Egal ob eingestandener Fan einer oder Liebhaber:in aller Sparten, hier findet eine Zusammenkunft von Schauspiel, Oper, Ballett und Philharmonie statt, die voll ist mit bewundernswerter Ensemblearbeit und lustvollem künstlerischen Ausdruck.

Rache muss nicht immer gleich ein großer Akt sein. Sie kann auch klein anfangen. Damit zum Beispiel, dass man den verhassten Nachbar:innen die Matte vor der Haustür gezielt verrutscht. Oder ihnen einen vollen Müllsack vor die Tür stellt, sie auf Bananenschalen ausrutschen lässt oder sie vielleicht mit einem riesengroßen Verstärker und zeternden E-Gitarren-Klängen fast ins nächste Jahrhundert pustet. Man kann sich natürlich auch solange gegenseitig bedrohen, bis aus Bratpfannen und Baseballschlägern irgendwann Raketenwerfer und Nuklearwaffen werden. So schaukelt sich der zu Beginn der Inszenierung eingebaute Nachbarschaftsstreit zwischen den Ensemblemitgliedern hoch, bis es knallt – herrlich.

Nachbarschafts-Streit wird zum Nachbarschafts-Atomkrieg (Foto: Konrad Fersterer).

Der Abend ist eine sehr unterhaltsame Untersuchung der Rache in Kunst und Wirklichkeit basierend auf einem Text von Thomas Köck. Von der Bibel zu Shakespeare über Mozart und Verdi geht es in fließendem Übergang bis hin zum Sturm aufs Kapitol in Washington, D.C. im Jahr 2021. Drama und Humor gehen miteinander Hand in Hand und finden im Bühnenbild, das an eine Arena oder ein Amphitheater erinnert, ihren Platz. Die Spielszenen wechseln sich ab mit philosophischen Diskussionen darüber, wo die Rache ihren Ursprung hat und wo dabei das Recht steht – die Antworten darauf fallen sehr unterschiedlich aus.

Die Inszenierung von Jan Philipp Gloger am Staatstheater Nürnberg ist wie ein Highlight-Reel der verschiedenen zur Verfügung stehenden Ausdrucksformen. Die Sparten Ballett, Oper, Schauspiel und Philharmonie, letztere geleitet von Kostia Rapoport, ergänzen und bereichern sich gegenseitig. Das gilt auch für die Darstellenden: in ihrem gemeinsamen Spiel zeigen sie klar, dass sie zusammengewachsen sind und voneinander gelernt haben.

Sie beweisen außerdem, dass man sich auch als Profi nicht immer zu ernst nehmen muss, etwa wenn Wonyong Kang einen enthusiastischen Bartolo aus Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ singt und hinter seinem Rücken die Oper als Genre mit humorösen, auf Pappkartons gekritzelten Slogans zerlegt wird. Wenn Kang seinen einst großen Auftritt als Background-Skifahrer vorzeigt, ist das nicht nur besonders witzig, sondern auch eine liebenswerte Ensemble-Interaktion.

Das Ensemble beobachtet eine Szene aus “Michael Kohlhaas” von Heinrich von Kleist, gespielt von Elina Schkolnik und Justus Pfankuch (oberste Stufe) (Foto: Konrad Fersterer).

Justus Pfankuch zeigt nicht nur einen emotional in der Wut erstarrten Michael Kohlhaas, der beinahe schon mechanisch Rache übt, sondern auch betroffene Empathie, wenn er von einem Amoklauf in Amerika berichtet. Tjark Bernau beeindruckt sowohl, wenn er als die Ruhe pur den Einzug des Rechts per Pistolenkugel in das Chaos der Rache deklariert, als Shylock anklagt, oder als Dr. Schön Andromahi Raptis‘ Lulu anbrüllt. Die Inszenierung hätte allerdings auch gut damit auskommen können, dass letztere dabei nicht tatsächlich vollmundig und im wahrsten Sinne des Wortes bespuckt wird.

Karen Mesquita und Oscar Alonso tanzen als Tatjana und Jewgeni Onegin nicht nur ein wunderschön zartes Duett, in dem sie sich immer wieder annähern und entfernen, bis es Tatjana gelingt, sich Onegin endgültig zu entwinden. Als Kain und Abel sowie als Kapitol-Stürmende präsentieren sie auch große, unbändige Bewegung, von einem Sprung in den nächsten.

Elina Schkolnik berührt in einem sehr persönlichen Monolog mit Bezug auf die Geschichte ihrer Familie in der NS-Zeit; fantasiert, wie es wäre, wenn sie und ihre ukrainische Großmutter Rache an den Nazis nehmen könnten. Als Medea hastet sie in flackerndem Licht durch die seit der Antike vergangenen 2000 Jahre bis ins Heute, immer dem Kindesmord entgegen.

Andromahi Raptis ist mit der Arie der Königin der Nacht aus der „Zauberflöte“ von Mozart ein großes Highlight. Sie macht einen Punkt, der nicht neu, aber immer noch von Bedeutung ist: Sie beklagt, dass in den auf der Bühne immer wieder erzählten Geschichten ständig Frauenfiguren den Handlungssträngen der Männer zum Opfer fallen. Der männliche Anteil des Ensembles entzieht sich dieser Diskussion so schnell es geht, und karikiert damit alle die, die weiter stur behaupten, dass Frauen nicht benachteiligt werden.

Auch wenn sich hier vielleicht langsam (!) was tut im Theater, ist es doch wichtig, an dieser Stelle anzusetzen und in allen Genres neu oder weiter zu schreiben und die Diskussion nicht mit ein paar Szenen als abgehakt zu behandeln und versanden zu lassen. Kalt, kalkuliert und genüsslich statt weinerlich und unterworfen nehmen etwa Schkolnik als Elektra und Raptis als Lulu gegen Ende ihre Rache – davon darf gerne mehr sein! Warum nicht noch mehr geschmähten Frauen aus der Opern- und Schauspielhistorie eine Rachegeschichte imaginieren? Warum nicht Madama Butterfly, Luise aus “Kabale und Liebe”, Desdemona aus “Othello” ihre Female Rage gönnen? Ob das moralisch verwerflich wäre oder nicht, ob das Recht auf ihrer Seite stünde oder nicht – das hätten sie doch mehr als verdient.

Lulu (Andromahi Raptis) übt Rache an Dr. Schön (Tjark Bernau) (Foto: Konrad Fersterer).

“vendetta vendetta” von Thomas Köck, mit Ensemblemitgliedern aus Schauspiel, Oper, Ballett und Staatsphilharmonie

am Staatstheater Nürnberg

Musikalische Leitung: Kostia Rapoport

Regie: Jan Philipp Gloger

Bühne: Marie Roth

Kostüm: Franziska Bornkamm, Anna Lechner

Dramaturgie: Fabian Schmidtlein, Georg Holzer

Choreographie: Oscar Alonso, Karen Mesquita

Künstlerische Produktionsleitung: Greta Călinescu

Besetzung: Andromahi Raptis, Wonyong Kang, Tjark Bernau, Elina Schkolnik, Justus Pfankuch, Oscar Alonso, Karen Mesquita, Staatsphilharmonie Nürnberg

von Svenja Plannerer

Beitragsbild & Bilder im Text: Konrad Fersterer