Im Laufe meines Lebens habe ich schon viele Fragen gestellt. Nicht nur an mich selbst, auch an Andere. Die Wenigsten wurden mir bisher beantwortet.

Das ist nicht schlimm, denn nicht jede Frage wird beantwortet werden können. Auch nicht die, die ich in diesem Artikel stellen werde. Aber hier geht es nicht primär um die Antworten, sondern um das Wie. Früher, liebe Generation Boomer, habe ich euch Fragen gestellt, weil ich die Welt nicht verstanden habe und ich euch für weise hielt. Jetzt stelle ich euch Fragen, weil ich euch nicht verstehe und eure „Weisheit“ mehr Regelwerk als Horizont zu sein scheint.

Ich weiß, dieser Artikel wird euch nicht gefallen. Schließlich bin ich für euch immer noch ein Kind. Selbst mit meinem Countdown auf die 30 bin ich noch immer „zu jung“, um gewisse Zusammenhänge im Leben zu verstehen, glaubt ihr, die Generation meiner Eltern.

Vielleicht nehmt ihr das Folgende auch als respektlos und undankbar wahr; das würde mich nicht wundern, denn schließlich glaubt ihr immer noch, die jüngere Generation muss der älteren Generation ihren unhinterfragten Respekt erweisen. So nehme ich euch zumindest wahr.

Bevor ich jetzt aber mit dem anfange, was ich hier eigentlich tun will, möchte ich noch eine kleine Warnung aussprechen: Ja, ich spreche hier von einem Durchschnitt meiner eigenen Wahrnehmung – die aber nicht so einzig und allein und so falsch zu sein scheint – schließlich ist die Aussage „ok, Boomer“ nicht wegen mir zu einem Internet-Phänomen geworden.

Vielleicht bin ich ja etwas gebrandmarkt, ich wurde von euch erzogen, ich war in einer untergebenen Machtposition, einer Machtposition, mit der ihr selbst nicht umgehen konntet, einer Art von Machtposition, die auf Respektlosigkeit und Unverständnis basiert. Eine Machtposition, die ich euch sehr übel genommen habe und die auch einfach nicht mehr zeitgemäß ist.

Ihr seid jetzt ungefähr zwischen 50 und 60 Jahre alt, ihr habt schon viel  in dieser Welt erlebt, viele Veränderungen mitgemacht, ihr habt die Lehre der Kriegskinder aus der ersten Hand mitbekommen, ihr habt den Aufstieg des Internets bewusster miterlebt als wir.

Gerade ihr müsstet wissen, dass nicht alles in Stein gemeißelt ist. Gerade ihr müsstet wissen, dass auch eine ältere Generation Fehler machen kann und dass auch eine jüngere Generation positive Veränderung bringen kann. Also warum glaubt ihr immer noch, dass ein höheres Alter ein Marker für uneingeschränkten und unhinterfragten Respekt ist? Warum seid ihr so passiv-aggressiv und so von oben herab, warum ist jeder Widerspruch von einem Kind immer noch eine Frechheit?

Warum habt ihr uns so schrecklich peinliche Namen gegeben, als wir zwischen 11 und 18 waren und warum reagiert ihr so empfindlich, wenn euch genau diese Altersgruppe berechtigt kritisiert (siehe das, was Fridays for Future einstecken musste)?

Warum ist Besitz für euch ein Marker für Erfolg oder Misserfolg? Was sagt ein eigenes Auto oder ein Eigenheim über meine Qualitäten als Mensch aus? Warum entziehe ich mich angeblich der Verantwortung, wenn ich das alles nicht möchte?

Warum ist jeder abseits der Normalbiografie für euch jemand, die*der angeblich nicht erwachsen werden will und warum wisst ihr alle schon so genau, dass ich später ja doch alles ganz anders will als jetzt?

Warum unterstellt ihr unserer Generation grundsätzlich Faulheit, Bequemlichkeit oder sonstige schlechte Eigenschaften, aber schafft nicht mal, einen Urlaub ohne richtiges Bett und könnt ohne Auto nicht mehr leben? Warum wurde ich von euch immer angehalten, an die „armen Kinder in Afrika“ zu denken, während ich heute auf meiner Arbeit eure Reklamationen wegen Druckstellen an eurem Gemüse annehmen muss, selbst wenn es noch genießbar ist?

Warum habt ihr uns eigentlich immer Egoismus und Verständnislosigkeit denen gegenüber unterstellt, „die es nicht so gut haben“ und teilt heute Bildchen auf Facebook, auf denen herumkrakeelt wird, wie schrecklich es doch sei, dass Efraim Langstrumpf jetzt „Südseekönig“ heißt?

Warum seid ihr oft so unnötig geizig und warum geht ihr immer davon aus, dass euch jemand beklauen oder betrügen möchte? Ihr habt doch meist genug?

Und warum verlegt ihr Böden in eure Wohnzimmer, auf die man besonders gut aufpassen muss? Ja, warum kauft ihr euch überhaupt so teure Sachen, die man nicht benutzen soll? Wo hat das einen Sinn?

Wieso seid ihr so ernst und rechnet alles in Arbeitsstunden um, obwohl ihr die sichersten Jobs habt? Wieso droht gerade ihr uns, dass wir nicht alles so auf die leichte Schulter nehmen sollen? Wieso legt gerade ihr eine Doppelmoral an den Tag, dass es knallt? Und wieso glaubt ihr, dass sie so berechtigt wäre?

Diese Fragen und noch viele mehr sind es, die ich mir schon seit mindestens einem Jahrzehnt stelle. Ja, schon seit meiner Teenager-Zeit schleppe ich einige dieser Fragen an euch herum. Und damals sagte man mir: Bald, bald wirst du darüber ganz anders denken!

Natürlich denke ich jetzt anders. Aber das Grundgerüst bleibt. Und ich denke, es wird auch bleiben.

Und zum Abschluss möchte ich euch noch die allerwichtigste Frage stellen, die ich an euch habe:

 

Wovor habt ihr eigentlich solche Angst?

 

Von Joana Hammerer