Unser Autor erzählt in diesem Artikel die Geschichte, die sich hinter seiner umfangreichen Sammlung von Leporellos und Postkartenheftchen verbirgt. Ein besonderes Hobby wird hier genauer unter die Lupe genommen.

 

Für mich ist das Sammeln ein Ausdruck meiner Persönlichkeit, ein unzertrennbarer Teil von ihr. Angefangen mit Kerzen und Kerzenleuchtern, über Pins, Mineralien, Kühlschrankmagnete, Minibücher, Münzen und Streichholzschachteln, bis hin zu besuchten Ländern und Hauptstädten (und hunderten mitgebrachten Museumstickets) ist die Vielfalt der von mir gesammelten Objekte oder Tatsachen sehr groß.

All diese Dinge haben einen Platz in meinem Zimmer gefunden, sodass ich selbst dort langsam keinen Platz mehr finde. Wie eine frühneuzeitliche Kunst- und Wunderkammer ist mein Zimmer mittlerweile ein durchaus geeigneter Ort für Führungen. Mein wichtigstes Sammlungsgebiet, meine größte Passion aber habe ich noch nicht genannt, denn genau der soll dieser Artikel gewidmet sein.

Das Sammeln hat in meiner Familie Tradition. Schon mein Opa war ein leidenschaftlicher Sammler von Münzen und Pins aller möglichen Formen und Arten, was bisweilen zu Bemerkungen wie „Schmück dich nicht so aus, du bist doch kein Tannenbaum!“ vonseiten meiner Oma führte und in sich ordentliches Konfliktpotenzial barg.

Auch mein Papa liebt das Sammeln. Er ist nicht nur ein ambitionierter Numismatiker, also Münzensammler (besonders Silbermünzen stehen bei ihm hoch im Kurs), sondern auch ein Dendrologe, sprich Liebhaber von allerlei Hölzern, und so verwandelte sich das Wohnzimmer peu à peu in eine Schausammlung seltener Holzartenproben. Und auch mein Bruder sammelt, und zwar konstruktivistische Grafiken.

So ist es kaum verwunderlich, dass auch ich das Sammeln angefangen habe. Schon als Grundschüler inspizierte ich auf Flohmärkten die bis oben mit Münzen aus aller Herren Länder prallgefüllten Schachteln der Verkäufer:innen.

Eines Tages aber, vermutlich auf der Suche nach neuen Münzen, blieb ich vor einem ganz anderen Objekt stehen: Einem ca. DIN-A7-großen, ehemals roten, aber mittlerweile ziemlich stark ausgeblichenem Umschlag aus festem Papier, welches auf der Vorderseite ausgeschnitten war, sodass es wie ein Bilderrahmen dessen Inhalt umgab. Darunter war zu lesen: „10 VUES DE PARIS“, also zehn Ansichten von Paris, der Stadt der Liebe. Eiffelturm, Sacre Cœur, Arc de Triomphe, Notre-Dame de Paris, diese Bildchen zogen mich sofort in ihren Bann.

Ich überlegte nicht lange und für einen Euro wechselten die Pariser Stadtansichten den Besitzer. Für mich war dies der Beginn einer großen Leidenschaft, heute kann ich ganze 234 solcher Heftchen mein Eigen nennen.

Doch worum genau geht es eigentlich? Das systematische Sammeln von Ansichts- und Postkarten, Philokartie genannt, dürfte manchen vielleicht bekannt sein. In meiner Kollektion aber befinden sich jedoch keine Postkarten, sondern Postkartenheftchen, und für das Sammeln dieser gibt es leider keinen Fachterminus. Ihre Blütezeit erlebte diese besondere Art des Reisemitbringsels zwischen den 1920er und 1970er Jahren.

Vor allem ab dem 20. Jahrhundert konnten sich in Mitteleuropa immer mehr Menschen das Reisen erlauben, Kameras waren damals aber meist noch ziemlich teuer und kompliziert in der Bedienung. Daher kaufte man sich vor Ort kleine Heftchen mit ca. DIN-A7-großen, meist schwarz-weißen Fotografien, um sie später ins Reisealbum zu kleben. Manchmal waren sie aneinandergeklebt und ziehharmonikaartig gefaltet, in dem Fall nennt man sie Leporellos. Zum Glück sah man manchmal davon ab, diese Bilder in ein Album zu kleben, und so haben sich zahlreiche Exemplare bis heute erhalten.

