Man kommt sich schon ein bisschen vor wie im falschen Film in dieser Völkerschau von Philipp Löhle. Bis man anfängt darüber nachzudenken, dass jede Überspitzung einen wahren Kern hat.
Erstmal fällt es einem – wenn man wie ich davon noch nie gehört hat – im ersten Augenblick schwer zu glauben, dass das Auswärtige Amt seit etwa fünf Jahren tatsächlich Veranstaltungen macht, die potenzielle Flüchtlinge von der Flucht nach Europa abhalten sollen. Im nächsten Augenblick fällt es auch schon wieder nicht mehr so schwer, angesichts dieser zynischen Zeiten.
Und so werden die Zuschauer*innen dann auch behandelt: Wie Eindringlinge, die es mittels Abschreckung zu verhindern gilt. Die Moderatorin Heike Landsberg (Stephanie Leue) stellt sich vor mit „I am Heike“, da sie davon ausgehen muss, dass im Publikum niemand Deutsch spricht. Es gibt englische Übertitel; zumindest bis sie ausfallen.

So wie früher Menschen „exotischer“ Herkunft für Europäer*innen im wahrsten Sinne des Wortes ausgestellt wurden, werden jetzt vier Europäer*innen beziehungsweise Deutsche aus- und bloßgestellt: Andi (Nicolas Frederick Djuren), Frauke Hillig (Annette Büschelberger), Tony (Amadeus Köhli) und Ansgar Bickel (Raphael Rubino).
Vor ihrer Präsentation harren die vier in Glaskästen aus, bis sie dran sind mit ihrem Teil des Anti-Werbeblocks, den sie offensichtlich schon viele Male gegeben haben und in unterschiedlichem Ausmaß genießen (Andi scheinbar gar nicht, Ansgar scheinbar ziemlich).
Heike warnt zum Beispiel, man solle sich mal vorstellen man käme in eine Stadt wie Berlin, die voll ist mit Andis – ungesund weiße, fast schon papierne Haut, erfolgsversessen und generell eher freudlos als lustvoll am Leben. So nach und nach allerdings fällt die Gruppe auseinander, verfängt sich in Streitigkeiten. Fassaden bröckeln, unangenehme Wahrheiten tun sich auf. Man schreit sich an, verplappert und verrät sich.

Die fünf Darsteller*innen spielen in der Regie von Tina Lanik ganz großartig in einem Stück, das als Komödie beginnt, dann immer weiter aus dem Ruder läuft und sich ab einem gewissen Punkt anfühlt wie ein Horrorfilm. Sie leisten ganze Arbeit, um bei den Zuschauer*innen ein Gefühl von „Was soll das? Was machen wir hier eigentlich?“ auszulösen und die dafür nötige Befremdlichkeit und Absurdität herzustellen.
Hinterher kann man gar nicht anders als darüber nachzugrübeln, wo man seinen eigenen Platz in dieser Satire sieht. Welche dieser ätzenden Klischees man erfüllt, oder wie man sich gegen sie positionieren könnte.
Gleichzeitig wird man sich der Aufgabe wieder einmal schmerzlich bewusst, die Europa, und insbesondere Deutschland immer noch hat: Bewältigung der Vergangenheit und Schutz der Demokratie; mehr noch: Schutz menschlicher Würde und menschlichen Lebens. Etwas, das uns im Moment ja offensichtlich schwer fällt.
„Andi Europäer (UA)“ von Philipp Löhle
in den Kammerspielen am Staatstheater Nürnberg
Regie: Tina Lanik
Darsteller*innen: Stephanie Leue, Nicolas Frederick Djuren, Annette Büschelberger, Raphael Rubino, Amadeus Köhli, Tommy Egger
Dauer: ca. 2 Stunden, keine Pause
Studierende erhalten an der Abendkasse gegen Vorlage des Studentenausweises 40% Rabatt, im VVK 25%. Mehr Info, einen Trailer zum Stück und Kartenreservierung auf der Webseite des Staatstheaters Nürnberg.
von Svenja Plannerer
Beitragsbild & Bilder im Text: Konrad Fersterer