Martin hat im Rahmen des Erasmus-Programms der FAU vier Monate in Frankreich verbracht – hier könnt ihr seine Erfahrungen lesen!

Als Waldorfschüler hatte ich das Privileg, schon ab der 1. Klasse in zwei Fremdsprachen unterrichtet zu werden. Man könnte fast sagen, ich wuchs mit ihnen auf, gewöhnte mich an ihren Klang noch bevor ich sie verstand, ja selbst sprechen konnte. Neben dem Englischen stand dabei auch Französisch auf meinem Stundenplan. Später, etwa in der 10. Klasse angekommen, wagten sich einige meiner Klassenkamerad:innen, einen dreimonatigen Schüleraustausch nach Frankreich zu unternehmen. Damals habe ich mich noch nicht getraut. Ich beschloss aber, einmal in der Uni angekommen, unbedingt ein Auslandssemester in Frankreich zu verbringen. Gesagt, getan. 

An der FAU studiere ich als Erstfach Kunstgeschichte. Mein Institut hat im Rahmen des Erasmus-Programms nur eine Partneruniversität in Frankreich, und zwar im Städtchen Portiers, das etwas kleiner als Erlangen ist und etwa auf   halbem Weg von Paris nach Bordeaux liegt. Vier an der FAU verbrachte Semester lagen bereits hinter mir, als ich Anfang September 2022 gen Westen aufbrach.  An dieser Stelle sei angemerkt, dass das Wintersemester in Frankreich meistens schon in der ersten Septemberwoche beginnt und vor Weihnachten zu Ende ist, dafür aber startet auch das „Sommersemester“ schon im Januar. 

Mit 300 Sachen durch die Landschaft

Etwa 10 Zugstunden benötigt man von Erlangen nach Poitiers, wobei man erst gemütlich durch die deutschen Lande bummelt, bis der TGV nach der Rheinüberquerung mit Tempo 300 losfährt.  Anders als in Deutschland fahren französische Hochgeschwindigkeitszüge nämlich fast immer auf eigenen, stets eingezäunten Bahnlinien. Zum Glück liegt auch Poitiers direkt an einer solchen Trasse. Paris erreicht man in nur 80 Minuten (was in etwa der Stecke zwischen Frankfurt und München entspricht), Bordeaux in nur einer Stunde. Die schnellsten Züge brauchen von Paris bis Bordeaux (also etwa von Berlin nach München) aber nur zwei Stunden! Alle größeren an der Strecke liegenden Städte sind mit Zufahrten mit ihr verbunden. So kann man ohne Halt mit durchgehend 300km/h, also ohne die Hochgeschwindigkeitsstrecke zu verlassen, immense Distanzen in kürzester Zeit überwinden. Davon können wir in Deutschland leider nur träumen.  

Im Vergleich zur Deutschen Bahn dürfte neben der Schnelligkeit vor allem die Pünktlichkeit französischer Züge für Bewunderung sorgen. Nahezu jedes Wochenende habe ich Ausflüge unternommen, sehr oft mit den schnellen TGVs. Zwar kam ich leider auch in Frankreich zweimal in den Genuss einer über dreistündigen Verspätung (dafür gab es dann aber gleich 75% des Ticketpreises zurück und nicht 50% wie in Deutschland; 25% bekommt man in Frankreich schon ab einer 30-minütigen Verzögerung), ansonsten fuhren aber die Züge fast immer erstaunlich pünktlich. Keine Signalstörungen, kein fehlendes Personal, nicht mal eine umgekehrte Wagenreihung! Ein gebuchter Sitzplatz ist immer inklusive, keiner muss sich mit einem Stehplatz im Gang zufriedengeben. Eine französische Bahncard ist mit 50 Euro zwar etwas teurer als in Deutschland (im Angebot gibt es sie jedoch zum halben Preis), dafür erhält man immer 30% und die Preise sind gedeckelt, für eine Fahrt unter zwei Stunden bezahlt man z.B. maximal 39 Euro! Es sei denn, die Bahn streikt mal wieder – was in Frankreich leider etwas häufiger vorkommt als in Deutschland. Dann fährt gar nichts mehr. 

Sitzenbleiben an der Uni

Auch was die universitäre Lehre in Frankreich angeht, ist ein Unterschied zu Deutschland gut spürbar.  Französische Studierende haben kaum Wahlmöglichkeiten. Dafür entfällt auch das mühsame selbstständige Erstellen eines Stundenplans. Es gibt sehr viele Vorlesungen und ebenso viele „Seminare“, die jedoch meist trotzdem Vorlesungen sind, nur in kleineren Gruppen. Dabei bleibt man in verschiedenen Fächern stets in einer Gruppe (fast wie in einer Klasse), auch die Vorlesungen sind immer nur für einen Jahrgang bestimmt. Wie eine Reminiszenz aus der Schulzeit mutet auch das Sitzenbleiben an: Besteht man nicht alle Prüfungen, wiederholt man das ganze Jahr mit dem nächsten Jahrgang (denn gezählt wird in Studienjahren und nicht in Semestern). Die im Vergleich zu Deutschland große Anzahl an Vorlesungen gefiel mir durchaus, so ist in Poitiers z.B. eine Vorlesung jeweils der Kunst eines Jahrhunderts gewidmet (des 15., 16. usw.), während es an der FAU nur eine Vorlesung über die Bildende Kunst von der Renaissance bis zur Gegenwart gibt.