Ansichten von Paris: Oft wurden die eingekauften Postkarten in eigene Fotoalben geklebt. Foto: Martin Scherbakov

Damals, als ich mein erstes Heftchen mit den Ansichten von Paris kaufte, konnte ich niemals ahnen, welche Ausmaße meine Begeisterung für dieses kleine Souvenir aus längst vergangenen Tagen einmal annehmen wird.  Mit jedem neuen Flohmarktbesuch entdeckte ich immer neue Heftchen und meine Kollektion wuchs stetig heran.

Was genau fasziniert mich aber an diesen Heftchen? Nun, zuallererst die Tatsache, dass es sie heute nicht mehr gibt. Während Leporellos auch im 21. Jahrhundert immer noch in diversen Souvenirläden erhältlich sind, handelt es sich bei Heftchen mit Fotografien im Format DIN A7 nur noch um ein reines Museumsobjekt, heute bringt schließlich jede:r die eigenen Urlaubsbilder auf dem Smartphone nach Hause.

Das Analoge, das Taktile, das Haptische, all dies können Aufnahmen mit der Handykamera und die Ansicht auf dem Display niemals leisten, den Fotoheftchen ist all dies aber inhärent. Diese kleinen, oft glänzenden, gestochen scharfen, meist schwarz-weißen Bildchen strömen einfach eine Magie aus, eine Aura, welche Smartphonebilder niemals haben werden.

Nur etwa ein Drittel meiner Sammlung ist auf diesem Foto sichtbar. Foto: Martin Scherbakov

Höchst interessant sind die Heftchen aber auch auf der inhaltlichen Ebene, denn sie sind wie ein Fenster in eine längst vergangene Zeit oder wie ein Stückchen Zeitgeschichte, ein Stückchen des 20. Jahrhunderts zum Anfassen, etwas, was ich als Digital Native niemals erleben konnte. Sie sind wahre Zeitdokumente, halten sie doch fest, wie sich die Mode im Laufe der Jahre gewandelt hat (man sieht, wie scheinbar jeder auf der Straße einen Anzug, oft mit Hut, trug), wie Transportmittel von anno dazumal ausgesehen haben (heute haben sie den ihnen gebührenden Platz in Verkehrsmuseen eingenommen), oder auch wie sich Stadtbilder aufgrund politischer Ereignisse gewandelt haben (mitunter entdeckt man z.B. einen „Adolf-Hitler-Platz“, natürlich umsäumt von endlosen Hakenkreuzfahnen).

Genau hinschauen lohnt sich: Erst sieht man die “Stadt der Reichsparteitage” auf dem Cover, dann den “Adolf-Hitler-Platz” (Schriftzug in der linken unteren Bildecke) und schließlich die an den Häusern angebrachten Hakenkreuzfahnen in Innsbruck. Foto: Martin Scherbakov

Selbst das Design dieser Heftchen ist es wert, genauer betrachtet zu werden: Die Schriftzüge, manchmal verspielt, dann wieder zurückhaltend elegant, die Rahmung, von klassisch rechteckig bis oval und sogar freiförmig, die Farben, von Blassbeige über dunkles Grün mit knallig gelben Streifen bis zum imposanten Rot. Besonders spannend ist es, Heftchen aus verschiedenen Epochen zu vergleichen, die ein und dieselbe Stadt zeigen, Heftchen mit Ansichten von Paris z.B. finden sich in meinen Sammlungen ganze fünf Mal!

Durch Corona kam meine Sammelleidenschaft leider fast gänzlich zum Erliegen, denn meine Hauptbezugsquelle, die Flohmärkte, konnte ich bereits fast anderthalb Jahren nicht mehr ansteuern. Umso mehr freue ich mich darauf, wenn Trödelmärkte wieder stattfinden können, sodass ich wieder, wie in guten alten Zeiten, durch die Reihen schlendern und nach Leporellos und Carnets suchen kann.

Fast noch lieber jedoch würde ich diese Heftchen direkt bei euch, meinen Leser:innen, erwerben! Liegen in der Schachtel mit alten Postkarten vielleicht nicht zufällig auch ein paar solcher Fotoheftchen? Oder stand da nicht diese eine große Kiste mit allerlei Kram auf dem Dachboden, die schon seit Ewigkeiten durchstöbert werden will? Ich freue mich wirklich über jede gefundene Kleinigkeit! Falls ihr fündig werden und auch bereit sein solltet, euch von diesen kleinen Schätzeleien zu trennen, könnt ihr auf unterschiedlichsten Wegen mit mir in Kontakt treten:

Insta: schermartin
martin-in@web.de

 

Text und Bilder von Martin Scherbakov

 

Hast du auch eine Sammelleidenschaft? Dann schicke uns gerne einem Beitrag, in dem du sie vorstellst!