In den Wochen bis zur Bundestagswahl am 24. September veröffentlichen wir regelmäßig Beiträge zum Wahlkampf. Hauptsächlich gibt es eine Interviewreihe geben, in der wir Studierende an der Uni Erlangen-Nürnberg fragen, warum sie die von ihnen favorisierte Partei wählen. Die Aussagen der Interviewpartner stellen deren politische Meinung und natürlich nicht die Meinung der Redaktion dar. Heute stellen wir euch Munib Agha vor, der die SPD wählt und für sie im Erlanger Stadtrat sitzt.

 

V: Gleich mal ganz frech vorweg gefragt und nicht ganz ernst gemeint: Mir wurde geflüstert, dass du mit vielen Jurastudenten befreundet bist. Sind die alle dem Klischee entsprechend FDP-Wähler? Musst du dich oft rechtfertigen? Oder entspricht dein Freundeskreis ungefähr deinem politischen Spektrum?

Die ganzen Juristen kenne ich über die SPD bzw. sind die zumindest alle eher links-liberal. Durch die Partei insgesamt habe ich auch eher einen SPD-Freundeskreis, beziehungsweise ist mein engerer Freundeskreis grundsätzlich alternativ links-liberal.

 

V: Ok, dann fangen wir mal an. Warum wählst du die SPD? Was hat dich überzeugt?

Ich identifiziere mich mit vielen Grundwerten der SPD. Für solidarische Gesellschaft zu kämpfen, das ist das Langfristige, was mich aber nicht davon abhält, viele in den letzten Jahren beschlossene Dinge kritisch zu sehen. Der Grund, warum ich die SPD dieses Jahr wähle, ist vor Allem das Programm zum Bereich Arbeitnehmerrecht, zum Beispiel die Abschaffung der Sachgrundlosen Befristung. Aus studentischer Perspektive gesehen: Man ist immer damit konfrontiert, dass man eine Stelle kriegt, die erstmal befristet ist, das erschwert die Familienplanung. Ein unbefristeter Job gibt einem eine Grundsicherheit, die auch persönlich psychisch entlastet.

Auch aus studentischer Sicht, auch wenn ich selbst nicht BAföG-Anspruch habe. Eine Studie hat neulich festgestellt, dass BAföG-Sätze falsch berechnet sind, weil die Mietpreise zu niedrig geschätzt werden. Die SPD will die BAföG-Sätze erhöhen.

 

V: An wen richtet sich die SPD?

Als Volkspartei ist sie die Alternative zur konservativen Union und richtet sich natürlich ursprünglich an Arbeiter und Linksliberale und generell an Arbeitnehmer. Sie hat den Anspruch, sich an Leute zu richten, die prinzipiell nicht zu den Besser- / Bestverdienern gehören, an Familien mit Kindern, Minderheiten und natürlich an Studierende. Sich für die Gleichstellung von Mann und Frau einzusetzen als die Partei, die maßgeblich vor 99 Jahren für die Einführung des Wahlrechts für Frauen gekämpft hat, ist auch ein für mich wichtiger Anspruch.

 

V: Redest du so viel von Studierenden, weil du gerade von “V – das Studentenmagazin” interviewt wirst?

Es ist erwiesen, dass Studenten eher links wählen und das sieht man auch in Erlangen, wo SPD, Grüne und Linke – besonders die Grünen – sehr gut abschneiden.

 

V: Bist du in der SPD Mitglied?

Ja, und ich sitze seit 2014 im Erlanger Stadtrat. Dort bin ich haushaltspolitischer Sprecher und Sprecher für Bekämpfung des Rechtsradikalismus in der Fraktion.

 

V: Seit wann bist du Mitglied in der SPD?

Seit April 2009. Ich bin beigetreten, um den linken Flügel in der SPD zu unterstützen ich sehe mich als Teil der politischen Linken. Die Erlanger SPD ist auch im bundesweiten Vergleich eher links.

 

V: Wen findest du in der SPD am sympathischsten? Wen am wenigsten? Und warum?

