Elisa Brocksieper (24) hat Öffentliches Recht und Politikwissenschaft an der FAU studiert. Für ihren Master in Internationale Beziehungen zog sie 2018 nach Dresden. In einem Interview verrät sie, welche Unterschiede sie zwischen West- und Ostdeutschland wahrnehmen konnte und ob die Mauer ihrer Meinung nach aus den Köpfen der Menschen verschwunden ist.  

 

V: Du hast sowohl in West- als auch in Ostdeutschland studiert und gelebt. Lassen sich Unterschiede zwischen dem Studium im Westen und im Osten erkennen?

Elisa: Zwischen dem Studium finde ich eigentlich keine Unterschiede. Weder in der Lehrweise noch im Material. Mein Studium an sich unterscheidet sich, weil das eine ein Bachelor und das nun der Master ist. Ich würde sagen, es ist auf jeden Fall anspruchsvoller geworden, so soll das ja auch sein im Studienverlauf, aber ich denke nicht, dass das auf den Standortwechsel zurückzuführen ist.

 

V: Und wie sieht es im Alltag aus? Was ist für dich im täglichen Leben anders als vorher, zum Beispiel bei den Lebenshaltungskosten, der Miete etc.

Elisa: Die Lebenshaltungskosten sind für mich aktuell besser, im Sinne von günstiger als vorher. Insbesondere was die Miete angeht. Wohnraum ist in Dresden ziemlich erschwinglich, auch für Studierende. Gerade im Gegensatz zu Erlangen, einer sehr kleinen Stadt mit sehr vielen Studierenden, ist die Wohnungssuche in Dresden meiner Erfahrung nach deutlich einfacher und man zahlt weniger.

Elisa studierte in West- und Ostdeutschland. Foto: Privat

Darüber hinaus würde ich nicht sagen, dass sich das Leben groß unterscheidet, zumindest nicht in größeren Städten, wie Dresden oder Leipzig. Die Situation könnte eine andere sein, wenn man in ländlichere Gegenden fährt, das kann ich allerdings weder bestätigen noch falsifizieren, dazu bin ich im Osten einfach noch zu wenig gereist.

 

V: Was sind deine Erfahrungen mit den Menschen? Gibt es hier große Unterschiede? Welche Themen bewegen die Menschen?

Elisa: Was die Erfahrungen mit den Menschen angeht, würde ich mittlerweile schon sagen, dass die Menschen teilweise unterschiedliche Themen bewegen. Das ist schwierig, richtig auszudrücken und ich möchte nichts generalisieren, viele Themen sind auf jeden Fall dieselben, die auch im Westen diskutiert werden. Ein sehr prominentes Beispiel ist die AfD. Diskutiert wird sie überall in Deutschland, aber ich denke, dass im Osten anders diskutiert wird, schon alleine, weil die Ausgangssituation eine Andere ist.

Es ist bekannt, dass die AfD in Ostdeutschland generell deutlich bessere Ergebnisse einfährt. Das heißt, dass die Partei mehr Zuspruch erfährt und man vor Herausforderungen, wie aktuell in Thüringen, steht. Dann wird über eine Regierungsbeteiligung der AfD gesprochen und sich gefragt, wieso so viele Menschen die Ziele der Partei unterstützen.

Abgesehen von der AfD würde ich sagen, dass des Öfteren – zumindest in politischen Diskussionen – über eine gewisse Ungerechtigkeit gesprochen wird. All das, was die „langsamere“ Entwicklung des Ostens angeht, ist hier präsenter in den Köpfen der Leute und wird öfter als Grund für aktuelle politische Trends angebracht. Ich denke, ich habe vermutlich zu wenige Diskussionen mit Unbekannten, die nicht politisch sind. In politischen Diskussionen dreht sich vieles um wiederkehrende Themen. In mehr Diskussionen über das alltägliche Leben könnte man mit Sicherheit einiges dazulernen.

 

V: Sind sich die Menschen, vor allem die jungen Generationen, der Geschichte des geteilten Deutschlands noch bewusst? Merkt man etwas davon im Alltag?

Elisa: Ich wage zu behaupten, dass die Geschichte des geteilten Deutschlands den (jungen) Menschen in Dresden sehr bewusst ist. Die Stadt ist geprägt von der Geschichte des zweiten Weltkrieges und der Teilung und Vieles ist in der Stadt sichtbar, wenn man herumläuft. Das ist allerdings sehr spezifisch auf Dresden bezogen und könnte, wie vorher schon bei einem anderen Thema erwähnt, anders sein, wenn man die Stadt verlässt.

 

V: Wie sind die Meinungen zum jeweils anderen Teil Deutschlands? Gibt es Vorurteile?

Elisa: Ich denke, es gibt Vorurteile, die mir erst bewusst wurden, als ich nach Dresden gezogen bin. Noch vor etwas mehr als einem Jahr hätte ich die Frage nach dem Vorhandensein von Unterschieden zwischen West- und Ostdeutschen mit “Nein” beantwortet. Interessant ist allerdings, dass, als ich in Dresden ankam, viele der Leute, die von dort stammen, die Frage mit “Ja” beantwortet haben.

Mag sein, dass ich bisher einfach zu blauäugig an die Sache herangegangen bin oder dass ich mich nicht mit genug Leuten unterhalten habe, die aus dem Osten stammen, aber wenn ein Großteil der Menschen dort einen Unterschied sehen, dann ist das ein klarer Hinweis auf ein Problem. Ich habe von Kommiliton*innen gesagt bekommen, sie glauben, dass die Erziehungsweisen unterschiedlich sind.

Viele haben Probleme, dies zu konkretisieren, sie glauben aber fest daran. Ich finde das recht schwierig nachzuvollziehen, da meiner Meinung nach auch nicht alle Westdeutschen gleich erzogen werden. Ich bin noch dabei, herauszufinden, was genau die aus Dresden oder dem Umland stammenden Kommiliton*innen insbesondere als Unterschiede wahrnehmen und versuche, das besser nachzuvollziehen. Bisher fällt es mir allerdings recht schwer, muss ich gestehen.

 

V: Würdest du sagen die Mauer ist nach 30 Jahren aus den Köpfen der Deutschen verschwunden?

Elisa: Nein. Ich denke, sie ist für einen Teil der (gerade jungen) Leute verschwunden, aber mit Sicherheit nicht vollständig. In meinem Kopf war sie nicht wirklich vorhanden, ich weiß nicht, ob das für oder gegen meine Erziehung und Weltsicht spricht, ob mich das naiv oder hoffnungsvoll macht, aber seit ich nach Dresden gezogen bin, habe ich mehr realisiert, wie präsent sie an manchen Stellen doch noch ist – und zwar nicht nur in den Köpfen älterer Menschen, sondern allgemein.

Das Spannende daran ist, dass man mit sehr vielen sehr unterschiedlichen Menschen reden muss, um ein vollständiges Bild zu erhalten. Ich würde nicht sagen, dass mir das bisher zu 100% gelungen ist, aber ich arbeite daran, mein Bild zu vervollständigen.

 

Das Interview führte Sabrina Ahmed