Unsere Autorin würde gerne die Welt retten und ist angesichts des fortschreitenden Klimawandels, der nicht handelnden Politik und ihrer eigenen Unfähigkeit und Doppelmoral ziemlich verzweifelt. Von Al Gores neuem Film wollte sie sich neue Motivation, endlich selbst mehr zu tun, holen. Zwar hat der Film ihr etwas neue Hoffnung gegeben und außerdem ein schlechtes Gewissen, dass sie schon wieder mit dem Auto gefahren ist. Aber vor allem hat er sie frustiert.

 

Im E-Werk wird ein Film kostenlos gezeigt und ich habe Zeit – außerdem geht es um DAS Thema, das mir regelmäßig Kopfzerbrechen bereitet: dem Klimawandel. Weitsicht ERlangen, Dritte Welt Laden Erlangen e.V. und Energiewende ER(H)langen e.V. zeigen den neuen Film von Al Gore: Zehn Jahre nach seinem Film “Eine unbequeme Wahrheit” von 2007 heißt der Nachfolgefilm “Immer noch eine unbequeme Wahrheit”. Dieser Titel spricht mir aus dem Herzen. Ich bin neugierig, auch weil ich den ersten Film nicht gesehen habe. Da muss ich hin!

Der Anfang spricht mich an. Relativ bald besucht Al Gores Team Forscher auf Grönland, es wird ein unter der Forschungsstation hinwegschmelzender Gletscher gezeigt. Konkrete Beobachtungen der Wissenschaftler, Zahlen und Fakten kommen auf den Tisch beziehungsweise auf die Leinwand. Ihre Menge wird sich leider im Laufe des Films nicht auf diesem Niveau fortbewegen.

Was sich hingegen leider durch den Film hindurchzieht und mich sehr stört ist die Omnipräsenz Al Gores selbst. An ein, zwei Stellen habe ich sogar das Gefühl, dass gerade allein Leben und Wirken Gores und nicht der Klimawandel Thema sind. Zunehmend nervt mich auch sein langsamen Redetempo (beziehungsweise der deutschsprachigen Synchronstimme) und die Redundanz mancher Aussagen, ohne dass sie vertieft werden. Diese Umstände kann ich aber gegen Ende des Films, als Trump gezeigt wird und sein O-Ton zu hören ist, fast verzeihen. 😉

 

Al Gore rettet die Welt

Die Selbstdarstellung Gores gipfelt in die Szenen der Pariser Klimakonferenz, die viel Raum des Films einnimmt. Dramatisch: Indien möchte das Klimaabkommen nicht. Luxus wie erneuerbare Energien könne es sich schlicht nicht leisten, Narendra Modi möchte hunderte Kohlekraftwerke bauen, um die riesige Bevölkerung Indiens erst einmal überhaupt mit Strom zu versorgen. Der Westen möchte Indien Geld nur zu Wucherzinsen leihen, also kann es keine Solarzellen kaufen. Gut, dass Al Gore da ist.

Schon im Vorfeld hat er sich – erfolglos – mit dem indischen Energieminister getroffen. Auf der Klimakonferenz überzeugt er nun Indien. Er arrangiert einen Deal mit dem US-amerikanischen Solarzellenhersteller SolarCity, der Solarenergie für Indien erschwinglich macht und das Image der US-Firma aufpoliert. Al Gore rettet die Pariser Klimakonferenz (und das Klima und die armen Entwicklungsländer), so scheint es. Bei dieser Darstellung geht Gores eigene Bemerkung, der Deal sei ohne Obama, Kerry, Hollande und andere nie zustande gekommen, unter.

 

Von Geographie und Technik

Hach ja, die Entwicklungsländer. Auch die können ja erneuerbare Energien, wenn sie wollen. Stolz zeigt Al Gore eine “Solarzelle auf einer afrikanischen Strohhütte”. Anders als bei seinen zahlreichen Beispielen von Umweltkatastrophen in Nord- und Südamerika, Europa und Asien, reicht ihm in diesem Fall die geographische Angabe “Afrika”. Wen interessiert schon, in welchem der 55 (inkl. Westsahara) Länder diese Strohhütte steht. Ist übrigens, wenn ich mich richtig erinnere, die einzige Erwähnung Afrikas im ganzen Film.

