Am Donnerstag den 3. Mai redete der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner im „Großen Hörsaal“ bei uns an der FAU. Das Thema: „Die Zukunft der Demokratie in Europa“. Der Vortrag fand im Rahmen eines Kolloquiums von Prof. Dr. Clemens Kauffmann (Lehrstuhl für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte) in Kooperation mit der liberalen Hochschulgruppe und zwei FDP-nahen Stiftungen statt. Nun steht die Frage im Raum: Ist die Unabhängigkeit unserer Universität in Gefahr?

 

Ich sitze noch in meinem Seminar. Die Zeit drängt. Es ist kurz vor 11 Uhr und eine Freundin schreibt mir gerade die Schreckensbotschaft: Sie ist drinnen, aber man lässt niemanden mehr in den Hörsaal. Einlassstopp. Immerhin möchte mein Dozent auch zu dem Vortrag, deswegen macht er etwas früher Schluss. Letztendlich bin ich um 11:30 Uhr vor dem Hörsaal – vor einer viertel Stunde sollte das Kolloquium anfangen. Vor mir stehen zwei Studis, vermutlich von der liberalen Hochschulgruppe, und lassen niemanden mehr rein. Vor ihnen ein paar Dutzend weiterer Studis, die etwas genervt und etwas entmutigt dreinblicken. Ich drängele mich ein wenig vor und komme glücklicherweise mit der Aussage „Bin von der Studizeitung!“ doch noch in den Saal.

Es ist voll. So voll habe ich den Hörsaal das letzte Mal in meinem ersten Semester Politikwissenschaft hier an der FAU gesehen. Damals noch mit den ganzen motivierten Erstis. Heute sehe ich auch teilweise motivierte und erwartungsvolle Gesichter. Leute, die sich wahrscheinlich auf die Polit-Prominenz freuen, die heute zu Gast ist. Die andere Hälfte schaut eher skeptisch, wenn nicht sogar genervt. Der Grund für ihren Gesichtsausdruck ist wahrscheinlich eine Mischung aus schlechter Luft, einer gewissen Schwüle im Raum und nicht zuletzt die lange Wartezeit.

 

Der Hörsaal war so voll, dass sich sogar auf die Treppen gesetzt wurde. Und das waren gerade mal die Leute, die in den Raum hereinkamen. Foto: Selim Kücükkaya

 

Die erste Stunde des Kolloquiums muss der Organisator, Prof. Dr. Clemens Kauffmann, alleine bestreiten. Den kritischen Fragen einiger KommilitonInnen begegnet er weitestgehend souverän und mit einer Prise Humor. Es wird die Sinnhaftigkeit der Veranstaltung infrage gestellt und gefragt, warum denn nicht auch VertreterInnen anderer Parteien mal zu uns an die Uni kommen. Einer Bemerkung zu dem „personenbezogenen“ Wahlkampf der FDP entgegnet er, dass die Studierendenschaft und generell ein großer Teil der Bevölkerung Politik zu personenbezogen betrachtet. Die Inhalte seien vielmals nur Nebensache. Generell fällt ihm in der Öffentlichkeit und in den Medien das Verständnis von „Politik als Kampf“ negativ auf und er weist darauf hin, dass man Politik auch als Verständigung betrachten kann. Darüber hinaus möchte er natürlich nicht die Partei rechtfertigen müssen, immerhin sei er hier ja als Wissenschaftler. Dabei ist die Kritik von Seiten der Studierenden keinesfalls komplett unbegründet. Kauffmann gibt auf seiner Instituts-Website selbst an, dass er seit 2005 „Vertrauensdozent“ für die Friedrich-Naumann-Stiftung hier an der FAU ist. Diese Stiftung ist neben der Liberalen Hochschulgruppe und der Thomas-Dehler-Stiftung gleichzeitig auch als Kooperationspartner in der FB-Veranstaltung angegeben. Alle sind zumindest FDP-nah.

 

Prof. Dr. Clemens Kauffmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte. Foto: Selim Kücükkaya

 

Mit den Worten „Heute wird nicht gelindnert“ löst der Bundesvorsitzende der FDP um etwa 12:30 Uhr endlich Prof. Kauffmann ab. Mit der Anspielung auf den Rückzug der FDP aus den Verhandlungen für eine mögliche Jamaika-Koalition Ende letzten Jahres tritt die zweite Phase des Kolloquiums ein: Die Lindner-Phase. Um die Demokratie zu retten, spricht er verschiedene Punkte an: Zum einen fordert er „WLAN statt Kreuze“ in Bayern, wobei er natürlich auf das neue Gesetz der bayerischen Staatsregierung anspielt, das Kruzifixe in allen bayerischen Behörden vorsieht. Lindner entdeckt in diesem Vorgehen die Tendenz „Religion zu einer Kategorie der Politik“ zu machen. Wobei wir gerade jetzt eine „Regierung als Schiedsrichter“ bräuchten, die nicht eine bestimmte Linie verfolgt. Im Hinblick auf das Erstarken der AfD ermahnt er die CSU: „Wenn du die AfD klein machen willst, übernehme nicht ihre Parolen. Mach die Probleme klein, die zu diesen Parolen führen!“ – wofür er auch viel Applaus erntet.

Neben der Forderung, Migration „nicht mit dem Bauch, sondern mit dem Verstand“ zu begegenen, gibt er auch noch einen Sidekick gegen Horst Seehofer, der den deutschen Bedarf an Fachkräften und das generelle Altern unserer Gesellschaft mit „Kindern aus deutschen Familien decken“ wolle. Dies würde jedoch nicht ausreichen, da hierfür eine Frau im Durchschnitt sieben Kinder gebären müsste.

