Das Stück König Ubu zeigt, wie schnell ein Land tyrannisiert werden kann. Unsere Autorin musste erstmal ihre Gedanken sortieren nach diesem Theaterbesuch in Fürth. 

 

Geht der Vorhang hoch, sieht man als erstes zehn Menschen in Anzügen und Kostümen, die mit dem Rücken zum Publikum sitzen. Das Flair eines Büroraums mit stickiger Heizungsluft, in dem man sich selbst auf die Zunge beißen müsste, um wach zu bleiben, ist schon in dem Augenblick gebrochen, in dem eine Toilettenspülung erklingt.

Ab da ist es schwierig festzustellen, was man da eigentlich sieht. Parodie? Groteske? Horrorfilm? Cartoon? Irgendwie ist es alles zusammen. Es ist ganz richtig, was zur Einführung in das Stück gesagt wird: Lachen kann man. Es bleibt einem aber im Halse stecken.

Während des gesamten Stückes stellt sich mir eine Frage: Wie kann aus der realen Vorlage eines spießigen, kleinbürgerlichen Lehrers, den ich mir nur als schäbig gekleideten und seine Brille die Nase hochschiebenden Langweiler vorstellen kann, eine solche Tyrannenfigur entworfen werden, wie sie in König Ubu zu sehen ist?

Der Autor, Alfred Jarry, basierte seinen Ubu Roi Ende des 19. Jahrhunderts auf einem Pädagogen, der in seinem Lehrauftrag miserabel und wohl noch dazu ein unansehnlicher Mensch gewesen sein muss. Es muss doch einen Grund geben, weshalb diese Figur, dieses Stück, zur Jahrhundertwende für eine an den Naturalismus auf der Bühne gewöhnte Bourgeoise eine solche „Sprengkraft“ hatte.

Es ist, denke ich, ganz einfach. Man nehme sich ein Beispiel an der Regisseurin, Jean Renshaw: Man setze diesem Kleinbürger eine verkehrte Krone auf und gebe ihm eine Schusswaffe und ein Zepter in die Hand, das verdächtig nach einer Fusion aus Knüppel und Klobürste oder Babyrassel aussieht. Et voilà!

An diesem König ist nichts mehr naturalistisch. Er ist überzogen, kleingeistig, gierig. Mit Macht umgehen bedeutet für ihn, seinen Impulsen immer und sofort nachgeben zu können, seien sie sexueller oder blutiger Natur.

Zu Beginn des Stücks stiftet Mutter Ubu (Josepha Grünberg) ihren Mann, Vater Ubu (Luis Lüps) an, den König (Franz Lenski) zu ermorden, um sich selbst die Krone aufzusetzen, statt nur noch Offizier zu sein. In Hauptmann Bordure (Frank Watzke) finden sie einen Verbündeten, und nur ein Sohn, Bougrelas (Nils Daub) überlebt den Anschlag und will fortan Rache nehmen.

Ubu indes – „primitiv, feige, gefräßig und machtbesessen“ – verfällt in einen Machtrausch. Er ordnet die Ermordung aller Adeligen an, reißt ihre Ländereien und alles Geld, das er in die Finger kriegt, an sich. Er erfindet unsinnige Steuern und schließlich gibt es Krieg, der im Stadttheater Fürth beinahe schon eine cinematische Qualität erhält, untermalt mit Musik komponiert von Norbert Nagel.

Die Musik, die das Stück von Beginn an immer wieder live begleitet, verleiht dem Szenario eine Verortung zwischen Kirmes und Horrortrip, genauso wie die faszinierenden Einlagen des Tänzers Martin Dvořák, von dem man sich kaum abwenden kann.

Zusammen mit den Schauspielern, die mit den zahlreichen Rollen, die dargestellt werden wollen und die innerhalb von Sekunden aufgenommen und abgestreift werden, bedeutet das einen Abend, in dem man in rasantem Tempo einem Land dabei zusieht, wie es tyrannisiert wird.

Auch wenn das Büro-Bühnenbild nie verlassen wird, kommt man aus dem Zuschauerraum nach knapp zwei Stunden erst einmal geschlaucht heraus, als hätte man selbst oben in den kalten Bergen Krieg geführt. Mehr als ein „uff“ bekam man aus mir nicht heraus.

Da muss man erstmal drüber nachdenken. Ein bisschen die zahlreichen Sinneseindrücke sortieren. Alles in allem ein kurzweiliger und darstellerisch sowie musikalisch empfehlenswerter Theaterabend, der lange nachwirkt. Immerhin schreibe ich diesen Artikel um 2 Uhr nachts.

König Ubu am Stadttheater Fürth (Regie: Jean Renshaw, Darsteller: Luis Lüps, Josepha Grünberg, Franz Lenski, Nils Daub, Frank Watzke, Martin Dvořák) – Premiere 11.10.2019, Dauer: 2 h 20 min, 1 Pause.

Von Svenja Plannerer