Ich hätte wissen müssen, wo das hier hinführt: Ich sitze gestresst vor dem Laptop, verschütte fast eine Tasse Tee, die ich mir schon vor einer Stunde machen wollte und tippe einen Text, den ich schon vor drei Tagen abgeben hätte müssen.

 

Mein Thema ist natürlich Prokrastination, wer hätte es gedacht? Während sich draußen die Menschen wie im Hamsterrad bewegen, immer der neuesten Pflichterfüllung hinterher, sitze ich in meinem Zimmer, immer der neuesten Ausrede hinterher. Denn schließlich ist ja noch Zeit. Jedes Aufschieben beginnt mit dem Gedanken, dass wir doch noch genug Zeit haben – und am Ende sind die sechs Wochen für die Hausarbeit, zu 5 Tagen zusammengeschrumpft.

Die Zeit ist tückisch. „Wie lange eine Minute ist, hängt davon ab, auf welcher Seite der Toilettentür man sich befindet.“ Sie ist gefühlt immer anders. Jetzt, wo wir erwachsen sind, sind sechs Wochen nur im Vornherein lang, aber wenn man zurückschaut, dann sind sechs Wochen nur ein winzig kleiner Bruchteil unserer Lebenszeit. Aber als große Profiprokrastinatorin lernt man so etwas nicht – man fängt grundsätzlich immer erst an, wenn es schon fast zu spät ist. Aber warum eigentlich? Kann man dafür wirklich die heimtückische Zeit verantwortlich machen? Wer ist Schuld? Unser Hang zur Perfektion? Unsere Angst vor Anstrengung? Von Person zu Person ist das ganz individuell.

Eins ist es aber sicher nicht: Das Ausruhen. Habt ihr euch nach einem nicht ganz freiwilligen YouTube-Marathon schon mal gut gefühlt? Egal ob man Hausarbeit schreiben oder einem Hobby nachgehen wollte – es fühlt sich an wie purer Stress. Wieder nichts geschafft. Wusstet ihr, dass Aufschieben genauso stressig sein kann, wie zu viel Arbeit? Macht schließlich auch Sinn, denn: Unbewusst wissen wir – da ist ja noch was. Wir entspannen oberflächlich und sagen: Es ist ja noch Zeit – bis wir sagen: Es ist keine Zeit mehr. Es ist doch so oder so egal. Wir tun es entweder nicht, oder so, dass wir zumindest sagen können, wir hätten etwas gemacht.

Prokrastination kann Depressionen begünstigen, vor allem durch den Stress, die sie auslöst. Prokrastination beeinflusst unseren Schlaf, sie beeinflusst unsere Stimmung. Sie treibt uns an unsere Grenzen. Jeder, der schon in der Nacht vor Abgabetermin panisch an seiner Arbeit getippt hat (so wie ich das jetzt in etwa mit diesem Artikel mache), weiß was das bedeutet. Zitternd, der Kopf wach, der Körper total erschöpft, schleppt man sich in den Copyshop, um das monströse Ding endlich zu besiegeln, man gibt ab und dann – Erleichterung? Fühlt sich anders an.

Die Prokrastination ist der größte Feind der Studierenden. Je nachdem, welche Studie man für am Repräsentativsten hält, schieben circa 20 bis 70 Prozent der Studierenden während ihres Studiums auf. An der Uni Münster gibt es dafür sogar eine Prokrastinationsambulanz, einzigartig in Deutschland – aber ich bin mir sicher: JEDE Uni braucht das!

Aber bevor ich hier jetzt die Hölle prophezeie, möchte ich euch zum Abschluss noch ein paar kleine Tipps mitgeben, die ihr leicht selbst umsetzen könnt und die sogar einem Profi wie mir ab und zu ganz gut helfen:

 

Ihr habt genug Zeit zum Arbeiten, nicht genug Zeit zum Anfangen.
Hallo Zeit, da sind wir wieder! Meistens sehen wir erst am Ende, dass wirklich genug Zeit gewesen wäre. Wenn ihr direkt anfangt, könnt ihr euch alles besser einteilen und habt sogar noch einen Puffer: Prokrastination ist damit sogar erlaubt! Lasst euch nicht von der Zeit austricksen, trickst sie selbst aus.

 

Wer kleine Schritte macht, kommt auch ans Ziel.
Jeden Tag ein bisschen was, anstatt am Ende alles? Klingt doch gut. Nehmt euch täglich eine bestimmte Stundenanzahl an Arbeit vor, setzt sie an den Anfang des Tages et voilà: Der Rest des Tages gehört euch! Habt auch keine Angst davor, am Anfang zu wenig zu machen: Es gilt alles, was geschafft ist.

 

Löst euch von der absoluten Perfektion.
Wir bilden uns sehr gerne ein, alles immer total gut und total perfekt machen zu müssen, aber das ist eigentlich Schwachsinn. Gerade unser Perfektionismus führt zur Prokrastination, auch wenn wir das bewusst gar nicht wahrnehmen. „Erst, wenn alles top aufgeräumt ist, ich mir einen Teller mit Snacks geschnitten habe und abgespült ist, kann ich anfangen!“, „Erst, wenn ich noch diese Dinge erledigt habe, die ich mir schon seit fünf Jahren vornehme, kann ich anfangen!“, „Ach nein, heute schaffe ich eh nichts Gutes, ich lass es lieber ganz!“ – so oder so ähnlich hat bestimmt schon mal jeder gedacht. Lasst euch von diesen Gedanken nicht „einschüchtern“. Euer Gehirn hat Angst davor, die hohe Messlatte zu erreichen und deshalb sucht es sich etwas vermeintlich Angenehmeres. Lasst euch das nicht gefallen, denn die Faulheit, nachdem man was geschafft hat, ist viel besser als die vermeintliche Faulheit vor dem Anfangen.

 

Ich mag ja gut reden, aber klappt das auch alles? Ich bin schließlich gerade kein gutes Vorbild mit meinem verspäteten Text. Aber lasst uns doch mal vornehmen, es das nächste Mal zu versuchen – denn auch die Prokrastination ist nicht sofort perfekt besiegt.

 

Von Joana Hammerer

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Printausgabe Sommersemester 2018 “Zeit”.