Nein, es geht in diesem Artikel nicht um Vögel. Stattdessen hat sich unser Autor Martin mit verschiedenen Schlaftypen befasst.
Wintersemester 20/21, Studieren im Lockdown 2.0. Es ist später November oder Dezember, draußen ist es noch ziemlich düster, denn es ist noch früh. Sehr früh. Viel zu früh. Doch das Seminar beginnt um 8:15 Uhr. Pünktlich. Man kriecht aus dem Bett, hockt sich vor den Rechner und startet Zoom (die Stunde im Liegen zu verfolgen wäre aufgrund einer hohen Gefahr des Wegnickens keine Option!). Das Bett bleibt aber dennoch in Sichtweite und besitzt eine geradezu magische Anziehungskraft. Sind die Inhalte dieser Seminarstunde vielleicht gar nicht so relevant? Sich bei ausgeschalteter Kamera in die Horizontale zu bewegen – was könnte in diesem Moment schöner sein? Dann fällt der Blick auf die vielen Kacheln im Bildschirm und auch auf einige Gesichter. Ein Blick wie in eine andere Welt. Hellwach sitzen manche da, fröhlich, voller Energie und Elan, bereit zur Diskussion, zur aktiven Teilnahme am Unterricht. Haben diese Menschen vielleicht etwas zu sich genommen? Hat ihnen ein bestimmtes Getränk ein Paar Flügel verliehen? Die Antwort ist aber viel simpler: Diese heiteren Gestalten sind höchstwahrscheinlich Lerchen. Und der arme, schlaftrunkene Mensch eine Eule.
Alle Eulen sind bloß Faulenzer?
Eule oder Lerche, eine Frage der Identität. Die Rede ist hier aber natürlich nicht von zwei Vogelarten, sondern von verschiedenen Schlaftypen, auch als Chronotypen bezeichnet. Analog zu den beiden Vertreterinnen aus der Tierwelt stehen die Lerchen früh auf und gehen früh ins Bett. Die Eulen dagegen wachen lieber später auf (wenn man es ihnen denn überhaupt gestattet) und beginnen dafür erst (weit) nach Mitternacht ihren Schlaf. Man bekommt oft zu hören: Es gibt gar keine Eulen und Lerchen, es gibt bloß Menschen mit einem gesunden Schlafrhythmus und Faulenzer:innen, die sich anstellen, morgens normal aufzustehen. Höchstwahrscheinlich würde eine solche Aussage dem Mund einer Lerche entstammen, denn die ist in unserer Gesellschaft deutlich besser aufgehoben: Sowohl die Schule, als auch die Arbeit beginnt meist am frühen Morgen, perfekt für die Lerchen, ein Albtraum für die Eulen.
Ein Blick auf die Statistik
Und ja, es gibt sie tatsächlich, die Eulen und Lerchen, und das ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen! Doch ganz so einfach ist das dann doch nicht! Denn die meisten Menschen sind weder die einen und noch die anderen, sondern ein Mischtyp, manchmal nennt man sie die Tauben. Je nach Definition sind nur etwa 20% der Bevölkerung einer der beiden Extremformen zuordenbar, 40% können als moderate Eulen bzw. Lerchen bezeichnet werden und die restlichen 40% sind der Normaltyp. Das Zentrums für Chronobiologie am Institut für Medizinische Psychologie der LMU unterscheidet ganze sieben Chronotypen, welche einer Normalverteilung/Gaußschen Glockenkurve entsprechen. Auffällig ist jedoch, das ca. 70% der Bevölkerung einen Wecker zum Aufwachen benötigen, wenn man annimmt, dass dieser vor 8 Uhr klingelt. „Dabei ist jede Nacht, die mit einem Wecker endet, eine nicht zu Ende geschlafene Nacht”, sagt Schlafmediziner Till Roenneberg, der an der LMU arbeitet.
Der Eulenjetlag
Und so kommt es bei den meisten Eulen zu einem sogenannten sozialen Jetlag: So hat die Forschergruppe um Roenneberg das Phänomen bezeichnet, wenn die innere, biologische Uhr mit der sozialen Uhr nicht übereinstimmt. Ganz besonders müssen darunter Schüler:innen der Oberstufe leiden. Denn der persönliche Chronotyp ist keineswegs unveränderlich, im Gegenteil, im Laufe des Lebens kann er sich sogar mehrmals ändern. Die überwiegende Mehrheit der Kinder ist dabei der Gruppe der Lerchen zuzuordnen, während im Jugendalter die Eulen die Überhand nehmen. Im Erwachsenenalter ändert sich der Schlafrhythmus aber oft wieder zugunsten eines Lerchentypus. Seinen Höhepunkt erreicht das Eulentum kurz nach dem 20 Lebensjahr und nimmt darauf kontinuierlich ab. Die x-Achse beschreibt dabei die Uhrzeit des Mittelpunkts des Schlafes. Auffällig ist, dass Männer häufiger zum Eulenleben tendieren, als Frauen.
