Mit “trail_thielx” von Anika Paulina Stauch trifft Theater auf Twitch: Unsere Autorin hat sich die Premiere des Gewinnerkonzepts des fünften Regienachwuchswettbewerbs “Bühne digital” angesehen.
In den vergangenen Jahren sind die Grenzen zwischen analog und digital zunehmend verschwommen. Welche Möglichkeiten und neue Chancen bieten digitale Welten und ab welchen Punkt werden sie zu einem Ort für potenziellen Eskapismus? Wie gut eignen sich digitale Plattformen wie zum Beispiel Twitch zum sozialen Austausch und im Allgemeinen wie dienen sie der Befriedigung grundsätzlicher menschlicher Bedürfnisse? Die einstündige Inszenierung auf dem Twitch-Kanal von trail_thielx orientiert sich an der berühmten Novelle „Bahnwärter Thiel“ des Literaturnobelpreisträgers Gerhart Hauptmanns. Dessen Protagonist ist der Bahnwärter Thiel. Im ursprünglichen Titel zieht sich Thiel, nach dem Tod seiner ersten Frau, in sein Wärterhäuschen zurück und schottet sich zunehmend von der Außenwelt ab. Die Bühne digital inszeniert das Computerspiel Train Simulator sowie die Streaming-Plattform Twitch als einen neuen interaktiven Schauplatz der Tragödie.
Durch das einfache Anklicken des auf der Website des Theaters Erlangen angegebenen Link kann dem „Theaterstück“ unkompliziert beigetreten werden. Das Dispositiv und damit das ursprüngliche Verhältnis zwischen Zuschauer:innen und Darsteller:innen ist nach Betreten des Kanals schon bald nicht mehr klar zu definieren. Das Prinzip von Twitch ist auf der Interaktion zwischen Streamer:innen und Zuschauer:innen aufgebaut und auf diese angewiesen. Die Zuschauer:innen beteiligen sich aktiv am Chat, wenn sie dies selbst wünschen und sind somit auch Darsteller:innen. Ebenso müssen die Streamer:innen den Chat immer im Auge behalten müssen und werden somit selbst zu Zuschauer:innen. Dementsprechend bietet die Vorstellung eine sehr erfrischende Auseinandersetzung mit neuen Medien und digitalen Welten, die so noch eher selten mit Theater in Verbindung gebracht wurden.
An einigen Stellen wurden meinem Empfinden nach einige Klischees zu stark bedient und auch täte es den Darsteller:innen des Theaters, welche sich im Chat zu verstecken versuchten, sicher gut, sich noch mehr an das Medium Twitch anzupassen. Denn mit ihrer perfekten Rechtschreibung, Berücksichtigung von Groß – Kleinschreibung und der Benutzung von Höflichkeitsformen wie „Sie“, zeichneten sie sich doch ganz klar von typischen Twitch-Benutzer:innen ab. Daher wirkten manche Interaktionen zu theatralisch, gar fast pathetisch. Außerdem, ohne viel vorweg nehmen zu wollen: wären die dargestellten Handlungen im Stream tatsächlich echt gewesen, so wäre der Stream sicher mehrmals gemeldet worden. Daher greifen die theatralische Kommentare der Darsteller:innen im Chat – „Warum tut denn niemand was?“ oder „Wir schauen hier ja nur zu!“ – meiner Meinung nach etwas ins Leere.
Dennoch ist die Inszenierung ein einzigartiges Erlebnis. Die medialen Möglichkeiten wurden sehr kreativ umgesetzt und das Ende jagt einem einfach nur einen Schauer über den Rücken.
“trail_thielx” von Anika Paulina Stauch nach Gerhard Hauptmann
auf der “Bühne digital” des Theater Erlangen
Regie & Konzept: Anika Paulina Stauch
Videos, digitale Umsetzung & Ausstattung: Marie Lieblig
vorproduzierte Minna-Figur für Social-Media-Präsenz: Lili Alexander
Dramaturgie: Udo Eidinger
Besetzung: Max Mehlhose-Löffler, Janina Zschwernig
Twitch-Link: twitch.tv/trail_thielx
von Nancy Hein
Beitragsbild & Bilder im Text: Marie Liebig