Jippie! Wir haben eine neue Kolumne für euch. Und es geht auch noch um Feminismus! Und um Filme! Wir dürfen vorstellen: In “Durch die lila Brille” wird Amrei einmal im Monat Filme aus feministischer Perspektive analysieren. Amrei studiert Theater- und Medienwissenschaft und Soziologie an der FAU.

How to marry a Milionaire: Dennis Amith, https://www.flickr.com/photos/kndynt2099/5739971080/
The Making Of Harry Potter: Karen Roe, https://www.flickr.com/photos/karen_roe/7349079840/
Burning Out-The Hunger Games: Mockingjay Part 2 Review, Bago Games, https://www.flickr.com/photos/bagogames/23167435831/ Collage: Amrei Wesinger
Je mehr ich mich mit Feminismus und Gleichstellung der Geschlechter befasst habe, desto stärker ist mir aufgefallen, dass die Filmlandschaft die Gesellschaftsstrukturen der jeweiligen Jahrzehnte sehr gut wiederspiegelt. Selbst in aktuellen Filmen sind eindimensionale und sexualisierte Darstellungen der Frau auffindbar und es ist ein großes Ungleichverhältnis zu den männlichen Rollen erkennbar.
Da denkt man doch es ist 2018, aber die sexistische Ideologie und die dadurch resultierenden männlich-dominierenden Filme sind durchaus verbreitet. Ich möchte mich mit Filmen auseinandersetzen, die – meiner Meinung nach – eine sehr offensive Diskriminierung der Frau darstellen, auf der anderen Seite aber auch Filme analysieren, die eine feministische Darstellung der Frau fördern. Auch die Filme, die beide Aspekte haben (davon gibt es sehr viele) möchte ich behandeln. Auf “Annihilation” trifft letzteres zu, deswegen möchte ich diesen Film als meinen ersten wählen, um die Ambivalenz selbst bei female leading roles aufzuzeigen.
Achtung! Dieser Artikel enthält Spoiler!
Nach dem Science-Fiction-Thriller Ex Machina bleibt Regisseur Alex Garland dem Genre treu: Annihilation ist seit Anfang 2018 auf Netflix verfügbar und sticht aus dem Science-Fiction-Angebot der Plattform heraus, da die Hauptrollen zum größten Teil weiblich besetzt sind. Doch macht dies den Film automatisch feministisch?
Lena (Natalie Portman) wird als Biologieprofessorin und als Partnerin eingeführt, die einerseits an der Universität Medizinstudierende zur Zellenbiologie unterrichtet, andererseits immer noch ihrem seit einem Jahr vermissten Partner und Soldaten Kane (Oscar Isaac) hinterher trauert. Dies sind die beiden wichtigsten Aspekte des Charakters, die sich durch den gesamten Film ziehen und sich auch in der Narration kreuzen. Sie ist eine Wissenschaftlerin, die rational in ihrem Gebiet arbeitet, jedoch auch ein Mensch der trauert und eine emotionale Bindung zu Kane besitzt.
Als Kane auf mysteriöse Weise plötzlich wieder auftaucht, allerdings sehr merkwürdig und wortkarg auf sie reagiert, beschließt sie, der letzten Mission ihres Partners um einen hypnotisierenden Schimmer näher zu kommen. Dieser Schimmer legt sich um einen gewissen Teil der Landschaft und verändert und manipuliert nicht nur Biosphäre und Tiere: bis jetzt ist keine Truppe wieder lebendig zurück gekehrt. Außer Kane, der sich an fast nichts erinnert. Zwar werden Kane und sie gegen ihren eigenen Willen zu der Station zurückgebracht, jedoch greift sie aktiv in den Verlauf der Dinge ein, indem sie sich freiwillig meldet bei der nächsten Truppe dabei zu sein.
“All women?”
Wenn man sich die Konstellation der Truppe anguckt, kann von Männer-Dominanz keine Rede sein: Ausschließlich Wissenschaftlerinnen sind Teil der neuen Mission. Cassie (Tuva Novotny) als Geomorphologin, Anya (Gina Rodriguez) als Sanitäterin, Josie (Tessa Thompson) als Physikerin und Dr. Ventress (Jennifer Jason Leigh) als Psychologin und Chefin der gesamten Station.