Vorschlafen und Nachschlafen
Studien haben ergeben, dass der Chronotyp sich sogar auf die Schulnoten auswirken kann: Abiturient:innen aus dem Lager der Eulen schnitten schlechter ab als die Frühaufsteher. Etwas Abhilfe kann den Eulen da lediglich das Nach- und Vorschlafen am Wochenende leisten, denn sie werden gezwungen, während der Arbeits- bzw. Schulzeit gegen ihren Biorhythmus zu leben, Schlafmangel lässt sich da kaum vermeiden. Natürlich nur bis zu einem bestimmten Grad, aber „das Aufholen von Schlaf ist möglich“, erklärt Peter Young, Direktor der Uniklinik für Schlafmedizin in Münster. Dasselbe gilt auch für das Vorschlafen: „Wer im Voraus ausgeschlafen ist, kann am nächsten oder übernächsten Tag besser mit weniger Schlaf auskommen“, begründet Alfred Wiater, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung. Auch bei wissenschaftlichen Studien konnte man den Effekt des Vorschlafens bestätigen: Man ließ eine Probandengruppe eine Woche lang acht Stunden lang schlafen und die andere zehn Stunden pro Nacht. Danach setzte man beide Gruppen unter Schlafentzug und verteilte an alle Aufgaben, die von den „Vorschläfern“ besser gelöst werden konnten.
“Zu viel schlafen kann man nicht”
Oft hört man, dass nicht nur Schlafmangel, sondern auch ein Schlafüberschuss krankmachen würde. Dem widerspricht Ingo Fietze vom Schlafmedizinischen Zentrum der Berliner Charité: „Zu viel schlafen kann man nicht, denn der Körper holt sich nur so viel Schlaf wie er braucht“. Täglich möglichst lange im Bett zu bleiben ist allerdings auch keine gute Idee, da sich der Zeitpunkt des Einschlafens dadurch immer weiter nach hinten verschieben könnte, was häufig in einer Schlaf(rhythmus)störung mündet. Auch der sich hartnäckig haltende Mythos, vor Mitternacht sei der Schlaf am gesündesten, beruht nicht auf wissenschaftlichen Tatsachen. Denn am wichtigsten ist die etwa zwei- bis vierstündige Tiefschlafphase nach dem Einschlafen, ganz unabhängig vom Zeitpunkt des Einschlafens. Eine ideale Schlafdauer gibt es ebenfalls nicht, da manche Menschen sogar unter sieben Stunden Schlaf benötigen, andere jedoch länger als 9 Stunden schlafen müssen, um fit zu sein, wobei Spättypen tendenziell mit weniger Schlaf besser auskommen können.
Die Lerchen leben auf dem Land
Doch warum sind unsere Schlaftypen eigentlich so unterschiedlich? Fest steht lediglich, dass das Hormon Melatonin hauptverantwortlich für die Müdigkeit ist und demzufolge dessen regulärer Bildungszeitpunkt im Körper einen bestimmten Chronotyp determiniert. So setzt die Melatoninausscheidung bei den Eulen später ein als bei den Lerchen, wobei künstliches Licht, vor allem das Blaulicht von Bildschirmen, sich hemmend auf die Produktion auswirkt. Aber selbst die Außenbeleuchtung kann sich auf den Schlaftypus auswirken: In ländlichen Gegenden, wo nachts absolute Finsternis herrscht, scheint es unter Jugendlichen mehr Lerchen zu geben, als in den Großstädten. Doch über die genauen Ursachen der Entstehung unterschiedlicher Schlaftypen streitet sich die Wissenschaf. Davon unabhängig sollte man aber keineswegs versuchen, seinen Chronotyp mit Gewalt zu verändern, da man seiner Gesundheit so nur Schaden zufügen kann.
Und was ist mit unserer schlaftrunkenen Eule aus dem Seminar um 8:15 Uhr? Die sitzt jetzt, um 1:45 Uhr am PC und erstellt, parallel zu diesem Text, ihren Stundenplan für das Sommersemester 21. Die Wahl steht zwischen vier unterschiedlichen Proseminaren, doch eins davon beginnt donnerstags schon um 8:15 Uhr. Die Auswahl ist jetzt wohl auf drei geschrumpft.