Wer im Müll der anderen sucht macht sich selbst die Hände schmutzig: Negative Campaigning heißt, Gegner:innen negativ darzustellen, um selbst besser dazustehen, besonders im Wahlkampf. Unsere Autorin Celina dröselt auf, was dahintersteckt, und ob sich das Negative Campaigning für Parteien überhaupt “lohnt”.

„Negative Campaigning (in Österreich „Schmutzkübelkampagnen“ genannt) bezeichnet eine Form von Werbung oder insbesondere politischer Öffentlichkeitsarbeit, bei der versucht wird, den (politischen) Gegner bzw. Konkurrent in ein schlechteres Licht zu rücken, um damit das eigene Ansehen zu erhöhen. Dabei werden insbesondere private, aber auch öffentliche oder geschäftliche Verfehlungen instrumentalisiert, um die betreffende Person, Partei, oder Organisation gezielt zu skandalisieren. Charakterisierend für Negative Campaigning ist vor allem, dass es sich sachlichen Argumenten zu entziehen versucht und stattdessen die persönliche Auseinandersetzung in den Vordergrund stellt.“

Das ist die Definition von Negative Campaigning, die man auf Wikipedia finden kann. Nachdem ich diesen Abschnitt gelesen habe, habe ich kurz überlegt mir den ganzen Ärger und die Recherche zu ersparen und mein Artikelthema zu „Warum ein österreichischer Dialekt mein Leben verbessern würde“ zu ändern. Schlagsahne wird zu Schlagobers, ein mit Wasser verdünnter schwarzer Kaffee zu einem Verlängertem und Negative Campaigning eben zu Schmutzkübelkampagne. Zack, wirkt doch alles gleich viel freundlicher. Lässt das Thema aber leider auch nicht verschwinden.

Während der Trend in den USA schon längst zum guten Ton bei Wahlen gehört, ist er in Deutschland eher neu. Ich stellte mir die Frage, welche Gründe es für Parteien gibt Negative Campagning zu betreiben, anstelle auf die eigenen Stärken und Inhalte aufmerksam zu machen? Also habe ich peer-reviewed Studien und Metaanalysen gelesen und versucht mir ein ausgewogenes und wissenschaftliches Bild zu machen:

Als Erstes wird in den Studien das Offensichtliche angeführt: Es soll den Parteien helfen, Stimmen zu gewinnen und Sympathisant:innen weiterhin an sich zu binden oder zumindest dafür sorgen, dass die gegnerischen Parteien Stimmen verlieren. Allerdings sollte hinter Negative Campaigning aus logischer Sicht immer eine Kosten-Nutzen-Rechnung stehen: Denn viele Studien belegen einen „Backlash Effekt“. Während die Bindung der Anhänger:innen der angreifenden Partei an diese Partei verstärkt wird, wird die Bindung der Anhänger:innen der angegriffen Partei an deren Partei ebenfalls verstärkt. Nichtwähler:innen werden häufig in ihrer Wahlentscheidung gar nicht von Negative Campaigning beeinflusst. Und Wähler:innen anderer Parteien wenden sich wahrscheinlicher der angegriffenen Partei zu. Es ist also nur sinnvoll Negative Campaigning zu betreiben, wenn man davon ausgeht, dass die Anzahl der eigenen Wähler:innen dadurch proportional stärker als die der angegriffenen und der unbeteiligten Parteien steigt. Jedoch zeigen die meisten Studien, dass Negative Campaigning keine effektive Strategie ist und es keinen wissenschaftlichen Beleg gibt, dass es überhaupt Stimmen für die angreifende Partei maximiert. Der Backlash-Effekt hingegen ist belegt und ist geringfügig stärker als die Auswirkung auf die angegriffene Partei.