Weniger amüsant fand ich dagegen die Erstellung des Stundenplans, denn als ausländischer Student ist man dafür leider selbst verantwortlich. Und während in Deutschland das Zeitfenster einer Vorlesung oder eines Seminars über das gesamte Semester hinweg meist unverändert bleibt, sieht die Situation in Frankreich ganz anders aus: Es gibt Vorlesungen und Seminare über zwei, anderthalb oder eine Stunde, welche die wöchentlich oder nur alle zwei Wochen, die nur in der ersten oder nur in der zweiten Semesterhälfte stattfinden und jene, die komplett aus der Reihe tanzen, und einmal an einem Freitagmorgen, dann wieder an einem Montagnachmittag in zwei Wochen beginnen. Als wäre das nicht schon genug, habe ich auch noch Veranstaltungen aus dem ersten, dritten und fünften Semester gewählt! Somit war ich vor allem in den ersten paar Wochen mit nichts anderem beschäftigt als über drei furchtbar unübersichtliche Stundenpläne zu grübeln. 

Vorlesungen dauern in den allermeisten Fällen 120 Minuten, manche Professoren machen keine Zwischenpause. Auch zwischen zwei Vorlesungen wird man nach einer Wechselpause vergeblich suchen. So kann man z.B. drei Vorlesungen hintereinander von 14 bis 20 Uhr haben, ohne auch nur eine offizielle Pause (de facto werden Pausen dann natürlich trotzdem gemacht, wenn auch nur ganz kurze). Viele Vorlesungen finden abends statt, aber auch am Morgen beginnen viele Übungen schon um 8 Uhr, somit ist der Stundenplan hier um Einiges praller als in Deutschland. Dafür gibt es zwischen 13 und 14 Uhr nie Vorlesungen, die Mittagspause beginnt oft schon um 12 Uhr und dauert meist zwei Stunden.

Die genauen Termine für die Klausuren werden erst einige Wochen vorher angekündigt, davor steht nur der zweiwöchige Zeitrahmen fest. Jene gehen meist über zwei oder sogar drei Stunden, wobei manchmal ohne Hilfsmittel eine einzige Frage beantwortet werden, also ein Essay geschrieben werden muss. Oft fällt nur eine Klausur pro zwei Vorlesungen an, man weiß aber natürlich nicht, welche abgefragt wird und lernt somit beide. Mit Hilfe von Nummern werden Klausuren anonymisiert, die Lehrkraft sieht bei der Korrektur also keine Namen. Hausarbeiten gibt es nur sehr wenige, Referate ebenfalls. Im Bachelor wird sogar nicht einmal eine Bachelorarbeit geschrieben. Im Master dagegen fallen je nach Studienfach oft gleich zwei Masterarbeiten an, oft zu je 100 Seiten. 

À la carte für 3,30€

Ein Mittagessen bekommt man in der Mensa in Poitiers nur von 12 bis 13:30 Uhr. Wartezeiten von bis zu einer halben Stunde sind dabei keine Ausnahme. Dafür wird man mit einem 3-Gänge-Menü entlohnt, welches immer 3,30€ kostet. In ganz Frankreich (selbst in den Überseegebieten in Afrika und Südamerika) ist eine einzige Organisation für alle studentischen Wohnheime und Mensen verantwortlich. Bezahlt wird stets mit dem Studentenausweis, welcher in ganz Frankreich identisch ist (abgesehen natürlich vom jeweiligen Namen der Uni auf der Karte). Man kann also selbst in einer anderen Stadt in die Mensa gehen und dort für 3,30€ zu Mittag essen. Im Menüpreis enthalten ist ein Salat, ein Hauptgericht und ein Dessert. Studierende, die eine Ausbildungsförderung erhalten, bekommen das Ganze für nur einen Euro.

Kostenlos ins Kino

Im Haus der Studierenden fanden zum Semesterauftakt zwei kostenlose Konzerte statt, außerdem gibt es einmal im Monat eine für Studierende kostenlose Kinovorstellung. Eine Fünferkarte kostet jedoch nur 20 Euro – projiziert werden Autorenfilme in Originalversion. Daneben kommt man in Frankreich als EU-Bürger:in unter 26 in den Genuss, staatliche Museen kostenlos besichtigen zu dürfen (also z.B. sogar den Louvre!), aber auch viele städtische Museen bieten Studis kostenlosen Eintritt an. Außerdem veranstaltet das Studentenwerk Aktivitäten wie Lasertag-Abende. Für ausländische Studierende gibt es zusätzlich noch das Erasmusnetzwerk, welches Events wie gemeinsames Schlittschuhlaufen organsiert. Begrüßt wurden internationale Studierende in Poitiers bei einem Festakt im Rathaus von der Oberbürgermeisterin der Stadt mit einem üppigen Büffet.

