Wie die Vergangenheit die Grundlage der Zukunft darstellt
Diana Ezerex ist eine talentierte, aufstrebende Singer-Songwriterin, die für ihre ehrenamtlichen Konzerte in Gefängnissen unter anderem mit dem Heinz-Kappes-Preis 2020 ausgezeichnet wurde. Seit 2017 spielte sie in Gefängnissen deutschlandweit Konzerte für Insass:innen, da sie neugierig gewesen sei, diese Parallelwelt zu sehen, so Ezerex im Interview. Damals beeindruckt durch die Berichte einer Freundin überlegte sie, wie man Menschen im Gefängnis am besten erreichen könne. Schließlich kam sie dazu, mit künstlerischen Auftritten buchstäblich das Gitter zu durchbrechen.
Dabei geht es ihr nicht primär um das Gefängnis als solches, sondern um die „Individuen, die Menschen die da drin sind und die Geschichten dahinter“, sagt sie wörtlich. Besonders am Herzen liegt ihr hier die Gewaltprävention; mit ihren Songs möchte Ezerex deutlich an die Diplomatie appellieren. Menschen sollen lernen, Probleme gewaltfrei zu lösen, damit Gefängnisse idealerweise gar nicht mehr gebraucht werden, doch dass wir davon noch weit entfernt sind, ist leider traurige Realität.
Zwiegespalten ist sie bei der Frage allerdings noch, ob sie ihr neues Album „my past’s gravity“ auch dann im Gefängnis spielen möchte, schließlich verarbeitet sie in den Songs Geschichten und Schicksale, die die Insass:innen betroffen haben könnten und jemanden ohne weiteres damit zu konfrontieren sei hart, so Ezerex. Nach Corona will Ezerex auf jeden Fall wieder im Gefängnis auftreten und dort ihre Lieder und Texte performen.
In ihrer Musik ist sie von vielen Quellen inspiriert. Als eines ihrer Vorbilder nennt sie hier Emeli Sandé, da diese als Künstlerin besonders tiefgründige und lyrisch hochwertige Texte schreibt. Das ist es, was Ezerex besonders wichtig ist: „Da kann die Melodie noch so cool sein, wenn der Text nicht so geil ist, ist es einfach vorbei“, erzählt Ezerex weiter. Privat hört sie allerdings nicht nur wenige Artists rauf und runter, sondern ihre Playlist ist vollgepackt mit lauter Genres, aus denen sie Einflüsse auf ihre Musik bezieht.
Generell zieht Ezerex viel Inspiration aus der Vergangenheit und spielt mit diesem Motiv auch in ihrer neuste Single „What goes around“ (Hier anhören). Dort singt sie „I couldn’t talk ’bout my past, now that I know that you would never take a walk in my shoes.“ (dt.: Ich könnte nicht/nie über meine Vergangenheit sprechen, jetzt wo ich weiß, dass du nie mit meinen Schuhen gehen würdest). Denn ihrer Ansicht nach prägt die Vergangenheit maßgeblich die Gegenwart und somit auch die Zukunft einer Person, wo wir wieder beim Thema des Gefängnisses wären, denn Ezerex meint, vielen Straftaten lägen Traumata aus der Vergangenheit zu Grunde, was sie eben mit dieser Zeile ins Spotlight rücken will. Eben darum muss man sich nicht nur mit seiner Vergangenheit beschäftigen, sondern diese in psychologischen Härtefällen auch aufarbeiten, sonst kann man sich nicht auf eine Vertrauensbasis begeben.
Mit genau diesem Gedanken im Hinterkopf, dass die Vergangenheit einen Menschen formt, entstand auch der Titel des Albums „my past’s gravity“. Es sind die zurückliegenden Ereignisse, die die Taten und Gedanken der Gegenwart einer Person begründen und wiederum die Gegenwart ist für die Zukunft die Vergangenheit. Gerade bei Straftäter:innen fehlt oft der optimistische Blick, deswegen passt die Formulierung „past’s gravity“ so gut. Die Schwerkraft ist die Konstante aller Menschen auf diesem Planeten und das, was uns allen zugrunde liegt. Doch sind wir nicht immer an die Schwerkraft gebunden, und gleich der Vergangenheit können Menschen beides überwinden und in eine neue Zukunft blicken.
Das Besondere an ihrem Album ist allerdings, dass es nicht nur einfach ein Musikalbum ist. Konzipiert ist es als umfassende Kunstaktion, bei der zu jedem Song auf der Platte ein Musikvideo erscheinen wird; außerdem inszeniert sie mit einer Theater-AG noch ein Stück passend zum Gesamtkonzept. In dem zusätzlich erscheinenden Buch erzählen Insass:innen in Kurzgeschichten von ihren Schicksalen und Vergangenheiten, während nebendran Ezerex‘ Songtext das Thema untermalt.
Die sonst oft so große Lücke zwischen Hoch- und Subkultur versucht Ezerex hier mit viel Muße zu schließen, in dem sie mit klassischen Instrumentalensemblen auftritt, mit echten Schauspieler:innen und Lai:innen Theater inszeniert, das Album in der Textform nochmal besonders zur Geltung bringt. Außerdem ist eine Benefizausstellung geplant, welche Resozialisierungsmaßnahmen von Gefangenen unterstützt.
Wichtig sei ihr hier, dass „auch andere Künster:innen hier die Leitung haben, und so neue Ideen realisieren, die ihr so gar nicht eingefallen wären“. So interpretiert sie den Kunstbegriff, in dem verschiedenste Menschen verschiedenste Eindrücke bei allen Zielgruppen hinterlassen.
Diana Ezerex veröffentlicht mit ihrem Album am 25.6 also nicht nur einfach eine Platte mit 14 Songs drauf, sondern erzählt in tiefgründingen Texten Schicksale, Emotionen und Geschichten. Durch die mehrschichtige, kreative Verwirklichung von Künstler:innen aller Disziplinen bekommt all das mehrere Ebenen, die möglichste viele Menschen berühren und erreichen sollen. „my past’s gravity“ ist also nicht einfach nur ein Newcomer-Album, es ist viel mehr und genau das gilt es im ganzen verbleibenden Jahr zu entdecken, bis hoffentlich im darauffolgenden Jahr die geplante Album-Tour stattfinden kann. Erscheinen wird das Album auf CD und Vinyl am 25.6 und in den anderen genannten Kunstformen dann im Laufe des Jahres. Viel Spaß beim hören und vielen Dank an Diana Ezerex für das Gespräch.
Hier findet ihr mehr über sie heraus:
von Henrik Hösch
Bilder von Diana Ezerex (Pressefotos)