Das Y-Kollektiv ist auf Deutschland-Tour! Am Donnerstagabend machte das Doku-Kollektiv Halt im Nürnberger Z-Bau, was wir uns natürlich nicht entgehen lassen konnten.
So finden wir uns untypischerweise pünktlich vor der Galerie ein und müssen zu unserem Erstaunen feststellen, dass es trotz des rauen Klimas unerwartet viele Mitinteressent*innen in die heimischen Mehrzweckhallen des Z-Baus gezogen hat. Noch schnell ein Blick in die Veranstaltung bei Facebook: Es wird vor Platzmangel und möglichem Einlass-Stopp gewarnt. „Oh je!“, denken wir uns und sichern uns schnell Plätze in den vorderen Reihen. Um uns herum herrscht schon fröhliches Stimmengewirr, aber auch ein etwas ernster Unterton scheint mit durchzuklingen. Hat da etwa jemand Diskussionsbedarf?
Wir werden es nicht herausfinden, denn auf der Bühne beginnt das Event, weswegen wir alle hergekommen sind: Elena Wolf, ihres Zeichens Community-Managerin bei „sendefähig“, ergreift das Mikrofon und führt uns die nächsten Stunden mit charmanter und eloquenter Art durch den gut gefüllten Abend. 3 Filme sollen gezeigt werden. 3 Kurzdokumentationen also, welche beispielhaft für das mediale Schaffen des Y-Kollektivs stehen.
Das Y-Kollektiv, so sollte man wissen, ist ein Webvideo-Format, das die „sendefähig-GmbH“ im Auftrag von „funk“ produziert. Auf dem gleichnamigen YouTube-Kanal erscheinen so wöchentlich neue Filme, in welchen sich die hauseigenen Reporter mit den großen und kleinen Themen unserer Zeit beschäftigen. Stets objektiv recherchiert und sachlich beleuchtet, aber eben doch mit eigener Haltung. Dies wird im Laufe des Abends auch immer wieder betont, genauso wie die Tatsache, dass diese Haltung in den Reportagen immer wieder transparent gemacht wird.
So geht es an diesem Abend um 13-Jährige, die Millionenbeträge mit Videospielen verdienen, um Frauen in einem der wohl sexistischsten Jobs überhaupt, oder auch darum, was ein paar Deutsche mitten im Krieg in Syrien verloren haben.
Doch Felix Edeha, Alina Schulz und Nico Schmolke stehen an diesem Abend nicht als Reporter*innen vor der Kamera, sondern für uns auf der Bühne Rede und Antwort zu ihren Projekten. Es werden Einblicke hinter die Kulissen gegeben. Wie viele Menschen arbeiten zum Beispiel an so einer Videoproduktion mit? Mehr als gedacht! Aber auch die Inhalte werden hitzig diskutiert. So entbrennt nach Nicos Schilderungen aus dem Kriegsgebiet eine kleine Debatte über Waffenexporte und die Einmischung europäischer Truppen im Nahen Osten. Und schnell wird klar: Jedes einzelne dieser Videos bietet genug Perspektive, um etliche Abende mit tiefgründigen Diskussionen füllen zu können. Und genau das macht den Reiz des Y-Kollektivs aus. Es ist schon eine Kunst, einem komplexen Sachverhalt in oft unter 20 Minuten gerecht zu werden, ohne dabei jegliche Tiefe zu verlieren. Doch genau dieser Balanceakt scheint dem Kollektiv immer wieder zu gelingen. Welche Stricke im Hintergrund aber gezogen werden müssen, damit so eine Produktion überhaupt Gestalt annehmen kann, erzählt Lea Semen, stellvertretende Redaktionsleiterin, und gibt Einblicke in Abnahmeprozesse und Finanzierung aus erster Hand.
Im Anschluss lassen es sich die Akteur*innen unseres Abends nicht nehmen, in einer ausgelassenen Runde den ungeklärten Fragen der Zuschauer*innen gegenüber zutreten und laden sogar zum persönlichen Treffen an die Bar ein. So gibt es also noch einmal extra Raum für Diskussionsbedarf. Diese Chance nutzen auch wir, um persönlich mit Lea Semen und Elena Wolf zu sprechen und wir kommen uns neben den beiden „ausgewachsenen“ Journalist*innen ein wenig klein und unbedeutend vor. Unsere Nervosität antworten die beiden aber gekonnt weg. So gewinnen wir noch interessante Einblicke in Elenas Social-Media-Arbeit und wollen wissen, ob ihr unangebrachte oder verletzende Stimmen in den Kommentarspalten trotz aller Professionalität immer noch nahe gehen. Zwar muss sie gerade bei kontroversen Themen viel einschränken und löschen und „dann ist man schon ein bisschen von der Menschheit enttäuscht“ sagt sie, aber es gäbe auch immer wieder schöne Kommentare und viel Zuspruch. Wenn sie sehe, dass ein Film etwas bewirkt habe, gehe sie auch wieder mit einem guten Gefühl nach Hause.
Sich auf einen Lieblingsfilm festzulegen fällt den beiden schwer, das läge aber eher daran, dass man jede Woche aufs Neue mit einer anderen kleinen Welt konfrontiert werde. Das sei auch das Schönste an ihrem Job, findet Lea – und dabei hört man ganz viel Liebe und Begeisterung in ihrer Stimme. Der Film über Auschwitz (Auschwitz – Was hat der Holocaust mit mir zu tun?) sei für sie (O-Ton) „ganz ganz relevant“ gewesen und sie war auch froh, dass sie ihn machen konnten. Auch der Film, in dem Reporterin Anne Thiele einen Wanderschäfer begleitet, findet Erwähnung – er sei ein ganz tolles Beispiel für einen Film, in dem man eine Person begleite und daraus Dinge vermittelt bekomme, die man „so gar nicht auf dem Schirm habe“, wie eben, dass auch Schäfer*innen Probleme mit der richtigen Work-Life-Balance haben. Nach dieser gelungenen Abrundung des Abends überlassen wir die beiden der wissbegierigen Meute und gehen um einige Erkenntnisse reicher in die mittlerweile eiskalte Nacht hinaus. Für unsere Protagonist*innen war es wahrscheinlich ein langer Tag.
Wenn ihr irgendwann die Möglichkeit haben solltet, einen Abend mit dem Y-Kollektiv zu verbringen, solltet auch ihr euch das nicht entgehen lassen. Wenn nicht, ist das aber auch nicht schlimm, denn auf YouTube warten knapp 200 Filme darauf gemocht oder kritisiert zu werden, sowie mit Y-zwei ein ganzer Kanal, in dem noch zusätzlich Zuschauer*innen-Fragen zu jedem Film beantwortet werden. Die 3 Dokus des Abends findet ihr übrigens hier drunter; schaut unbedingt rein!
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Von Joana Hammerer und Bastian Bradtka