Er ist allgegenwärtig in Deutschland. Viele scheinen ihn nicht wahrzunehmen und doch ist er da. Versteckt hinter harmlos gemeinten Witzeleien oder in Interesse heuchelnden Fragen, die ja eigentlich gar nicht so gemeint waren. Die Rede ist von Alltagsrassismus.

 

Joana und Sabrina beim Interviewen am Schlossstrand. Foto: privat

Alltagsrassismus – ein Phänomen, das oft als „rechte Randerscheinung“ abgestempelt wird, aber eigentlich die ganze Gesellschaft und den Alltag durchdringt. Unterbewusst wird anhand äußerer Merkmale entschieden, wer zur ‚normalen‘ Mehrheitsgesellschaft gehört und wer nicht.

Joana ist 22 Jahre alt. Geboren in Deutschland, aufgewachsen in Berlin. Der Vater kommt aus Deutschland, die Mutter aus der Republik Kongo (Kongo-Brazzaville). An der FAU studiert Joana an der Technischen Fakultät. Vor allem, als sie nach Erlangen gezogen ist, hat sie erste Erfahrungen mit Alltagsrassismus gemacht. Was Alltagsrassismus für sie ist und wie sie damit umgeht, erzählt sie im Interview mit V.

 

V: Was ist Alltagsrassismus für dich?

Joana: Das ist für mich meistens, wenn man in einer Gruppe ist und dann irgendjemand einen Satz nebenbei sagt und man den selber dann voll rassistisch findet oder der einfach auch rassistisch ist. Also sowas wie „Du bist doch hier ein Ausländer“, „Kannst du dir eigentlich die Haare kämmen?“ oder „Bekommst du einen Sonnenbrand?“. Und am schlimmsten finde ich es dann, wenn aus der Gruppe keiner etwas sagt und ich dann sage, dass ich die Frage nicht cool fand, und dann meinen immer alle, die Person meint das eigentlich gar nicht so.

 

V: Welche Erfahrungen hast du damit bisher gemacht? Kannst du Beispiele nennen?

Das prägendste Ereignis passierte mir, als ich nach Erlangen gezogen bin und mit einer Freundin unterwegs war. Die hat mich dann gefragt: „Woher kommst du denn wirklich?“ Da dachte ich mir dann schon so: „Mh, also ich komme wirklich aus Berlin. Aber meine Mutter kommt halt aus dem Kongo.“ Und dann hat sie gesagt: „Also, wenn du dann in Afrika bist, dann fühlst du dich nicht als Ausländer.“ Praktisch nach dem Motto, in Deutschland bin ich eigentlich Ausländerin und in einem anderen Kontinent – nicht mal nur ein Land, sondern ein kompletter Kontinent – nicht. Was ist das denn für eine Logik? Vor allem, weil ich zu diesem Zeitpunkt noch nie in Afrika war. Und am nächsten Morgen bin ich dann in die Gemeinschaftsküche von meinem Wohnheim gegangen und es waren nur weiße Mädels da. Die haben natürlich gemerkt, dass ich noch niedergeschlagen war und haben nachgefragt, was denn passiert ist. Und als ich die Geschichte erzählt habe, haben alle gesagt, sie habe es doch nicht so gemeint. Sie haben also alle immer noch die Person verteidigt, die offensichtlich rassistisch war, anstatt mich zu trösten oder mir beizustehen. Sowas verstehe ich einfach nicht.

 

V: Wie fühlst du dich in solchen Situationen?

Bei den meisten Sachen bin ich jetzt einfach abgehärtet. Dann ist es mir meistens egal und ich denke mir. „Lass die Person einfach reden, das hat sowieso keinen Sinn mehr.“ Aber das kommt auch davon, dass ich schon so lange hier lebe und wenn ich mich jedes Mal aufregen würde, dann wäre das einfach kontraproduktiv. Aber manchmal kommen dann so Situationen, wie die letzte Geschichte, und das ist dann wirklich die Spitze des Ganzen. Da bin ich dann richtig schockiert und kann einfach gar nichts mehr sagen.

 

V: Und wie reagierst du dann normalerweise?