Sehr sympathisch finde ich den Bundestagsabgeordneten Marco Bülow: Er macht sich, seit er im Bundestag sitzt, sehr für Transparenz stark, kämpft für ein klares Lobbyregister und dass aus Gesetzen klar wird, wer an ihrer Entwicklung beteiligt war und wie der Beratungsprozess gelaufen ist. Er möchte, dass Abgeordnete auf den Cent genau ihre Nebeneinkünfte sowie Mitgliedschaften in Vereinen angeben. Auch in anderen Bereichen, vor Allem der Wirtschafts- und Sozialpolitik vertritt er Positionen, die ich teile.

Weniger sympathisch finde ich Thomas Oppermann, den Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion, weil er sehr technokratisch wirkt und Dinge durchgesetzt hat, die ich nicht so toll fand.

 

V: Wie findest du Martin Schulz?

Prinzipiell finde ich die Person bei der Bundestagswahl weniger wichtig als das Programm, schließlich wählen wir das Parlament, den gesetzgebenden Körper. An Martin Schulz schätze ich, dass er als Präsident des Europäischen Parlaments für eine Politisierung der EU gesorgt hat. Das ist der Schwachpunkt der Institution EU, dass sie viel zu wenig politisiert ist und nicht die Öffentlichkeit bekommt, die sie eigentlich haben müsste, als die wichtige Instanz für politische Entscheidungen, die sie geworden ist. Ich bin auch überzeugt, dass er der bessere Kanzler wäre, weil er, wenn es drauf ankommt, Position beziehen würde. Das hat Angela Merkel in den letzten 12 Jahren fast nie gemacht, sie hat sich auf eine präsidiale Rolle zurück gezogen, die nicht ihre Funktion als Regierungschefin ist.

 

V: Glaubst du, dass er nicht nur leere Versprechungen macht? Was passiert, wenn er die nächste große Koalition eingeht?

Ich denke, dass es für die SPD durch dieses Wahlprogramm rote Linien gibt, ohne die die SPD keine Koalitionen eingehen kann. Das sind die Punkte, die ich schon genannt habe: Deutliche Verbesserungen bei den Arbeitnehmerrechten hinsichtlich der Befristung der Verträge, außerdem Rentenpolitik und die Gleichstellung von Mann und Frau. Bei letzterer gab es ja auch einen gewissen Koalitionsbruch beim Gesetz zum Rückkehrrecht auf Vollzeit, das gescheitert ist und wo die Union das Wort gebrochen hat. Unter diesen roten Linien weiß ich auch nicht, ob es überhaupt wieder zu einer großen Koalition kommen kann, da es die Glaubwürdigkeit der SPD untergraben würde, wenn diese roten Linien nicht eingehalten werden. Außerdem halte ich große Koalitionen für unsere Demokratie grundsätzlich nicht gut, außer in Ausnahmen wie 2005. 2013 habe ich auch gegen die große Koalition gestimmt und war ein vehementer Gegner dieser. Die SPD hat ein paar gute Sachen erreicht wie Mindestlohn, die Quote im Aufsichtsrat, Kommunen zu entlasten und ihnen mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Aber die Schattenseite überwiegt: Die ganzen Sicherheitsverschärfungen, die Asylpakete, die Vorratsdatenspeicherung. Sie ist eigentlich eine Koalition des Stillstands, die nur wegen einer momentanen wirtschaftlichen guten Lage gut dasteht, wofür die Union aber nichts getan hat.

 

V: Welche Koalition wünschst du dir?

Wenn es eine linke Mehrheit gibt, wünsche ich mir eine rot-rot-grüne Koalition.

 

V: Und wenn nicht?

Opposition. Die Partei ist halt eine Partei links der Mitte – und das gilt für die ganze europäische Sozialdemokratie. Die größten Gemeinsamkeiten trotz aller Differenzen hat die SPD halt mit den Grünen und Linken und wenn man sich nach den Wahlen anschaut, mit welchen Parteien man am besten Ziele umsetzen kann, dann ist das nicht die Union und nicht die FDP.