Fast einen Drittel der Stadtbevölkerung machen die 27.000 Studierenden aus, womit Poitiers die Stadt mit dem höchsten Studierendenanteil Frankreichs ist. Bei der Willkommensparty für internationale Studierende hatte sich für mich die seltene Gelegenheit ergeben, mich im Laufe des Abends in allen fünf von mir beherrschten Sprachen zu unterhalten: Mit einer ganzen Menge Italienerinnen und Italienern, natürlich auch mit Landsleuten (die jedoch eher in der Unterzahl waren an dem Abend), aber auch auf Russisch mit Menschen aus der Ukraine, aus dem Kirgistan und Usbekistan, und auf Englisch und Französisch mit Leuten aus der ganzen Welt, von Brasilien bis Kanada, von Marokko bis Norwegen. Am schwierigsten stellte sich generell das Kontakte-Knüpfen zu den einheimischen Studierenden dar, mit Erasmusleuten konnte ich mich aber viel besser vernetzen.

Alltag

Hin und wieder wird man in Frankreich daran erinnert, dass man eben doch ein Ausländer ist, z.B. regelmäßig beim Ansagen seiner Telefonnummer. Dafür sollte man wissen, dass Telefonnummern in Frankreich (Festnetz wie Mobil), immer aus zehn Ziffern bestehen und immer mit einer 0 beginnen. Praktisch, aber nicht für Menschen mit einer ausländischen Nummer, denn in vielen Systemen lassen sich eben nur 10 Ziffern ins Telefonnummernfeld eintragen, außerdem wird alles, was nicht mit einer 0 beginnt, als ungültig abgelehnt. Ein Glück, dass man meist auch noch eine E-Mail-Adresse angeben kann! Nun aber zum Lieblingsthema aller Deutschen: Mülltrennung. In Frankreich gibt es nur drei Behälter: Für Glas (nach Farben wird nicht sortiert), für Pappe + Papier + Plastikflaschen + Tetrapacks + Konservendosen (ja, das alles kommt in einen Behälter und wird später getrennt) und für alles andere. Es gibt keinen Biomüll, kein Flaschenpfand, auch der meiste Plastikabfall wie Verpackungen fliegt in den Restmüll. Die Müllabfuhr kommt, zumindest bei mir, meist nach Mitternacht. Leitungswasser ist in Frankreich zwar trinkbar, schmeckt aber nach Chlor, weshalb sich viele Menschen Sixpacks mit 1,5l-Wasserflaschen kaufen.

Die meisten Lebensmittel sind viel teurer als in Deutschland, vor allem das Fleisch: 300 Gramm Rinderhackfleisch gibt es für 6 Euro, die 200 Gramm Hühnchenbrust ebenfalls (vs. 500 Gramm in Deutschland für 5 Euro). Aber auch Obst und Gemüse kosten oft das doppelte. Nur Nudeln sind etwas günstiger. Dafür ist der ÖPNV etwas günstiger als bei uns. Es gibt kein obligatorisches Semesterticket, dafür aber für Studierende ein Monatsticket für 27 Euro, Bedürftige erhalten es umsonst. Und eine einstündige Fahrt mit einem Regionalbus kostet oft nur 3 Euro! Es ist üblich, den Busfahrer beim Einstieg zu begrüßen, oft sagt man sogar ein „Merci, au revoir!“ beim Aussteigen. Die Maskenpflicht im Nah- und Fernverkehr wurde in Frankreich schon Mitte Mai aufgehoben, selbst in prall gefüllten Bussen trägt fast niemand einen Mund-Nasen-Schutz. Die Fallzahlen in Frankreich entwickeln sich aber bemerkenswerterweise genauso wie in Deutschland. Und auch an der Beleuchtung wird in Frankreich trotz Energiekrise nicht gespart, Rathaus und Kathedrale erstrahlen wunderschön in der Nacht! Bis Ende Oktober wurde sogar ein 50m-Außenbecken im städtischen Schwimmbad auf 28 Grad beheizt. Flattrige Beach-Badeshorts sind verboten, ein Eintritt ohne Badekappe ebenfalls. Geöffnet ist es aber oft nur zweimal am Tag für je 90 Minuten, die restliche Zeit sind die Bahnen für Sportler und Schulklassen reserviert.  

Bereits mehr als zweieinhalb in Frankreich verbrachte Monate liegen nun hinter mir und würde nicht eine Praktikumsstelle in Berlin auf mich warten, wäre ich auch noch fürs Sommersemester hier geblieben! Wer also noch überlegt, ob sich ein Auslandssemester lohnt: Schnell bewerben und hinaus in die Welt, z.B. nach Frankreich!  

Wer neugierig ist oder Fragen zum Aufenthalt in Frankreich hat, kann sich gerne an unseren Autor Martin wenden. Meldet euch dazu zunächst unter vdasstudentenmagazin@gmail.com, dann stellen wir den Kontakt gerne her!

von Martin Scherbakov

Beitragsbild: ft.mariavictoria