Meistens, wenn jemand etwas Rassistisches sagt, dann sage ich einfach: „Hey, ich finde das nicht cool aus diesen Gründen und damit fühle ich mich so und so.“ Die meisten antworten dann „Oh so meinte ich das nicht“. Oder sie meinen, dass es gar kein Rassismus war. Und dann denke ich immer: Ich bin halb-schwarz und wenn ich sage: „Das war rassistisch oder ich fühle mich davon verletzt“, dann ist es wahrscheinlich auch rassistisch.

 

V: Wann ist dir denn zum ersten Mal wirklich bewusst geworden, dass das rassistische Bemerkungen sind?

In Berlin gab es natürlich auch rassistische Bemerkungen, aber da war ich noch in der Schule und das waren alles noch Kinder. Aber als ich hierher nach Erlangen gezogen bin, dachte ich bei fast jeder zweiten Person, dass sie einfach krass rassistisch ist. Wenn ich in Berlin sage, dass etwas rassistisch ist, dann akzeptieren die Leute das wenigstens und sagen: „Ja ok, hast recht“. Aber zum Beispiel, dass ich in Deutschland eine Ausländerin bin, hat mir vorher noch nie jemand gesagt. Und dass die Menschen auch so auf ihrer Meinung beharren, kannte ich aus Berlin eher nicht. Dadurch habe ich dann irgendwann auch einfach die Energie verloren, mit Leuten über dieses Thema zu reden. Für mich ist es einfach inakzeptabel, wenn mir jemand dann nicht richtig zuhört, mir auch nicht glaubt und dann selber denkt, er hätte recht.

 

V: Du hast oft gesagt, dass viele es nicht einsehen, wenn sie rassistisch sind. Viele Menschen sind sich wahrscheinlich gar nicht bewusst, was Alltagsrassismus ist. Wo fängt Rassismus für dich persönlich an und wo hört er auf?

Also grundsätzlich alle Fragen, die man nur Leuten stellt, die nicht weiß sind, sind für mich rassistisch. Natürlich nur, wenn man sich nicht kennt. Wenn jemand gut mit mir befreundet ist und dann wirklich wissen möchte, woher meine Eltern kommen, ist das gar kein Stress. Dann kann man mir so eine Frage auch stellen. Aber man würde ja zum Beispiel niemals eine weiße Person fragen „Hey, woher kommst du denn wirklich?“. All solche Fragen dann einfach lieber gar nicht erst stellen.

 

V: Gibt es dann überhaut eine Möglichkeit, so eine Frage in einer Weise zu stellen, die nicht rassistisch oder verletzend ist?

Doch klar, das geht schon. Wenn man wirklich wissen will, was mein Ursprung ist, kann man das auf jeden Fall fragen. Aber dann sage ich meistens, dass meine Mutter aus dem Kongo kommt, und dann folgt darauf keine weitere Frage. Und die Sache ist, die Leute, die wissen, wo Kongo liegt und dass es zwei verschiedene gibt, die haben das meistens schon erwähnt im Gespräch. Und die Leute, die es nicht wissen, die fragen dann aber auch nicht nach, reden einfach weiter und zeigen eigentlich kein wirkliches Interesse. Wenn sie von Anfang an einfach nur die Bestätigung haben wollten, dass ich afrikanische Wurzeln habe, könnten sie mir auch einfach direkt diese Frage stellen. Vieles sind einfach Floskeln, wo keiner so genau drüber nachdenkt. Aber so viele Leute fühlen sich dadurch verletzt, dass ich finde, man kann sich auch einfach zusammenreißen und aufhören, diese Fragen zu stellen, wenn man es eigentlich gar nicht wirklich wissen möchte.

 

V: Wie kann man mehr Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und es den Menschen bewusster machen?