 

V: Was stört dich an deiner Partei?

Ich würde mir eine mutigere SPD wünschen, das war sie in den letzten Jahren nicht. Dass sie sich kritischer mit ihrem Regierungshandeln unter rot-grün auseinandersetzt und sich klar macht, dass es nicht schlimm ist, Fehler zuzugeben, weil Fehler menschlich sind und das auch für PolitikerInnen gilt. Die SPD neigt manchmal (nicht in Erlangen, wo gerade eine Ampelkoalition regiert), es sich bequem zu machen und eine große Koalition anzustreben, nur weil das komfortabler erscheint. Ich würde gerne auch nach alternativen Mehrheiten suchen und inhaltlich radikalere Sachen fordern. Zum Beispiel liegt in Deutschland der Investitionsstau bei mittlerweile 140 Milliarden Euro und da vermisse ich, dass man klar eine Umverteilung von oben nach unten fordert, um das zu stemmen. Von einer stärkeren Besteuerung, um das zu finanzieren, und von einer öffentlichen Daseinsvorsorge profitieren alle Menschen, auch die, die dann stärker belastet werden. Ich finde die Vorschläge zur Rentenreform der SPD einen wichtigen ersten großen Schritt, aber eine Rente hat ja den Anspruch, den Lebensstandard sichernd vor Armut zu schützen. Da ist man noch nicht am Ziel und müsste radikaler sein. Zum Beispiel mit einem Modell der Bürgerversicherung, wo auch Selbstständige und Beamte ins selbe System einzahlen. Österreich zeigt, dass das geht.

 

V: Du scheinst ja im Gegenteil zu Wählern und Medien große Unterschiede zur Union zu sehen – wie kann die SPD diese deutlich machen?

Sie muss den WählerInnen klar machen, dass in den wichtigen Bereichen Arbeitnehmerrechte, BAföG und Rente da ein deutlicher Unterschied zu sehen ist. Ich bin aber der Meinung, dass, vor Allem, was die Rente angeht und auch in der Steuerpolitik, die SPD die Unterschiede sehr deutlich gemacht hat. Aber ja, das TV-Duell zwischen Schulz und Merkel hat nicht gerade dazu beigetragen, Unterschiede zu sehen. Das liegt aber an dem kuriosen Schwerpunkt der Moderatoren auf Themen, die eher an das Wahlprogramm der AfD erinnern. Die ersten 60 Minuten ging es ja nur um geflüchtete Menschen und den Islam, die nicht die drängendsten Themen sind, wenn man sich den Bereich der Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltpolitik anschaut. Über die Rente wurde gefühlt 5 Minuten gesprochen und dann ging es nur noch um die Dieselaffäre.

 

V: Welche andere Partei findest du gut, welche nicht gut und wieso?

Ich finde das Wahlprogramm der Linken in vielen Punkten sehr gut, vor Allem würde ich mir auch da wünschen, dass sich meine Partei dem etwas annähert. Nicht gut finde ich – wie formulier ich’s – selbstverständlich die AfD, weil sie seitdem sie existiert eigentlich schon eine rechtsradikale Partei war. Nur weil sie damals das Thema Euro besetzt hat, ist das nicht aufgefallen. Kenner der rechtsradikalen Szene haben schon damals gewarnt, dass sich da Leute zusammen finden, die der rechtsradikalen Szene mindestens nahe stehen. Bei der AfD Bayern hat der BR jetzt nachgewiesen, dass der Landesvorsitzende Kontakte zu Rechtsradikalen pflegt und dabei fotografiert worden ist. Die Junge Alternative pflegt Kontakte zur völkischen Identitären Bewegung. Da ärgert es mich, dass Zeitungen wie die FAZ und weitere Medien die AfD als liberal-konservative Partei gehypet haben. Mich ärgert auch die Aufmerksamkeit, die der AfD durch die öffentlich-rechtlichen Medien eingeräumt wurde. Sie hat den Diskurs nach rechts verschoben, das wäre sonst gar nicht möglich gewesen.

