Die Schreibgruppe Wortwerk Erlangen hat am 10. Oktober im E-Werk einen kreativen Blick in die Zukunft der Stadt gewagt und lädt Schreibwütige ein, sich dem Kollektiv anzuschließen.

Am 10. Oktober haben sich Mitglieder der Erlanger Autor*innengruppe und Textwerkstatt „Wortwerk“ in der Kellerbühne des E-Werks zusammengefunden, um ihre Ideen über das Erlangen des Jahres 2050 auszutauschen. Wie könnte es in 30 Jahren in Erlangen aussehen?

Nach einer Einführung durch Moderator Stefan Winter las zuerst Autorin Nataša Dragnić einen Essay von Ellen Key, die sich bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts, im Jahre 1910, ausmalte, wie es wohl 100 Jahre später auf der Welt aussehen würde. In ihrer Vision ist die Binarität von Geschlechtern beinahe ausradiert, alle gehen bis zum Alter von 30 Jahren in die Schule, alle dürfen im Parlament Politik machen – müssen das sogar. Aber gleichzeitig werden sämtliche Plaisierchen ihrer Plaisier beraubt: Essen wird durch Nährstoffpillen ersetzt, alles Alkoholische ist alkoholfrei, Zigaretten nikotinfrei, und die Notwendigkeit, Lesen zu lernen ist ebenfalls eliminiert, solange man kein*e Wissenschaftler*in ist. Von der extremen Individualisierung weg hin zur Huxley-gleichen schönen neuen Welt-Gleichschaltung, ob da die Menschheit wohl irgendwann ein Gleichgewicht finden kann?

Die Idee sich mental und literarisch ins Jahr 2050 zu versetzen, kam von Wortwerker Klaus Dieter Kuhnke. In seiner Kurzgeschichte malte er ein Matrix– oder Inception-ähnliches Bild, in dem beinahe 80 Prozent der Erlanger Bevölkerung ihr Bewusstsein in einen grauen Kubus hochgeladen haben, der auf dem Vorplatz des Rathauses steht. Die „Übertragenen“ glitchen dort mehr oder weniger fröhlich von einer Simulation zur nächsten, sei es eine Testfahrt im neuen „Tesla Imperator“ oder eine Imitation der Realität. Egal ob das nun zu befürworten wäre oder nicht – dem Bürgermeister scheint das zu gefallen, immerhin ist Erlangen damit eine der klimafreundlichsten Städte Deutschlands geworden.

Rosa Graefe präsentierte in ihrer Lyrik hingegen ein vor grün sprühendes Erlangen, in dem gemeinschaftlich in einer riesigen Kuppel gelebt wird und das Gemüse quasi durch die Decke direkt in die Küche wächst, während der Stadtrat zufällig gelost wird, ein Buddha-Wesen über die Menschen wacht und die Kultur im Zentrum steht.

Stefan Winter begab sich in das hungrige Gehirn eines Einzellers, genauer einer Amöbe der Gattung „Chaos“ (Fun Fact: diese Amöben-Gattung gibt es tatsächlich). Der folgt gedankenlos der Spur eines Pilz-Messias, der verspricht, alle, die ihm folgen, mit ihm in eine neue Welt wachsen zu lassen. Ob das wohl heißt, dass wir, die komplexen Vielzeller, irgendwann verschlungen, überwachsen werden? Müssen wir uns auf die Killer-Pilze vorbereiten? Wird das hier bald eine Einzeller-Version von „Krieg der Affen“?

Tilman Wunder berichtete vom ersten Mai, eigentlich ein Feiertag mit einem traditionellen Tanz um den Maibaum. Doch im Zentrum von Kosbach ist in seiner Kurzgeschichte der Platz des Maibaums unvorhergesehen belegt von einer grauen Säule – genauer einer flügellosen Windmaschine, die Elektrizität erzeugen soll. Die Bevölkerung von Kosbach, die der Autor mit einer Vielzahl von Stimmen darstellte, streitet sich: muss die Säule weg, oder darf sie bleiben? Findet sich nicht vielleicht ein Kompromiss zwischen der Aufrechterhaltung von Traditionen und einer grüneren Zukunft?

Zuguterletzt malte Anne D. Plau in ihrer Kurzgeschichte ein schwarzhumoriges Bild einer Zukunft, in der als Mittel der Wahl zur Populationsreduktion die Bevölkerung über 70 von einer großen Maschine eingesaugt wird – gegen eine Geldprämie. Wer sich freiwillig durch die “Pforte der Hingabe” begibt, dessen Bewusstsein wird in eine Cloud hochgeladen und dessen Konto wird mit rund 23.000 Euro bestückt. Reichtum auf der Festplatte! Wer würde sich das nicht wünschen?

Die vorgetragenen Texte legten die vortragenden Autor*innen in eine metallene Kassette, die verschlossen und bis 2050 im E-Werk verwahrt wird. Das Publikum bekam die Gelegenheit, selbst eine Kleinigkeit zu der Zeitkapsel beizutragen und so eine Nachricht zu hinterlassen. Für wen? Das ist der Clou: Den Schlüssel für die Kassette wird Klaus-Dieter Kuhnkes Enkel bekommen, der gerade erst ein paar Monate alt ist. Zu seinem 28. Geburtstag wird dieser dann die Gelegenheit haben, die Kapsel zu öffnen und abzugleichen: sind wir der Dystopie oder der Utopie näher? Oder sind wir womöglich schon längst alle Amöben und Pilzen zum Opfer gefallen?

Interessant war auch die visuelle Begleitung des Abends: Wortwerker Andreas Pohr erstellte mit dem text-to-image Generator Midjourney zu den Texten passende Bilder, von denen eine Auswahl in diesem Artikel zu bewundern ist.

Wer Lust hat, selbst im Wortwerk aktiv zu werden, der ist herzlich eingeladen, in der Gruppe vorbeizuschauen. Aktuell finden Treffen online am ersten und dritten Sonntag im Monat ab 10:30 Uhr statt. Eine Romanwerkstatt findet jeweils am zweiten Freitag eines Monats ab 20 Uhr statt. Weitere Informationen zur Schreibgruppe und zur Anmeldung zu den Treffen findet ihr auf der Webseite des Wortwerks.

von Svenja Plannerer

Beitragsbild & Bilder im Text: Andreas Pohr mit Midjourney

1 Comment

Comments are closed.