Das ist echt eine gute Frage. Also auf jeden Fall sollten die Leute, die eine andere Herkunft haben und auch die Energie dafür haben, immer wieder sagen, wenn etwas rassistisch ist und dass das nicht in Ordnung ist. Aber auch die anderen Leute sollten sich erkundigen, was in Ordnung ist und was nicht. Es könnte ja auch einfach mal jemand zu mir kommen und fragen: „Hey Joana, findest du es eigentlich cool, wenn ich dich sowas frage?“. Aber mich fragt eigentlich nie jemand, wo jetzt wirklich die Grenze ist. Man müsste es aber einfach auch in unserer Gesellschaft viel mehr thematisieren. Damit zum Beispiel auch in diesen Gruppensituationen, wenn ich sage, dass etwas rassistisch ist, auch andere das bemerken und mich dann vielleicht unterstützen. Das gibt einem selber auch ein gutes Gefühl, wenn man merkt: Ok, man muss sich jetzt nicht schon wieder ganz alleine verteidigen.

 

V: Denkst du, anderen fällt oft nicht auf, wenn etwas rassistisch ist, weil sie selber nie Rassismus erfahren mussten?

Ja, ich glaube es ist schon schwierig, sowas nachzuvollziehen, wenn man noch nie in seinem Leben diskriminiert wurde, also praktisch den Jackpot des Lebens gezogen hat. Aber deswegen denke ich mir immer: Dann halt einfach die Klappe und sag dann nichts zu dem Thema. Ich sage ja auch nichts zu Themen, von denen ich keine Ahnung habe.

 

V: Was hältst du von den Selbstbezeichnungen „Schwarze Menschen“ (mit großem S) oder „Menschen of Colour“, die den Anspruch haben, frei von rassistischer Fremdzuschreibung zu sein? Kennst du noch andere Alternativen?

Ok diese Begriffe kenne ich gar nicht. Aber grundsätzlich finde ich es gut, wenn man Sachen neu benennt. Zum Beispiel verbindet man ja das Wort „Nigger“ sofort mit negativen Dingen und dadurch kriege ich dann auch gleich ein negatives Gefühl, wenn ich das höre. Wenn man aber ein neues Wort dafür hätte, das einfach neutral ist, dann würde man anders damit umgehen und andere Dinge mit diesem Begriff assoziieren. Da gefällt mir dieser Begriff „Menschen of Colour“ eigentlich ganz gut. Weil unter „schwarz“ wird auch alles in einen Topf geworfen – komplett Afrika, und eigentlich auch noch die Inder und sowieso jeder, der dunkelhäutig ist. Und selbst wenn du nur zu einem achtzehntel Afrikaner bist, zählst du trotzdem als schwarz. Und dann finde ich es eigentlich ganz nett, wenn man wenigstens Colour sagt, weil ja doch nicht alle gleich aussehen. Was ich auch krass finde, dass es so viele Begriffe gibt, wie zum Beispiel „White Privilege“ oder „Mansplaining“, die es nur im Englischen gibt und für die es keine wirkliche gängige deutsche Übersetzung gibt. Das finde ich ziemlich schockierend. Dadurch wissen dann auch viele Leute nicht, was diese Begriffe bedeuten, und es wird weniger darüber gesprochen.

 

V: Warum denkst du ist es von Bedeutung, über das Thema zu sprechen?

Es geht bei dem Thema einfach um so viele Menschen, die diskriminiert werden. Es geht nicht nur um Menschen mit anderer Herkunft, sondern auch um Homosexuelle oder Transsexuelle, Menschen mit anderer Religion oder Frauen. Und alle werden diskriminiert wegen irgendetwas, was in der Geschichte passiert ist. Und davon profitieren dann im Endeffekt andere.

 

Das Interview führte Sabrina Ahmed

Anmerkung vom 29.7.18: In einer vorherigen Version dieses Interviews hatten wir Teile des Beitrags ausgelassen mit dem Vorhaben, sie in der nächsten Printausgabe (Oktober) zu veröffentlichen. Nach Rückfragen unserer Leser haben wir uns nun entschieden, das Interview hier ganz zu veröffentlichen. Die ergänzten Teile sind durch Kursivschrift hervorgehoben. Wir hoffen, dass durch die nun hinzugefügten Teile die bisherigen Unklarheiten erklärt werden. Unseren ehrenamtlichen Redaktionsmitgliedern war nicht bewusst, dass die Auslassungen Verwirrung verursachen können.