 

Der Bundesvorsitzende der FDP während seiner Rede. Foto: Selim Kücükkaya

 

Gegen Ende des Vortrags geht Lindner noch auf einen sogenannten „Clash der ‘alten governance’ mit der ‘neuen governance’“ ein, was er am Beispiel der Anhörung von Mark Zuckerberg vor dem US-Kongress verdeutlicht. Auf der einen Seite der Kongress als Repräsentant einer gewählten Regierung und der „alten governance“. Auf der anderen Seite der Facebook-Gründer Zuckerberg, als Vertreter der „silicon valley Plattform, Unternehmen mit Monopolcharakter“. Also multinationalen Internet-Unternehmen, die immer mehr die gewohnten Kompetenzen der Staaten in Bedrängnis bringen. Sichtbar werde dieser Konflikt mit sogenannten „Hatespeech-Filtern“ auf Facebook, die auf Basis von Algorithmen selbstständig (vermeintliche) Hassbotschaften erkennen und von der Plattform löschen.
Als Antwort auf die vielen angesprochenen Fragen sieht er außerdem Europa. Dabei stört ihn das Verhalten der Bundesregierung, die die Vorschläge Macrons wie ein Vorstoß zu einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft entweder mit Schweigen oder einem unentschlossenen „meeeeh“ beantworte. Dabei ist ihm vor allem wichtig, dass „wir das europäische Einigungsprojekt nicht generell bezweifeln“.

Mit einem letzten Appell, bei den Wahlen nicht die Partei DIE LINKE oder die AfD zu wählen, da sie eine ganz „andere politische Kultur“ in Deutschland forderten, beendet Lindner auch seinen Monolog und widmet sich in der letzten halben Stunde den Fragen des Publikums. Dabei werden viele Themen wie die Beziehungen zur Türkei, Kopftuchverbote, die Größe des Bundestags und auch einige kritische Fragen zu Lindner und der liberalen Politik der FDP gestellt.

 

Der Saal war voll! Eine bunte Mischung aus Studis, Lehrenden und sonstigen Gästen war anwesend. Foto: Selim Kücükkaya

Im Vorfeld und während der Veranstaltung gab es einige Kritik rund um die Frage nach der Unabhängigkeit, Ausgewogenheit und der Wissenschaftlichkeit der Veranstaltung. Man möchte ja keinen Wahlkampf am Campus habenso der überwiegende Kanon. „Unabhängig“ war die Veranstaltung jedoch wohl kaum. Das zeigt allein schon die Liste der Kooperationspartner und nicht zuletzt die Verbindung von Prof. Dr. Kauffmann zur Friedrich-Naumann-Stiftung. Auch die große Zahl an Flyern der LHG, die mit einem Mitgliedschafts-Formular auf der Rückseite über den Tischen verteilt waren, spricht eine andere Sprache. Das ist aber auch nicht schlimm. Es ging ja immerhin um eine „liberale Sichtweise“ auf Deutschland, die Demokratie und Europa. Und wer könnte dies besser darstellen als liberal denkende Menschen? Der Ort ist ja eine Universität. Hier sollte man davon ausgehen können, dass die Zuhörerschaft kritisch mit dem Gesagten umgehen kann.

Auch inhaltlich kann man zumindest während der Lindner-Phase nicht gerade von Wissenschaftlichkeit, geschweige denn Unabhängigkeit reden. Nachdem er den Raum betreten hatte, kam mir das ganze quasi wie eine Wahlkampfveranstaltung vor. Seine Aussagen waren zu einem großen Teil von der Kritik am Verhalten anderer konkurrierender Parteien und der Regierung geprägt. Die großen liberalen Ideen zu Europa und zur Demokratie suchte ich vergeblich. Was für Lindner „eine neue Generation Politik bedeutet und wie eine liberale Vision für Europa aussehen kann“, wie es die Veranstaltungsbeschreibung auf Facebook ankündigt, kam für mich nicht wirklich ‘raus. Lindner möchte wahrscheinlich gerne das deutsche Pendant zu Macron in Frankreich werden, der mit seiner Grundsatzrede zu Europa im vergangenen Jahr hohe Wellen geschlagen hat. Doch davon war er mit seiner Rede in Erlangen noch weit entfernt.

Trotz alledem bin ich von der Wichtigkeit und der Sinnhaftigkeit dieser Veranstaltung fest überzeugt. Gerade die Studierenden der Politikwissenschaften (für die die Veranstaltung primär gedacht war), sollten sich nicht hinter ihren wissenschaftlichen Theorien und Analysen verstecken, sondern sich auch mal mit der politischen Realität beschäftigen. Und dafür war die Veranstaltung, wie ich finde, perfekt.

Was jetzt natürlich noch fehlt, sind die Darstellungen von anderen politischen Ideen und Strömungen der heutigen Zeitin demselben Umfang. Und hierbei stimme ich teilweise Kauffmann auch zu, der während der Veranstaltung sagte, dass man „nicht die ganze Welt in einer Vorlesung erklären“ kann. Er sieht vor allem auch die Studierendenschaft in der Pflicht, sich um weitere solcher Vorträge zu kümmern. Ich würde die Lehre bei diesem Appell nicht ganz außen vor lassen, aber schließe mich ihm an: Organisiert eigene Vorträge und Veranstaltungen an der Uni und ladet dazu wichtige Menschen ein, die andere politische Strömungen repräsentieren. Helft, die Uni letztendlich zu einem politisch pluralen Ort zu machen.

 

Von Selim Kücükkaya