Christian schreibt über den Unterschied emanzipatorischer Sprache und emanzipatorischen Handelns und erklärt, was Sahra Wagenknecht eigentlich meint, wenn sie kritisiert, dass das Gendersternchen verhindere, dass sich mit echten Inhalten beschäftigt werde.

 

Sahra Wagenknecht kritisierte Mitte Oktober, dass sich linksgerichtete Parteien mehr mit Gendersternchen beschäftigten als mit dem, was sie als traditionell linksgerichtete Politik versteht. Es werde sich nicht mehr mit echten Inhalten beschäftigt, sondern nur noch mit performativen Schlagworten. Das komme zwar im akademischen Milieu gut an, bedinge aber gleichzeitig eine Abkehr von den Menschen, denen eigentlich geholfen werden solle. Diese Frage prägt in abgeänderter Form auch die emanzipatorische Bewegung. Kämpft mensch überhaupt für die gute Sache, wenn mensch emanzipatorische Sprache benutzt?

Das wirft zunächst die Frage auf, was emanzipatorische Sprache ist. Dazu gehören die verschiedenen Formen des Genderns, aber auch transinklusive, antiableistische und antirassistische Sprache. Gendern bedeutet, dass alle Geschlechter angesprochen werden, nicht nur das männliche. Das kann entweder durch Nennung des weiblichen und des männlichen Geschlechts geschehen („Liebe Studentinnen und Studenten“), oder durch das sogenannte Gender-Sternchen („Liebe Student*innen). Weitere Möglichkeiten sind die Großschreibung des ersten Buchstaben des das Genus angebenden Suffixes („Liebe StudentInnen“) und die Trennung mit einem Doppelpunkt anstatt eines Gender-Sternchens. Letztere Variante wird in feministischen Workshops empfohlen, da Vorlesefunktionen in Websites und Apps bei einem Doppelpunkt kurz Pause machen, bei den anderen Varianten aber nicht. Diese Schreibweise schließt also Menschen mit Sehschwäche ein, die auf eine solche Funktion angewiesen sind. Im Gegensatz zur ersten Möglichkeit schließen die anderen drei auch Menschen ein, die nicht der binären Geschlechterordnung angehören, sind also transinklusiv. In einigen Situationen ist es auch möglich, eine Nominalisierung zu verwenden („Liebe Studierende“).

So weit ist emanzipatorische Sprache gebräuchlich – und den meisten ein Begriff. Unbekannter sind anti-ableistische Formulierungen. Ableismus bezeichnet die Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Das Wort „Spacko“ ist beispielsweise seit den 90er Jahren eine herabwertende Bezeichnung und synonym mit dumm oder seltsam. Sie stellt einen Zusammenhang zwischen Dummheit und dem her, was Spacko eigentlich bedeutet. Das Wort ist ein Neologismus, der sich von Spastik ableitet, einem Muskelkrampf, der unter anderem als Symptom einer Schädigung der Nervenbahnen auftritt. Wer einen Menschen als Spastiker:in bezeichnet und damit dumm meint, der bezeichnet damit (unabsichtlich) alle Spastiker:innen als dumm. Die Beleidigung wird deshalb aus emanzipatorischer Perspektive kritisch gesehen. Ähnliches gilt für das Wort „N****“. Wenn es benutzt wird, um andere Menschen zu beleidigen, dann wird ein Zusammenhang hergestellt zwischen der Menschengruppe, die es eigentlich meint, und negativen Eigenschaften, die dem oder der beleidigten Person unterstellt werden. Es wird pauschal einer ganzen Menschengruppe diese negative Eigenschaft unterstellt. Da diese Worte kaum oder gar nicht mehr von der breiten Gesellschaft in ihren ursprünglichen Bedeutungen genutzt und dementsprechend verstanden werden, ist es schwer bis unmöglich, sie ohne ihre diskriminierenden Konnotationen zu verwenden.

Anders sieht es mit dem Wort „man“ aus. Das Wort „man“ will eigentlich alle Geschlechter mitdenken. Der Wortursprung liegt in „Mann“, meinte früher also nur Männer. Dass es inzwischen das Wort man mit einem n gibt, kann als Sprachentwicklung weg von einer männlichen Version zu einer geschlechtsneutralen Alternative interpretiert werden. Fakt bleibt aber, dass das Wort patriarchalische Strukturen in unserer Sprache reproduziert und damit am Leben erhält. Wer sich als Feminist:in sieht, der sollte deshalb andere Wörter nutzen. Eine Möglichkeit ist es, jedes „man“ durch „mensch“ zu ersetzen. Das mag zuerst seltsam klingen, in konservativen Kreisen vielleicht sogar als Sprachverstümmelung verschrien sein, aber mensch gewöhnt sich sehr schnell daran. Genau wie das Gendern ist es lediglich eine Weiterentwicklung der Sprache, die der zentralen Rolle von patriarchalen Strukturen im Deutschen entgegenwirken soll. Von diesen Strukturen gibt es viele. Lösungen und Alternativen gibt es für die wenigsten. Beispielsweise habe ich das Wort Feminist:in vor sieben Sätzen gegendert, aber das dazugehörige Personalpronomen ist immer noch „der“ [Anm. d. Red: Wer konsequent gendert, hätte den Satz oben so geschrieben: “Wer sich als Feminist:in sieht, die:der sollte…”]. Sollen wir jetzt Personalpronomen ändern? Soll der Tisch zukünftig das Tisch heißen? Was sind patriarchale Strukturen und was einfach Teil der Sprache? Die Grenzen sind fluide und nicht klar abgesteckt.

Aber warum macht mensch sowas? Wie hilft emanzipatorische Sprache bei Diskriminierung? Es gibt Menschen, die sich von herkömmlicher Sprache ausgeschlossen fühlen. Nicht jede:r Angehörige einer diskriminierten Gruppe fühlt sich von diskriminierender Sprache ausgeschlossen, aber für einige Personen gilt das. Die wären ohne größeren Aufwand eingeschlossen. Außerdem ist Sprache Trägerin von Meinungen und Ideen. Wenn Sprache durch ihre Struktur vermittelt, dass der Mann im Zentrum steht, dann besteht die Möglichkeit, dass diese Ideen unreflektiert übernommen werden. Sie erscheinen schließlich natürlich.

Wenn mensch sich entschließt, emanzipatorische Sprache zu nutzen, macht ihn oder sie das aber nicht automatisch antirassistisch, antisexistisch oder anderweitig emanzipatorisch. Wer gendert, aber trotzdem sexistische Witze erzählt, ist kein:e Feminist:in. Wer transinklusive Sprache nutzt und dann Parteien wählt, die Transmenschen das Existenzrecht abspricht, ist nicht transinklusiv. Wer Frauen vor Männern nennt und dann gegen den Gesetzesentwurf für Vergewaltigung in der Ehe stimmt, ist kein:e Feminist:in. Emanzipatorisches Handeln ist wichtiger als emanzipatorische Sprache. Gendern kann zielführend sein, wenn Inklusion erreicht werden soll. Es sollte allerdings als Zusatz zu emanzipatorischem Handeln verstanden werden, nicht als Alternative. Das meint Sahra Wagenknecht, wenn sie davon spricht, dass Gendern eine zu große Rolle im linken Diskurs um Gleichberechtigung spielt. Das muss kommuniziert werden. Sonst entsteht der falsche Eindruck.

 

Von Christian Baum

Beitragsbild: Pixabay (Andrew Martin)