Wenn man sich mit Negative Campaigning beschäftigt, stößt man immer wieder auf die „demobilization hypothesis“. Diese Theorie von Ansolabehere und Iyengar aus dem Jahr 1995 postuliert, dass Negative Campaigning die Wahlbeteiligung sowie politische Mobilisierung verringert in dem die Wahrscheinlichkeit der Stimmabgabe für die angegriffene Partei, aber auch für die angreifende Partei sinkt. Zudem wird davon ausgegangen, dass Negative Campaigning politische Effizienz und Vertrauen verringert. Die aktuelle Studienlage ist nicht eindeutig. Die Demobilization Hypothesis an sich konnte vor allem in älteren Studien belegt werden, neuere Studien aus den letzten zehn Jahren können diesen Effekt nicht replizieren und keine Verbindung zwischen Negative Campaigning und Apathie, schlechtere Volksstimmung, sowie Zynismus finden. Es gibt allerdings viele Studien, die darauf hindeuten, dass Negative Campaigning das politische System an sich angreift: die Wahlkampfstrategie scheint eine potenzielle Gefahr für die Wahrnehmung der politischen Wirksamkeit und das Vertrauen in die Regierung zu sein und könnte damit langfristige Probleme auslösen. Bei den Ergebnissen sollte bedacht werden, dass die Theorien und Untersuchungen vor allem in Zwei-Parteien Systemen gemacht wurden. Im Gegensatz zu den USA hat Deutschland ein Mehrparteiensystem. Mögliche Wähler:innen lehnen eventuell tatsächlich durch Negative Campaigning die angegriffene und die angreifende Partei ab, allerdings können die Wähler:innen dann trotzdem für eine unbeteiligte Partei stimmen, sodass die Studien in dem Kontext eines Mehrparteiensystem neu durchgeführt werden müssten, um die Ergebnisse zu sichern.

Daneben sollte die Theorie bedacht werden, dass Negative Campaigning auch positive Effekte haben könnte: Negative Mitteilungen können wichtige und nützliche Informationen für Wähler:innen beinhalten und generelles Wissen zu Themen und Problematiken erhöhen. Verfehlungen der momentanen Regierung herauszustellen und kontrastieren von Regierungsideen sind ein wichtiger Teil des demokratischen Prozesses. Die Fehler der Politiker:innen und ihrer Parteien werden also beleuchtet und könnten helfen, informiertere Entscheidungen zu treffen. Daneben spielt der sogenannte „Negativity Bias“ eine Rolle: Menschen beachten und gewichten negative Informationen mehr als positive. Dadurch könnte die Wahl durch Negative Campaigning für viele Wähler:innen bewusster gemacht werden und Interesse und Teilnahme erhöhen. Allerdings ist bei dieser Theorie aus meiner Sicht die Unterscheidung zwischen respektvoller, fachlicher und respektloser, persönlicher Kritik wichtig. Dieser Aspekt wurde von vielen Studien bereits anerkannt, dennoch fehlen zu diesem Thema momentan noch Studien.

Interessant ist auch der Befund, dass Amtsinhabende eher selten Negative Campaigning betreiben, da sie anstelle ihre Amtszeit und deren Erfolg bewerben können. Nicht-Amtsinhabende hingegen können bei ihrem Wahlkampf nicht auf das gleiche zurückgreifen. Dies könnte vielleicht eine Erklärung sein warum Negative Campaigning in diesem Wahlkampf so stark zugenommen hat. Man geht auch davon aus, dass Negative Campaigning zunimmt, falls der Ausgang der Wahl sehr eng ist. Die Idee dahinter ist, dass Negative Campaigning die Sichtbarkeit der jeweiligen Wahlkampagne erhöhen soll. Auch hier spielt der „Negativity Bias“ eine Rolle: sowohl die Wähler:innen sollen so eher die Wahlkampagne wahrnehmen als auch die Medien, die aufgrund des Negativity Bias eben auch eher Negatives vermarkten können.

Natürlich sind die Befunde der Studien keine hundertprozentige Garantie wie sich Negative Campaigning auf Wähler:innen auswirkt und besonders der Inhalt der Wahlkampfstrategie ist meiner Meinung nach für den Eindruck bei Wähler:innen relevant. Ich persönlich werde eine Partei nicht nur nicht wählen, weil sie Negative Campaigning betreiben. Aber ich stelle die Integrität und ob sie von fehlenden eigenen Ideen oder eigenen Verfehlungen ablenken wollen, durchaus in Frage. Ich würde mir wünschen, dass wir zurück zu einem Wahlkampf, der rein auf Inhalten und inspirierenden, neuen Vorschlägen basiert, gehen könnten. Dann würde ich jetzt vielleicht nicht hier sitzen und diesen Artikel schreiben, sondern gemeinsam mit vielen anderen Wähler:innen den Wahlkampf auch wieder gerne verfolgen.

von Celina Eichhorn

Beitragsbild: unsplash (Markus Winkler)