Die Kleinen gegen die Großen, die moderne Jugend gegen die verstaubten Boomer, die Mäuse gegen die Raubtiere: die Lage ist ernst, der Abend anfangs etwas zäh. Er hält jedoch eine besondere Überraschung bereit.

Der Abend beginnt mit einer sich ad nauseam wiederholenden Durchsage: Die Hoheiten, Bundesminister, Bürgermeisterin, Menschen, Künstler*innen und Aktivist*innen mögen doch bitte ihre Plätze einnehmen. Auf der Bühne bereiten sich die als Bär, Fuchs, Schlange, Wildkatze und Wolf kostümierten Darsteller*innen auf eine Kundgebung vor, im Hintergrund tummeln sich in einem typisch improvisierten Aktivist*innen-Hauptquartier (alte, mit Stickern beklebte Möbel, eine ausgesessene Couch, ein einsamer Laptop) die Mäuse und beobachten die Raubtiere misstrauisch.

Los geht es – nach einer musikalischen Klarinetteneinlage, ein gefühlvoll-pathetisches „Imagine“ von John Lennon – zunächst mit scheinbar endlosen Reden über die „Stadt der Zukunft“: um 6.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen, das Industriegebiet der Region zu retten und die umweltbewusste Protest-Jugend zu beschwichtigen soll ein Werk entstehen, das Batterien für Elektroautos herstellt. Dass die kaum besser für die Umwelt sind als herkömmliche Autos wird geflissentlich ignoriert.

Der schlaue, listige Kapitalismus-Fuchs (Max Mehlhose-Löffler) zeichnet eine Vision der “Stadt der Zukunft” (Foto: Jochen Quast).

Nach und nach wird klar: Die „grüne“ Oberbürgermeisterin (Elke Wollmann) hat ihre einstigen 68er-Ideale hinter sich gelassen, um ihre politische Karriere zu fördern. Ihre Tochter (Nina Lilith Völsch) und ihr Sohn (Leon Amadeus Singer) hassen sie dafür. Der Vater (Hermann Große-Berg) fühlt sich für seine Care Arbeit, mit der er seiner Frau seit Jahren den Rücken freihält, nicht respektiert. Die lokale Presse (Janina Zschernig) dreht sich wie ein opportunistisches Fähnchen im Wind; verspricht zunächst, die Belange der Jugend in einem Beitrag an die Öffentlichkeit zu tragen – nur um dann natürlich noch die Meinung des rücksichtslosen Kapitalisten (Max Mehlhose-Löffler) aufzunehmen, denn als unparteiisches Blatt müssen bei ihr natürlich alle Seiten repräsentiert sein. Und der Betriebsrat (Ralph Jung)? Der will natürlich nur die Existenzen der Angestellten retten – und seinen Spaß am Gas geben im fossilgetriebenen Flitzer. Die Figuren, stereotype Repräsentationen die sie sind, sind alle herrlich facettenreich.

Ironische Patriarchats-Umkehr: Der Hausmann (Hermann Große-Berg) findet, seine Care Arbeit, mit der er seiner Frau (Elke Wollmann) seit Jahren den Rücken freihält, werde nicht wertgeschätzt (Foto: Jochen Quast).

Obwohl es nach den Eingangsreden doch so langsam endlich auch plotmäßig vorangeht, nimmt der Abend eher langsam an Fahrt auf – was vielleicht doch eine Repräsentation der Wirklichkeit ist, schließlich bewegt sich in der Politik seit Ewigkeiten fast gar nichts, obwohl die Dringlichkeit der Situation seit mindestens 50 Jahren bekannt ist (zumindest allen, die an den Klimawandel auch glauben).

Immer wieder kommt Musik zum Einsatz: der oben genannte Lennon, das utopische Tomorrowland, gesungene Dialoge, die eigens für die Inszenierung mit dem Ensemble entwickelt wurden. Links und rechts am vorderen Bühnenrand wird gelegentlich die Übertragung einer Videokamera auf Leinwände projiziert, die den genauen Blick auf Reaktionen und den direkten Dialog der Aktivist*innen mit dem Publikum erlaubt.

Hat die Schlange (Janina Zschernig) vielleicht doch ein Gewissen? Für die Lokalpresse wird fleißig ein thematischer Schwerpunkt “Klima” geplant (Foto: Jochen Quast).

Richtig spannend wird es dann nach etwa zwei Dritteln: ein Riesen-Kunstwerk (16 auf 5,50 Meter, gemalt von Michaela Fuchs-Jalloh) wird enthüllt, der Gletscherrrr. Überraschend werden die Tierattribute (Haarreifen mit Ohren, Felljacken, angeklebte spitze Zähne) abgelegt. Das Saallicht geht an und die Zuschauer*innen sind dran: Sie können sich bei einer Versteigerung ein Stück des Gletscherrrrs erbieten, samt Seriennummer und Echtheitszertifikat. Die Einnahmen werden gespendet, um in Afghanistan von den Taliban verfolgte Klima-Aktivist*innen mithilfe der Kabul-Luftbrücke nach Deutschland zu bringen.

Nach der Versteigerung könnte das Stück schon vorbei sein, es gibt aber erst noch mehr Streit und sehr viel lautes Drunter und Drüber: der Vater dreht durch und spricht vom Krieg für den Klimafrieden, es darf schneien und eine CO2-Kanone wird ausgepackt, mit der hemmungslos auf alle gezielt wird. Die Oberbürgermeisterin behauptet, die wahre Plage und die wahren Schuldigen wären die Kinder, diese Nervensägen. Es gibt eine musicalreife Ensemble-Nummer, die ein perfektes Ende hätte sein können, aber die Tochter ist noch nicht fertig mit ihrer Abrechnung. Während also am Anfang fast zu wenig passiert, ist zum Schluss beinahe überwältigend viel los – dafür entfalten sich hier auch endlich von jeglicher Scheinheiligkeit befreite Bilder.

Der rücksichtslose Kapitalist (Max Mehlhose-Löffler) zielt gewissenlos auf alle (Foto: Jochen Quast).

Das tatsächliche Ende, mit prägnanten Worten zur drohenden Apokalypse und ihrer Bekämpfung vorgetragen von den stets präsenten und gut eingesetzten Statist*innen, hätte noch etwas mehr Mut vertragen können: „Gemeinsam sind wir unaufhaltbar“, das ist eine starke Aussage, die uns allen in den Ohren klingen und uns bis nach Hause begleiten sollte.

“Volksfeind for Future” nach Motiven von Henrik Ibsen von Lothar Kittstein (Textmitarbeit: Volker Lösch)

am Theater Erlangen

Regie: Jan Langenheim

Bühne: Benjamin Schönecker

Kostüme: Nina Kroschinske

Musik: Thies Mynther

Dramaturgie: Udo Eidinger

Besetzung: Elke Wollmann, Hermann Große-Berg, Nina Lilith Völsch, Leon Amadeus Singer, Janina Zschernig, Max Mehlhose-Löffler, Ralph Jung

Statist*innen: Jasmin Rogelj, Johannes Kurz, Juri Schönitz, Neo, Sabrina Wegscheider

Termine und Tickets findet ihr hier.

von Svenja Plannerer

Beitragsbild & Bilder im Text: Jochen Quast