Johanna findet, die Serie kann viel mehr als nur Liebes-Schmonzette sein: sie beschäftigt sich nämlich nicht nur mit Herzschmerz, sondern auch mit Themen wie häuslicher Gewalt, LGBTQIA+, Emanzipation und dem spanischen Bürgerkrieg. (Achtung: Spoiler!)
Als alte Romantikerin und Drama-Liebhaberin war diese Serie wie für mich geschaffen. Mehr Schnulze, spanisches Temperament und sexy Männer-Stimmen geht nicht. „Las Chicas del Cable“, zu Deutsch „Die Telefonistinnen“, ist die erste in Spanien produzierte Netflix-Originalserie. Zwischen 2017 und 2020 drehten die Produzenten an unterschiedlichen Locations der spanischen Hauptstadt Madrid und schufen eine herzzerreißende, historiengetreue und wunderschön inszenierte Drama-Serie, die ich erbarmungslos durchsuchtete. Damit euch dieses Prunkstück nicht vorenthalten bleibt, habe ich mich drangesetzt für euch eine persönliche Review darüber zu schreiben.
Als ich die Vorschau zu „Las Chicas del Cable“ auf Netflix sah, hatte ich zu Anfang eigentlich keine besondere Lust reinzuschauen. Irgendwie wirkte die Serie total banal. Die Eleganz des 20er-Jahre-Settings sprach mich zwar an, doch der Einstieg in die Geschichte überzeugte nicht auf Anhieb. Zu Beginn der ersten Folge ist Protagonistin Lidia mit einer Freundin und Diebesgut im Gepäck auf der Flucht – ihr Ziel Argentinien. Schnell tritt der gefürchtete Ehemann dieser Freundin auf und bedroht die beiden mit einer Pistole, um seine Frau zum Bleiben zu zwingen. Lidia stürmt auf ihn zu, um Schlimmes zu „verhindern“, doch auf einmal sind Ehemann und Freundin tot, woraufhin unsere Heldin verhaftet wird. Erklärung? Keine. Logik? Zweitrangig. Denn schnell erfahren die Zuschauer*innen eine hervorragende Ablenkung als Lidia in einer aufstrebenden madrilenischen Telekommunikations-Firma mit charmanten und überaus gutaussehenden Direktoren als Telefonistin anfängt und dabei Freundinnen fürs Leben findet.
Das Leben der Telefonistinnen Lidia, Ángeles, Marga und Carlota ist eine stetige Abfolge von dramatischen Verstrickungen rund um Machtkampf, Intrigen, Liebe und Emanzipation. Als Telefonistinnen verkörpern die Hauptdarstellerinnen den Prototyp sich emanzipierender Frauen im Spanien der 1920er-Jahre, denn weibliche Erwerbstätigkeit ist zu diesem Zeitpunkt ein Ausnahmefall. Im Verlauf der Serie stoßen die Telefonistinnen immer wieder auf große Hindernisse was ihre Tätigkeit in der von Männern dominierten Compañía betrifft. Als Ángeles Ehemann eine Beförderung erhält, soll sie mit ihrer Arbeit aufhören, um das Ansehen der Familie zu wahren, doch im Grunde ist er nur daran interessiert seine Geliebte ungestört in der Abstellkammer zu vernaschen. Lidia muss sich als neue Projektleiterin gegen alteingesessene Mitarbeiter durchsetzen, die von einer Frau keine Befehle annehmen wollen und Carlota wird mehrmals dazu genötigt die Firma zu verlassen, da ihr Vater, ein ranghoher Militär, es für unschicklich hält, wenn seine hochgeborene Tochter arbeiten geht.
Neben der Auseinandersetzung mit gesellschaftskritischen Themen wird den Zuschauer*innn zudem eine große Portion Sentimentalität aufgewartet. Durch ihre ungebrochene Loyalität und tiefe Verbundenheit schaffen es die Telefonistinnen auf Biegen und Brechen füreinander einzustehen, sodass sie auch aus den ausweglosesten Situationen immer wieder herauszufinden. Sie lassen Leichen verschwinden, gehen füreinander ins Gefängnis, sie lügen, manipulieren und tricksen und doch immer nur mit der besten Absicht – um ihren Freundinnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
Auch die bittersüße Romantik, welche einen Großteil der Handlung dominiert, brachte mich dazu die Serie ohne Unterlass zu verfolgen. In der ersten Staffel wird Lidia erpresst, im Gegenzug für ihre Freiheit den Inhalt des Safes in der Compañía zu stehlen. Doch kurz bevor sie das Diebesgut in den Händen halten kann, wird sie aufgehalten. Und nicht von irgendjemandem, sondern von Ihm. Der Direktor der „Cifuentes Telekommunikations-Firma“ ist niemand anderes als Lidias Freund aus Teenager-Jahren mit dem sie vom Land in die Großstadt zog und ihn in den Menschenmengen des Bahnhofs Atocha für immer aus den Augen verlor. Nach 10 Jahren treffen sie sich dann in genau dem Moment wieder, als sie drauf und dran ist das Geld der Firma zu stehlen – doch natürlich kommt es nicht dazu. Wer würde auch nicht jegliches Geld und seine Gläubiger vergessen, wenn Yon González Luna mit seiner unfassbar erotischen Stimme offenbart, dass auch zehn Jahre