Auch Lena scheint es aufzufallen, dass ein rein weibliches Team nicht üblich ist: „All women?“. Josie antwortet darauf schlagfertig mit „scientists“, womit sie verdeutlicht, dass das Geschlecht nicht im Fokus stehen sollte, sondern ihre wissenschaftliche Tätigkeit. Leider muss man dazusagen, dass die anderen Frauencharaktere nicht besonderen Tiefgang besitzen und sie eine marginalisierte Position in der Narration haben.
Wenn wir das Motiv angucken, warum Lena in den Schimmer als Teil der nächsten Truppe möchte, kommt die Rolle als Wissenschaftlerin ins Wanken. Während ihre Kolleginnen denken, sie würde aus einem rein wissenschaftlichen Motiv mit in den Schimmer wollen, hegt sie jedoch einen ganz anderen Plan: Sie möchte Kane retten (was andererseits wieder ein sehr außergewöhnlicher Aspekt ist, da es meist andersrum ist). Der liegt mittlerweile im Sterben, weil seine Organe durch den Schimmer beschädigt wurden. Lena sieht sich darin berufen, ihm durch ihr in dem Schimmer erlangtes Wissen zu helfen und ihn wieder zu stabilisieren („I can’t do anything here for him“).
Stereotype, aber Macht
Somit handelt sie aus Liebe zu Kane, und nicht, um die Wissenschaft weiterzubringen, oder, was man nicht außer Acht lassen darf, die Welt zu retten. Denn der Schimmer wächst stetig und breitet sich immer weiter aus. Das steht jedoch für Lena nicht an erster Stelle, und somit wird die Identität der Partnerin wichtiger und zur Konkurrenz ihrer wissenschaftlichen Expertise.
Damit bedient der Film den Stereotyp, dass Frauen aus Emotionalität heraus handeln. Trotzdem übt sie dramaturgische Macht hinsichtlich der Wendepunkte der Geschichte aus. Sie überredet die anderen, weiterzugehen. Darüber hinaus ist sie diejenige, die den Leuchtturm in Flammen aufgehen lässt und den Schimmer beendet, nicht Kane.
Der Charakter Lena bleibt stets im Mittelpunkt der Erzählung. Es besteht keinerlei Sexualisierung durch aufreizende Kleidung, Kamera oder anderen Figuren. Der Dresscode der fünf Frauen ist praktisch orientiert und stattet sie funktional für ihre Mission im Schimmer aus. Auch das Make-Up ist natürlich und dezent gehalten. Sie werden in erster Linie als Wissenschaftlerinnen porträtiert, und nicht als Frauen.
Noch mehr Stereotyp
Ein interessanter Aspekt ist auch der Vergleich zu der rein männlichen Truppe vom Militär (darunter auch Kane), die schon im Schimmer waren und der nächsten Truppe ein Video hinterlassen haben. Das Video zeichnet sich durch Brutalität und Blut aus, da Kane den Bauch seines Gefährten aufschlitzt, um die Veränderung der Struktur der Zellen aufzuzeigen.
Die Truppe um Lena ist daraufhin sehr schockiert und verunsichert, was genau im Schimmer vor sich geht. Sie bevorzugen es, Proben von den Tieren und der Umgebung zu nehmen, um sie später im Labor zu untersuchen. Anya und Josie möchten sogar die Mission vorzeitig abbrechen. Zwar droht Anya den anderen Verletzungen an und bedroht sie, doch soweit kommt es nicht. Dadurch kann man erkennen, dass die männliche Gruppe gewaltbereiter ist, um ans Ziel zu kommen und der Film bedient somit ein stereotypisches Muster.
Abschließend kann man sagen, dass Annihilation ein weiblich-dominierender Film ist, was nicht oft vorkommt, vor allem nicht im Science-Fiction Genre. Jedoch nur weil hauptsächlich Frauen mitspielen, wird der Film dadurch nicht automatisch feministisch. Die anderen Rollen hätten ruhig ein wenig mehr Frauenpower versprühen können. Lena als mehrschichtige Figur darzustellen ist toll, aber den Fokus auf die Identität als Wissenschaftlerin zu setzen hätte ihr auch nicht geschadet (wie zum Beispiel in “Arrival”). Dennoch ist der viel in vielen anderen Aspekten pro-feministisch und ich habe ihn mit guten Gefühlen beenden können.
Von Amrei Wesinger