Unsere Autorin Stella hat die Premiere von “Mein Vater und seine Schatten” gesehen und findet: der Abend über das Vergessen der eigenen Geschichte ist kurzweilig, unterhaltsam und inspirierend.

Im Theater Erlangen bleiben am Donnerstag, 10.11.2022, viele Plätze frei – trotz Premiere, und zwar von Martin Heckmanns Mein Vater und seine Schatten. Ob die Leute nun aus Angst vor eine Covid-19 Infektion, der steigenden Inflation oder einem anderen Grund fernbleiben, bleibt offen. Bedauerlich ist das für die Schauspielenden, die auf der Bühne alles geben. Am Ende ertönt dann doch tosender Applaus.

Das Bühnenbild (Bernhard Siegl) erscheint als graues, kaltes Kunstatelier. Der Boden ragt über die Bühne hinaus und ist leicht zum Zuschauerraum gekippt. Im Atelier versammeln sich der Vater Michael (Regine Vergeen), seine Kinder Bettina (Elke Wollmann), Marcus (Ralph Jung) und Martin (Christian Heller) sowie seine Enkelin Nadja (Nina Lilith Völsch). Die Familienmitglieder versuchen, dem dementen Vater, der sich kaum noch an sein Leben erinnern kann, auf die Sprünge zu helfen, indem sie seine Geschichte nachspielen. So entsteht ein Schauspiel im Schauspiel. Die Ebenen sind nur noch in kurzen Momenten zu unterschieden, so zum Beispiel, wenn Michael dazwischenfährt und kommentiert, und manchmal gar nicht gerne an seine Vergangenheit erinnert werden will. Die hintere Wand verwandelt sich in eine Projektionsfläche, auf welche die simultane Aufzeichnung einer Kamera übertragen wird. Mit ruhiger Hand wird sie vor allem von Nina Lilith Völsch geführt und gezielt eingesetzt. Neue Perspektiven von den Geschehnissen auf der Bühne werden so in sinnvollem Maße hinzugefügt. Auch werden Zitate realer historischer Personen auf die Wand projiziert und von den Figuren vorgelesen. Sie helfen, den Zeitgeist und die Stimmung vergangener Jahre hervorzurufen, werden aber manchmal zu schnell und in zu großem Maße eingesetzt.

Hier wird ein Stück deutsche Geschichte erzählt. Von Ereignissen im zweiten Weltkrieg – bei denen man unweigerlich auch an den Krieg in der Ukraine denken muss – geht es über das Wirtschaftswunder bis zur RAF und dem Mauerfall. Die Entwicklung Deutschlands wird hier am Beispiel eines einzelnen, privaten Lebens gezeigt und spiegelt sich zusätzlich auch in den Werken Michaels, der bildender Künstler ist, wider.

V.l.: Regine Vergeen, Nina Lilith Völsch, Ralph Jung (Foto: Jochen Quast).

Man wir immer wieder überrascht davon, in welche Rollen die Figuren schlüpfen. Da reichen schon kleine Veränderungen der Frisur, das Aufsetzen einer Brille, die Veränderung einer Körperhaltung, um einen neuen Charakter auf die Bühne zu bringen. Klar, die Rollenwechsel sind oft auch überzogen und sorgen für Lacher. Da werden verschiedenste Dialekte herausgekramt, Klischees bedient und Personen nachgeahmt. Trotzdem ist es beeindruckend, in welchem Tempo die Schauspielenden zwischen den Rollen springen und was für kreative Lösungen zur Darstellung gefunden werden.

Die Inszenierung findet einen guten Weg, Ernsthaftigkeit mit Witz und Humor zu verbinden.  Große Fragen zum Sinn und Dasein des Menschen, einem Zuhause, der Würde des Menschen sowie die Existenz von Gott werden besprochen oder zumindest angerissen. „Wie geht Vergessen?“ wird mehrmals gefragt. Am Ende weiß der Vater schon gar nichts mehr vom Anfang der Geschichte. Ein kurzweiliger Theaterabend, der einen gut unterhalten, aber auch nachdenklich und inspiriert zurücklässt.

“Mein Vater und seine Schatten” von Martin Heckmanns

am Theater Erlangen

Regie: Katja Ott
Bühne: Bernhard Siegl
Kostüme: Monika Gora
Video: Kai Wido Meyer
Musik: Jörg Wockenfuß, Jan-S. Beyer
Dramaturgie: Linda Best

Besetzung: Regine Vergeen, Elke Wollmann, Ralph Jung, Christian Heller, Nina Lilith Völsch

Dauer: 1 Stunde 45 Minuten ohne Pause

Termine und Tickets findet ihr hier.

von Stella Bratenstein

Beitragsbild & Bild im Text: Jochen Quast