nicht ausreichen, um einen zu vergessen. Dieser Typ, der schon in Serien wie „Grand Hotel“ die männliche Hauptrolle übernahm, hat durch „Die Telefonistinnen“ unzählige Fan-Herzen dahinschmelzen lassen und dabei gar nicht mal schlecht geschauspielert. Unvergessen bleibt der Augenblick, in dem er seiner geliebten Lidia ihr verschollenes Kind zurückbringt und mit den Worten „Eva geht es gut“ angeschossen zusammensackt. Auch seine wuterfüllten emotionalen Ausbrüche bleiben authentisch, er schlägt wundervoll Spiegel ein und mit einer Waffe umgehen kann er auch. Immerhin kommt der Schauspieler aus dem wilden Baskenland und fährt in seiner Freizeit Motorrad. González Luna verkörpert eine perfekte Mischung aus gepflegt und elegant bei gleichzeitig ungebremster rauer Männlichkeit. Ich meine, kann sonst jemand so sexy rauchen?! Auf Instagram häufen sich jedenfalls die Kommentare in denen leidenschaftliche Fans schwören was sie nicht alles für Ihren Angebeteten Yon tun würden: Spanisch lernen, auswandern, bis ans Ende der Welt reisen, ihn ewig lieben. Ja, ich kann diese Gefühle gut nachvollziehen…
Aber nicht nur bei Yon’s Anblick, sondern in der gesamten Serie bin ich mit meinen Emotionen immer wieder bis ans Limit gegangen. In einigen Episoden habe ich so sehr mitgefiebert, dass ich mein Herzklopfen bis zum Hals spürte. Werden Lidia und ihre Freund*innen es schaffen Oskar aus dem Gefängnis zu befreien? Können die Frauen aus dem Gefangenenlager entkommen und ihr neues Leben in Argentinien beginnen? Oder die vielen Male, als mich die Serie zu Tränen rührte, wie, wenn Marga ihren totgeglaubten Mann beerdigen will und der Trauerzug von einer Gruppe franquistischer Soldaten gestoppt werden soll. Die vermeintliche Witwe tobt wider Willen und will ihren geliebten Pablo um jeden Preis beerdigen, sodass sie nicht zögert sich, ohne jegliche Möglichkeit zur Verteidigung mit dem finsteren und schwer bewaffneten Kommandanten anzulegen, der die Arme sogleich exekutieren will.
In dieser rasant erzählten Serie ist wirklich keine Szene ein Filler. Alle Charaktere bekommt ihre eigenen einzigartigen, wunderschönen und häufig auch erschreckenden Auftritte. Es fällt mir schwer die Darstellung häuslicher Gewalt zu vergessen, die Ángeles in ihrer Ehe mit dem bösartigen und frauenverachten Mario erleben muss. Oder wenn Oskar wegen seiner Transsexualität in der Psychiatrie im Eisbad gequält wird. Obendrauf gibt’s die böseste Fast-Schwiegermutter, die man sich nur vorstellen kann. Erzwungene Beinahe-Abtreibung, Kindes-Entführung, Tortur im Gefangenen-Lager – all das ist ausschließlich ihr Werk – und das zahlreicher Lakaien.
In der zweiteiligen finalen Staffel rückt schließlich der spanische Bürgerkrieg ins Zentrum der Erzählung. In einem letzten ungleich spannenden Gefecht kämpfen die Freundinnen noch einmal Seite an Seite um ihr Schicksal. Doch der lang ersehnte Abschluss sorgte innerhalb der Fangemeinschaft für viel Diskussion. Die Serie, die trotz einiger Tode und starker Dramatik immer wie die typische „Am-Ende-wird-alles-gut“-Schmonzette wirkte, habe wegen ihrem traurigen Ende auf einmal wie „Game of Thrones“ gewirkt, denn unsere Heldinnen, die eben noch in ihren schicken Bleistift-Röcken und Pumps herumgetänzelt sind, sterben tatsächlich einen brutalen Märtyrer-Tod. Total unfair und sinnlos nach all den Strapazen, die die Freundinnen im Verlauf der Serie erleiden mussten, heißt es auf Instagram und Co.
Doch meine Meinung dazu war eine andere. Klar, ich hätte mir auch gewünscht, dass Marga und Pablo bis an ihr Lebensende glücklich in ihrem kleinen Häuschen in Argentinien leben, Carlota und Oskar ihre neue Rolle als LGBTQ-Adoptiv-Eltern ausleben und Traummann und Traumfrau – Lidia und Francisco – in den Sonnenuntergang reiten, ähm, ich meine natürlich fliehen. Doch statt mit den anderen Fans mitzutrauern, hat es mich tatsächlich berührt zu sehen, dass den Damen dieses Mal keiner zu Hilfe eilt. Ich fand es originell, dass sich die Frauen opfern, um ihre Liebsten zu schützen und nicht die ewige Leier vom Helden, der für seine Geliebte stirbt, abgespielt wird. Die Serie und vor allem ihr Finale, so erklären es die Macher aus dem Off, steht sinnbildlich für all die Frauen, die im Verlauf der Geschichte große Opfer und manchmal ihr Leben geben mussten, damit wir heute in einer besseren und gerechteren Welt für Frauen leben können. Und diese Botschaft finde ich weitaus wichtiger als ein Happy End.
von Johanna Ernst
Beitragsbild: unsplash (Museums Victoria)