Regisseur Marvin Wittiber und Schauspieler Robert Milan Knorr schaffen in Bamberg einen vielschichtigen Abend rund um die Kosten des Heldentums, verbunden mit Fußball, Mythologie und toxischer Männlichkeit.

Im Gewölbekeller des E.T.A. Hoffmann Theaters kommt eine Schar an Menschen zusammen, um einem jungen Mann dabei zuzusehen, wie er eine Leistung vollbringt. So wie eine Schar Menschen in Fußballstadien zusammenkommt, um ihren Held*innen auf dem Feld zuzusehen, wie sie eine Leistung vollbringen, wie sie auf den Sieg hinarbeiten. Die sie anfeuern, um sie anschließend frenetisch zu bejubeln. Der junge Mann spricht von den militärischen Konditionen im Trainingslager, in dem präpubertäre Jungen zu Fußballprofis gemünzt werden sollen. Spricht von einer nicht vorhandenen Jugend, ständigem Drill – dem ständigen schneller, höher, weiter, härter. Er spricht vom Wetteifern mit dem Schatten des eigenen Vaters, der ein Held der Nation ist und als solcher nie für ihn da war, da sein konnte, und dem kaum auszuhaltenden Druck, ihm ebenbürtig zu werden. Der junge Mann spricht vom Heldentum, von seinen Kosten, all den Dingen, die man für den Jubel aufgeben muss – und wird am Ende ebenso bejubelt, als Schauspieler, der sich nach getaner Arbeit erleichtert vor seinem Publikum verbeugen kann.

Regisseur Marvin Wittiber hat zusammen mit Schauspieler Robert Milan Knorr einen disziplinierten Abend geschaffen, der den strengen Takt des Trainingslagers widerspiegelt, dessen Bild so eindrücklich gezeichnet wird. Zwischen den qualvoll klingenden Erzählungen aus dem Profisportler-Alltag werden aus dem Off immer wieder Tonaufnahmen mit Geschichten aus verschiedenen Mythologien und der Bibel eingespielt, die sich klug in das Narrativ des Heldentums einfügen, darunter die Geschichten von David und Goliath oder Siegfried und dem Drachen. Eine besondere Rolle spielt an dieser Stelle der Mythos von Odysseus, der die Situation des jungen Fußballers spiegelt. Penelope berichtet, wie Odysseus seinen Sohn Telemachos zurücklässt, um in den Krieg zu ziehen. Ihr Sohn hat keinen Vater, nur das unerreichbare Ideal eines tapferen, starken, wilden Mannes, dem er gerecht werden muss. Auch auf die toxische Männlichkeit, die hinter diesem Ideal steckt, geht der vielschichtige Text ein, den die beiden Theaterschaffenden geschrieben haben. Denn für Weichheit, Zuneigung und – Gott bewahre! – tröstlichen Körperkontakt ist zwischen „richtigen“ Männern kein Platz. Schon gar nicht im Leistungssport.

  

Knorrs athletischer Körper, der zunächst in einer kindlichen Kombination aus Pullover und Overalls steckt, füllt den kleinen Raum, der ihm geboten wird, allein schon durch seine Anwesenheit. In seinen großen Augen spiegelt sich vor allem Unglauben und Schock – darüber, dass seine Rolle ihr Ziel erreicht, dass der Vater nicht nur eingeholt, sondern sogar übertroffen wird. Noch mehr aber darüber, dass danach nichts übrigbleibt. Hinter dem Erfolg steckt nur ein Mensch, der voll ist mit Leere, und diesen Verlust von Identität macht Knorr durchgängig spürbar. Er bewegt sich zwischen den weißen Büsten und Statuen, die im ganzen Raum auf Tischen und Säulen drapiert stehen, dreht und wendet sich vor einem Spiegel und macht dabei klar, dass es kein Entkommen gibt vor dem Vorbild des Vaters und den Erwartungen der Sportwelt. Als er sich am Ende vom Menschen in eine Statue verwandelt, sich in die Abbilder, die ihn umgeben, einreiht, ist nur zu hoffen, dass diese Versteinerung bald ihr Ende haben möge – dass Männlichkeit bald nicht mehr über Härte, Disziplin und unterdrückte Emotionen definiert wird.

Der Gewölbekeller eignet sich als Spielort auf den ersten Blick sehr gut – ein schmaler, langgezogener Raum, Wände aus Sandstein und eine niedrige Decke aus Backsteinen. Er fügt sich mit den uralten Mythen und dem schwerwiegenden Leistungsdruck gut zusammen. Interessant wäre es womöglich, dem Abend eine größere Bühne zu bieten, einen einzelnen Menschen inmitten gähnender schwarzer Leere zu platzieren und so der Verlorenheit des Charakters einen räumlichen Spiegel zu geben – verdient hätte er es in jedem Fall.

“Dritte Halbzeit“ von Marvin Wittiber und Robert Milan Knorr

am E.T.A. Hoffmann Theater

Künstlerische Leitung: Marvin Wittiber

Bühne & Kostüm: Saskia Holte

Musik: Stefan Leibold

Besetzung: Robert Milan Knorr

von Svenja Plannerer

Beitragsbild & Bilder im Text: Lukas Marvin Thum