 

V: Schulz möchte keine Rente mit 70, die Schäuble nun – anders als Merkels Versprechen im TV-Duell – doch fordert. Wenn die Menschen, die immer älter werden und immer länger gesund bleiben nicht auch länger arbeiten, wie soll die Rente in Zukunft finanziert werden? Die Rente ist ja ohnehin heutzutage schon oft so niedrig, dass Menschen kaum würdig von ihr leben können, und genau das ändern zu wollen, verspricht Schulz ja auch.

Was wir uns als junge Menschen klar machen müssen ist, dass das Wort Finanzierbarkeit eine politische Vokabel ist und die Finanzierung der Rente eine Frage der Prioritätensetzung und -umverteilung ist. Österreich hat eine 14-Monatsrente und hat mit ähnlichen demographischen Problemen zu kämpfen wie Deutschland. Gemessen am BIP zahlen die mehr und es besteht der politische Wille dazu. Zudem ist der demographische Faktor auch nicht der allein entscheidende.

 

Ist Schulz nicht viel zu unerfahren im Bundestag und bundesdeutscher Politik, um Bundeskanzler zu werden? Schließlich ist Schulz direkt von der Kommunalpolitik in die Europapolitik gegangen.

In den 50er bis 70er Jahren war es die Stärke der SPD, dass sie gute Kommunalpolitiker in die Bundespolitik geholt hat. Deswegen mach’ ich mir da keine Sorgen.

 

Ist das dann auch dein eigener Karriereplan?

Nein. Natürlich weiß ich nicht, was langfristig kommt, aber ich möchte erstmal meine Doktorarbeit fertig schreiben und einen Job anstreben, der nicht primär mit Politik zu tun hat. Prinzipiell ausschließen würde ich das aber nicht.

 

Was ist dein Lieblingswahlplakat?

Das Plakat, das aussagt, dass Frauen deutlich weniger verdienen als Männer. Auf dieses große Problem wird zu Recht hingewiesen:

Quelle: SPD bei Facebook.

 

Was hältst du vom TV-Werbespot?

Ich finde den nicht schlecht.

 

Munib Agha im Stadtpalais. Foto: Carla Ober

Steckbrief:

Name: Munib Agha

Alter: 28

Geschlecht: männlich

Studienfach: Promotion in Mathematik

Berufswunsch: Das weiß ich selber noch nicht. Aber ich möchte nicht an der Uni bleiben.

Herkunft: Oberbayern, Landkreis Mühldorf am Inn

Beruf der Mutter: Keine Angabe

Beruf des Vaters: Keine Angabe

Würdest du dich als Arbeiterkind bezeichnen? Nein. Ich bin ein klassisches Akademikerkind.

Geschwister: Eine ältere Schwester

Familienstand: Keine Angabe

Hetero oder LGBTQI? Keine Angabe

 

 

Das Interview führte Carla Ober.

 

Interviews, die außerdem zur Bundestagswahl erschienen sind:

Hier geht’s zur FDP.

Hier geht’s zu DIE LINKE.

Hier geht’s zur ÖDP.

Hier geht’s zu Bündnis 90/Die Grünen.

Hier geht’s zur Tierschutzpartei.

Hier geht’s zur CSU.

Hier geht’s zur AfD.

Hier geht’s zur V-Partei³.

Hier geht’s zu DIE PARTEI.

 

Hinweis: Die Auswahl der Parteien sagt nichts über die politische Meinung der Redaktion aus. Wir hatten das Ziel, alle größeren oder im Moment wichtigen Parteien zu behandeln und haben zusätzlich Parteien aufgenommen, von denen wir zufällig Wähler unter unseren Freunden hatten oder die auf uns zu kamen. Leider können wir aus Kapazitäts- und Zeitgründen keine weiteren Interviews mehr führen.

Die Reihenfolge der Interviews stellt ebenfalls keine politische Aussage dar und ist allein davon abhängig, in welcher Reihenfolge unsere Autoren und die Gesprächspartner Zeit hatten.