Oft wünsche ich mir in all der Zeit, die ich im überfüllten E-Werk-Kino an der Eingangstür stehe und meinen Kopf Richtung Leindwand recke, mehr Infos. Auch hätte ich an Gores Stelle nicht die Szene verwendet, in dem er einem Telefonpartner erklärt, wie die SolarCity-Solarzellen gebaut werden und funktionieren – indem er den auf einer Webseite markierten Text von dem Laptop, den ihm sein Assistent gereicht hat, vorliest. Das Erlanger Publikum muss da ziemlich laut lachen.

An einer anderen Stelle komme ich dafür mit den Infos nicht mehr mit: Zwei Wochen vor der Pariser Klimakonferenz, am 13. November 2015, möchte Gores Team live aus Paris auf Sendung und wird von dem verheerenden Terroranschlag unterbrochen. Zu Beginn der Konferenzszenen berichtet Al Gore aus dem Off dann, dass viele einen Zusammenhang zwischen dem Terroranschlag und der Konferenz hergestellt hätten. Was dieser Zusammenhang, außer viel Lob für die Stadt, dass sie die Konferenz trotzdem durchzog, denn sei, wird nicht deutlich und ist mir auch jetzt noch nicht klar.

 

Von Hoffnung, Paris und Trump

Al Gore macht Ökoherzen wie mir aber auch Mut, nicht nur mit dem Erfolg der Pariser Klimakonferenz (Ok, da kommt dann noch Trump, aber erstmal fordert Gore die Klimaschutzbewegung auf, die Durchsetzung des Abkommens einzufordern). Gore zeigt ab und zu Zahlen, zu sinkenden Solartechnikpreisen und örtlich exponentiell wachsender Nachfrage. Von diesen Balsamtüpferchen auf die Seele möchte man noch mehr haben.

Al Gore zieht Parallelen von der Klimabewegung zu der US-Bürgerrechts-, zur Schwulen- und zur Anti-Apartheitsbewegung. All diese hätten trotz Rückschlägen irgendwann plötzlich Erfolg gehabt. Mein Hinterkopf fragt zwar: Ist es dann nicht zu spät? Ist es vielleicht jetzt schon zu spät? Und seit wann hat eigentlich die Schwulenbewegung, mein Hinterkopf nennt sie LGBTQI+(oder so)-Bewegung, schon all ihre Ziele erreicht? Trotzdem, Trost und Mut spendet der Film ein bisschen.

Al Gore ist sogar versöhnlich, und zwar in der US-Innenpolitik, und das mitten im Trump-Wahlkampf. Es gibt da ein paar Städte in den USA, deren Stromversorgung aus 100% erneuerbaren Energien kommt. Darunter auch Georgetown in Texas, das hat einen ganz freundlichen Bürgermeister. Und der ist zwar Republikaner, aber trotzdem wollte er den Ökostrom nicht nur, weil er billig war, sondern auch, weil es ja gut ist, nicht unnötig die Luft zu verpesten.

 

Die völlig abwegige Überflutung des Ground Zero

Sehr beeindruckt mich eine Verbindung zwischen den beiden Filmen Gores: An diesem sei eine Szene am meisten kritisiert worden, sagt Gore nun im zweiten Film: Im ersten Film überfluten Wassermassen in einer Animation Straßen von New York und die Baustelle für das One World Trade Center auf dem Ground Zero. Das sei völlig abwegig, sei die Kritik gewesen. In seinem zweiten Film kann Gore nun echte Bilder von der Überflutung New Yorks und des Ground Zero zeigen.

Und trotzdem. Mir drückt schon während des gesamten Films massiv der Schuh: Was sind die Folgen des Klimawandels? Schmelzendes Eis, steigender Meeresspiegel und untergehende Städte, Inseln, Staaten. Fluchtbewegungen und Dürren. Das erwähnt Gore. So weit so knapp – wenn man schon beim steigenden Meeresspiegel ist, hätte man da auch nochmal über Wasser- und nicht nur Landknappheit reden können, und über die rasant schrumpfende Artenvielfalt (auch wenn sicher einige Zuschauer erleichtert waren, auf dem schmelzenden Eis nicht schon wieder sterbende Eisbären sehen zu müssen – unbequem ist aber etwas anderes) und allgemein zerstörte Ökosysteme, und und und.

