberbringen möchte. Und, dass ihr euch jetzt alle denkt: “Ja… und? Klingt… ja ganz interessant, aber mach’ mal halblang!” Klingt vielleicht so, weil ich glaube, dass niemand nachvollziehen kann, wie sich eine Woche nach einer Woche anfühlt, wenn man das Gefühl hat, dass es so viele Wochen waren, weil man mit ehemals völlig fremden Menschen 24/7 eine intensive Zeit (“intensiv” ist auch so ein schwaches Wort) miteinander verbracht hat. Mein Tipp also: Nehmt an Jugendbegegnungen Teil, um das hier niedergeschriebene balbale in meinem Kopf zu verstehen – und selbst zu erleben!

 

Von Carla Ober

 

Jugendbegenungen werden von den unterschiedlichsten Organisationen angeboten. Die israelisch-deutsche, an der ich teilgenommen habe, wurde vom DJH und dem israelischen Jugendherbergsverband organisiert. Die deutsch-spanische wurde von Hoch 3 und der Fundación Ensurecer organisiert. Jugendbegegnungen werden oft finanziell gefördert, zum Beispiel von Erasmus+ wie im Falle der letzteren oder dem Bundesfamilienministerium im Falle der deutsch-israelischen Begegnung. Deshalb sind die Kosten meistens in Maßen gehalten, außerdem gibt es oft noch zusätzliche Förderungsmöglichkeiten für Teilnehmer, die sich den Teilnahmebeitrag nicht leisten können.