Während Inflation, Arbeitslosigkeit und politische Unruhe zunehmen und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufklafft, wollen Pinneberg und Emma sich ein Leben als Familie aufbauen – ein Abend, in dem besonders das Ensemble glänzen kann.
Wie in einem Film Noir schälen sich fünf Gestalten aus der Dunkelheit, suchen sich langsam ihren Weg von hinten nach vorne an die Rampe, wo sie stehen bleiben. In dunkle Anzüge und Mäntel gehüllt wispern sie immer wieder im Chor “Wehe-Wind, Puste-Wind, nimm den Hut nicht meinem Kind! Sei gelind zu meinem Kind […]”. Im Hintergrund spielt Musik mit Jazz-Anleihen, die an Old Hollywood erinnert. Sie zementiert die 30er-Jahre-Atmosphäre, die mit den Kostümen bereits heraufbeschworen wird.
Die Romanvorlage von Hans Fallada erschien 1932, in der Zeit der Weltwirtschaftskrise und ständig zunehmender Arbeitslosigkeit und Armut. Überall muss gekürzt, jeder Gürtel enger geschnallt und Stellen abgebaut werden. In dieser Zeit ist zur Hauptfigur, dem Angestellten Johannes Pinneberg, herzlich wenig “gelind”: seine Freundin Emma, genannt “Lämmchen”, eröffnet ihm, dass sie schwanger ist, er macht ihr daraufhin einen Heiratsantrag. Sie wollen zusammenziehen. Schnell wird klar, dass das Geld für eine eigene Wohnung plus Strom, Gas, Wasser plus Lebensmittel plus Baby nicht reichen wird. Trotzdem fassen sie Hoffnung – irgendwie werden sie das schon hinkriegen. Doch dann wird Pinneberg entlassen. Neuer Versuch in Berlin. Die beiden kommen zunächst bei Pinnebergs Mutter unter – doch auch dort verbessern sich die Verhältnisse nicht, ganz im Gegenteil. Arbeit ist schwer zu finden und das Geld wird immer knapper…
Johannes Rebers zeigt einen Pinneberg, der von Anfang an nervös ist, unsicher. Der sich leicht beeinflussen und noch leichter unterkriegen lässt, sich nicht wehrt gegen die Ungerechtigkeiten, die ihm widerfahren. Verständlich, vielleicht, wenn er doch fürchtet, in den politischen Spannungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten gefangen zu werden? Alina Valerie Weinerts Emma hingegen ist bestimmt und selbstbewusst. Sie weiß sich durchzusetzen, sie kämpft durchgängig und hartnäckig – für ihre Familie, ihr Glück und ihren Mann, der immer weiter in die geistige Abwesenheit verschwindet, getrieben von seiner Furcht, für immer arbeitslos zu werden.
Begleitet werden die beiden von dem bereits erwähnten fünfköpfigen Chor, der die intrusiven, bösartigen und verunsichernden Gedanken Pinnebergs laut werden lässt: “Bloß nicht arbeitslos werden!” ist ein Mantra, das sich oft wiederholt. Aus diesem Chor treten im Laufe des Stücks mehrere Nebencharaktere hervor, unter anderem Pinnebergs Chefs und Kollegen, eine alte Vermieterin, ein reicher Kunde, der Pinnebergs Job retten könnte und dann doch nichts kauft. Besonders hervor sticht Katja Gaudard, die einen wild-getriebenen Monolog zur Hauptstadt hält: Berlin, dieser Sehnsuchtsort, Berlin, dieses hässliche Drecksloch, Berlin, dieser Ort der Gegensätze. Sie spielt Pinnebergs Mutter Mia als Frau, die verzweifelt jung bleiben und geliebt werden will. Wie die meisten anderen Figuren steht doch auch sie alleine da.
Regisseur Thomas Krupa lässt die Figuren sich rund um, in und auf einem Klettergerüst bewegen, wie es auf jedem Kinderspielplatz zu finden wäre. Sie zwängen sich zwischen Rungen hindurch, erklimmen es, lassen sich hängen und umtanzen es mit gelegentlich eingebauten choreographischen Elementen. Roboterhafte Bewegungsvorgänge unterstreichen die Maschinerie der Wirtschaft, die sich aus den “kleinen Leuten” zusammensetzt. Geht ein Zahnrädchen kaputt ist da schon der nächste Mensch, einer von vielen, der ihn ersetzen kann – Individualität zählt nicht viel, ist sogar eher hinderlich. Allein die Leistung zählt. Im Hintergrund werden während des gesamten Stücks groß Bilder eingeblendet, die auf Auszügen aus Falladas Text basieren und die von Medienkünstler Tobias Bieseke in eine KI eingespeist und anschließend animiert wurden.
An diesem Abend überzeugt vor allem die Ensembleleistung. Wenn alle Darstellenden sich in bedrohlich rotem Licht auf dem Gerüst drapieren und chorisch über Pinnebergs prekäre Situation flüstern, entwickelt sich ein Gefühl dafür, warum wir jetzt vom “kleinen Mann” hören sollten: die Inflation erreicht heute wieder neue Ausmaße, die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer extremer auf. Energiekosten werden unbezahlbar und immer mehr Leute müssen sich an die Tafeln wenden, weil sie sich ihre Lebensmittel nicht mehr leisten können. Generation Praktikum, gefühlt überall nichts als befristete Verträge. Wer bisher von der Politik zurückgelassen wurde, kann auch heute nicht auf Besserung hoffen. Und Sicherheit über die persönliche Zukunft? Die kann man sich getrost abschminken.
“Kleiner Mann – was nun?” nach dem Roman von Hans Fallada in einer Fassung von Sibylle Baschung und Michael Thalheimer
am Theater Erlangen
Regie & Bühne: Thomas Krupa
Musik: Hannes Strobl
Kostüme: Monika Gora
Video: Tobias Bieseke
Dramaturgie: Linda Best
Besetzung: Johannes Rebers, Alina Valerie Weinert, Katja Gaudard, Hermann Große-Berg, Ralph Jung, Oliver Jaksch, Sebastian Degenhardt
Termine und Tickets gibt es hier.
von Svenja Plannerer
Beitragsbild & Bilder im Text: Jochen Quast