Viel mehr schmerzt mein Zeh aber wegen der Ursachen des Klimawandels, wegen der nicht erwähnten zahlreichen Ursachen, ganz massiv schmerzt er. Der gesamte Film beschäftigt sich mit nichts anderem als erneuerbaren Energien statt Öl, Gas und Kohle. Er suggeriert dadurch, dass das Problem des Klimawandels gelöst ist, sobald endlich der Strom der ganzen Welt aus Solar- und Windenergie kommt (Alternativen wie Wasserkraft lässt Gore auch aus).

 

Und die Unbequemlichkeit?

Das ist nicht die unbequeme Wahrheit, das ist leider nur eine klitzekleiner Teil dieser. Der Teil vermutlich, der Al Gore als Unternehmer und Investor in grüne Energie interessiert. Im Film ist zum Beispiel nie die Rede vom Transport, außer, dass ein Flugzeug in einer Grafik zur Herkunft von Treibhausgasen auftaucht. Klar, man überquert heutzutage den Atlantik mit dem Flugzeug und dass Al Gore überall Auto fährt, kann ich ihm auch nicht verübeln. Erstens, weil öffentliche Verkehrsmittel in den USA weniger vorhanden oder populär sind als bei uns. Zweitens, weil ich zu dieser Filmvorführung mit dem Auto gekommen bin. Dabei gäb’s in Erlangen genug Busse. Dass er aber auf dem Weg zur COP in Paris erst aus dem Auto steigt und die Metro benutzt, als es im Stau kein Weiterkommen mehr gibt, finde ich aber trotzdem traurig und noch viel trauriger, dass sich der Klima-Guru nicht mit Alternativen zu dem Benzin oder Diesel, den er da im Auto verbraucht, beschäftigt. Für E-Autos macht jedenfalls Tesla etwas Werbung – Al Gore könnte in den USA eine mächtige Stimme sein, um den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel zu fördern. Das gleiche gilt für so viele andere Themen. Warum wird er nicht selbst richtig unbequem, wie er das im eigenen Film fordert?

Am allerschlimmsten aber klafft für mich ein Loch in diesem Film für jedes Wort, das der in meinen Augen entzauberte Klima-Guru nicht über die Landwirtschaft und vor allem die Fleisch- und Milchproduktion verliert. Seine Worte darüber sind gezählt genau: Null! Er redet viel von Treibhausgasen. Aber er schweigt darüber, dass man nicht weiter Regenwald zerstören sollte, der diese Treibhausgase teilweise auffangen kann, sie bei seiner Zerstörung aber abgibt. Zerstörung für Weiden, um noch mehr, noch billigeres Fleisch zu produzieren. Oder für allerlei Getreide, um dieses an die Masttiere zu verfüttern. Er redet nicht über Methan furzende Rinder und Schafe, Methan produzierenden Nassreisbau oder Monokulturen. Über Dünger, Pestizide, Antiobiotika oder Plastik sowieso nicht. All dies sind sehr unbequeme Themen, unbequeme, immer noch unbequeme Wahrheiten, und “unsere Zeit läuft” (Untertitel seines Films), und zwar rasend schnell, davon.

Wir sollten uns nicht einreden lassen, man könne auch den Mars besiedeln, sagt Al Gore am Ende. Man habe es nicht einmal geschafft, New Orleans rechtzeitig für einen Hurrikan zu evakuieren. Danke, trotz allem, für diesen Film und vor allem diese Worte, Al Gore!

 

Von Carla Ober

 

PS: Mein Filmtipp, um sich mit dem Thema Fleischproduktion auseinanderzusetzen: Cowspiracy. Auch dieser Film hat seine komischen Seiten, aber er ist in meinen Augen ein enorm wichtiger Denkanstoß und “Wachmacher” – also das, was ich mir von Al Gore erhofft hatte.