Der Abend rund um Gaia, die sich mit ihrer zerstörwütigen Schöpfung, den Leuten, streiten muss ist wortgewandt, witzig und alles in allem sehr rund – wie die Erde eben, deren Ende immer näher rückt.
So ein locker-flockiger Abgang wie ihn Lisa Mies als Gaia am Ende des Abends in ihrem rosa Bademantel hinlegt wird der Menschheit – pardon, den Leuten – wohl nicht gelingen. Ganz im Gegenteil, sie sträuben sich ja die gesamte zweite Hälfte des Stücks vehement, ihren Untergang zu akzeptieren, den sie mit ihrem unverantwortlichen Verhalten herbeigeführt haben (lies: Konsumgier, Umweltverschmutzung, Klimawandel). Mit hartnäckigem Betteln, kindlichen Trotzanfällen inklusive Brüllkonzert und herzerweichendem Weinen versuchen sie ihren grausamen Umgang mit der Erde zu rechtfertigen. Schließlich hat Gaia alles geschaffen, auch die Möglichkeit, die Erde zu zerstören! Sie nehmen sich doch nur, was da ist, und machen daraus das Beste! Also: Gaia ist selbst schuld. Dabei haben die Leute sich noch kurz zuvor geweigert, überhaupt an eine:n Schöpfer:in zu glauben. Aber so jemand mit Schöpfungskräften gibt halt doch einen großartigen Sündenbock ab.
In der Regie von Branko Janack, der mit „Gaia rettet die Welt“ schon seine zweite Uraufführung am Staatstheater Nürnberg inszeniert, zeigt das Ensemble großen Erfindungsgeist mit Slapstick, exzellenten Kebbeleien und punktgenauer Zusammenarbeit. Sie bespielen das Bühnenbild von Cleo Niemeyer-Nasser, bestehend aus über-überlebensgroßen Bruchstücken einer antiken Statue, so kreativ, dass es stets eine Stütze des Geschehens ist, es aber nie überwältigt. Die Kostüme, ebenfalls von Niemeyer-Nasser, zeigen die Gött:innen und das Mythos in wallender, zarter Kleidung angelehnt an antike Chitons und die Leute zum Kontrast ganz in strapazierfähigem Jeans – sei das Jacke, Kleid, Hose, Schuh oder BH, alles blau.
Nele Stuhlers Text (übrigens Teil zwei einer Trilogie) ist klug, verspielt, witzig, und vor allem immer wieder aufs Neue überraschend. Die Kombination aus Wortwiederholungen, Wortketten und unerwarteten Wortkombinationen macht beim Hören viel Spaß – so viel, dass man sich ärgern dürfte, falls einem auch nur eine einzige clevere Referenz durch die Lappen geht –, und alle Darstellenden bekommen Momente, in denen sie mit diesem Text glänzen können. Ihre Charaktere kosten sie ebenso voll aus: Sei es Thorsten Danner als grobmotorischer Zeus, oder Nicolas Frederic Djuren als herrlich cholerischer Leut mit Pudding-Problem, Anna Klimovitskaya als liebreizende Qualle-slash-speerbewaffnete Power-Athene, Raphael Rubino als nervöser Prometheus-slash-glänzende Flussgottheit. Nadège Meta Kanku, Gästin aus München, passt wunderbar dazu als freche Pyrrha und körpergewandte Leut.
Ulrike Arnold spielt Mythos genussvoll als eigensinnige Protokollantin des Abends und treibende Kraft des Narrativs. Lisa Mies als die Mutterfigur, die die Zerstörwütigen schließlich zur Ruhe betten muss, serviert am Ende noch einen sprachgeschickten ö- und ü-lastigen Monolog, redet sich in Rage und vom hundertsten ins tausendste und wieder zurück. Sie holt zum Nur-noch-kurz-die-Welt-retten-Tim-Bendzko-Soundtrack sogar einen Vorschlaghammer raus, der aber unbenutzt bleibt. Wenn sie dann einfach aufhört, so mit allem, also dem Anfangen aber auch dem Aufhören, dann kann man ihr das jedenfalls nicht mehr übelnehmen, sie hat mittlerweile einfach auch genug mitgemacht.
Zwischendurch zieht sich die Weigerung der Leute, endlich von der Erde zu verschwinden etwas in die Länge. Wenn sie nach wiederholter Aufforderung durch Mythos wiederholt widerwillig abgehen, nur um direkt wieder aufzutauchen und sich noch eine Ausrede einfallen zu lassen, warum sie es verdient hätten, länger bleiben zu dürfen, ist das Prinzip schnell klar und wird fast überstrapaziert. Gleichzeitig ist doch diese Frustration, dass die Leute es einfach nicht kapieren wollen, wann es ihre Zeit ist, zu gehen, sehr bezeichnend – wir kriegen schließlich nie den Hals voll und wissen zwar vielleicht, wo die Grenzen sind, sind aber so arrogant zu glauben, dass wir sie bis aufs Maximum dehnen könnten (1.5 Grad, anyone?).
Angefangen von den zahlreichen (Fehl)Versuchen der Gött:innen, mal was Neues zu schaffen über die verhältnismäßig extrem kurze Zeit, die der Menschheit auf der Bühne, ähhh, Erde ursprünglich gegönnt sein soll bis hin zum Duell Mythos vs. Leute gibt es bei dieser großen Ensembleleistung viel zu bestaunen – das lohnt sich.
“Gaia rettet die Welt” (UA) von Nele Stuhler
am Staatstheater Nürnberg
Regie: Branko Janack
Bühne & Kostüm: Cleo Niemeyer-Nasser
Dramaturgie: Brigitte Ostermann
Musik: Max Nübling
Lichtdesign: Frank Laubenheimer
Besetzung: Ulrike Arnold, Lisa Mies, Thorsten Danner, Raphael Rubino, Anna Klimovitskaya, Nicolas Frederick Djuren, Nadège Meta Kanku
von Svenja Plannerer
Beitragsbild & Bilder im Text: Konrad Fersterer