Pandemie – Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen dir bei diesem Wort zuerst Maskenpflicht im Supermarkt, überlastete Intensivstationen, geschlossene Clubs, Reisebeschränkungen etc. in den Kopf. Welche andere Pandemie die Menschen seit über 40 Jahren auf andere Art zu Schaffen macht, schreibt unsere Autorin Leonie.

Pandemie – Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen dir bei diesem Wort zuerst Maskenpflicht im Supermarkt, überlastete Intensivstationen, geschlossene Clubs, Reisebeschränkungen etc. in den Kopf. Die Corona-Pandemie hat uns alle in den letzten Jahren einiges an Nerven, Angst und Ungewissheit gekostet. Was die meisten vergessen ist, dass es vielen Menschen vor etwa 40 Jahren in L.A. und New York City vermutlich ganz ähnlich mit diesen Gefühlen ging. 1981 wurde zum ersten Mal eine ungewöhnliche Häufung an Lungenentzündungen und seltenen Krebserkrankungen bei homosexuellen Männern dokumentiert, die relativ schnell als GRID (Gay-Related Immune Deficiency) bezeichnet wurde. Erst 1983 konnte das zugrundeliegende HI-Virus charakterisiert werden und die Immunschwäche im Laufe einer HIV-Infektion wurde als AIDS bezeichnet. Zunächst beschränkte sich die Ausbreitung von HIV hauptsächlich auf die Gemeinschaft homosexueller Männer, was zu einer extremen Stigmatisierung und Diskriminierung dieser Gruppe führte. Zu diesem Zeitpunkt war nicht klar, wie sich das Virus überträgt und Körperkontakt oder gar Intimität mit Betroffenen schien für viele Menschen bedrohlich und mit unvorhersehbaren Konsequenzen. Erst als klar wurde, dass HIV auch durch ungeschützten Sexualverkehr zwischen heterosexuellen Paaren, das Teilen kontaminierter Spritzen beim intravenösen Drogenkonsum oder durch Bluttransfusionen übertragen werden kann, kam es zu einer breiteren öffentlichen Aufklärung über das Virus.

Heutzutage ist in westlichen Ländern eine HIV-Infektion keineswegs mehr ein Todesurteil, sondern relativ gut behandelbar. Die Entwicklung einer antiretroviralen Therapie rettet zahlreichen Menschen das Leben, schenkt ihnen mehr Lebensqualität und eine deutlich höhere Lebenserwartung als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Therapie sorgt dafür, dass die Vermehrung des Virus im Körper unterdrückt wird und ein Fortschreiten der Infektion verlangsamt wird. Außerdem wird die Gefahr einer Übertragung des Virus auf andere Menschen durch die niedrigere Viruslast drastisch verringert. Insgesamt ist ein weitgehend unbeschwertes Leben also auch mit einer HIV-Infektion möglich. Trotz der inzwischen guten Behandelbarkeit ist es momentan allerdings immer noch unmöglich, das Virus vollständig aus dem Körper zu eliminieren. Die lebenslang benötigte Therapie führt zu hohen Kosten und setzt eine hohe Bereitschaft seitens der Patient:innen voraus, die Medikation konsequent einzunehmen. Vor allem in Ländern südlich der Sahara ist es zudem nicht selbstverständlich, dass die medizinische Versorgung ausreichend gesichert ist, wodurch der Zugang zur lebensrettenden Therapie teilweise erschwert ist. Warum gibt es dann trotz dieser Nachteile und jahrzehntelanger Forschung noch keine endgültige Heilung für eine HIV-Infektion?

Die Entwicklung einer Heilungsstrategie hat sich als äußerst schwierig erwiesen, da das Virus sich in bestimmten Zelltypen und Geweben im menschlichen Körper „einnistet“ und dort sowohl vor dem eigenen Immunsystem als auch vor potenziellen Impfstoffen geschützt ist. HIV besitzt zudem eine sehr hohe Mutationsrate, was die molekulare Struktur der Virushülle so verändern kann, dass das Immunsystem ausgetrickst wird und es die Viren nicht mehr erkennen kann. Hier könnten breitneutralisierende Antikörper Abhilfe schaffen. Sie sind in der Lage, viele unterschiedliche Varianten des HI-Virus zu erkennen und anzugreifen, da sie konservierte Bereiche auf der Virushülle zum Ziel haben. Diese konservierten Bereiche ändern sich mit einer deutlich niedrigeren Rate als andere Teile der Virushülle und bieten dadurch ein vielversprechendes Angriffsziel. Die Verwendung von breitneutralisierenden Antikörpern kann zum Beispiel bei einer sogenannten „Kick-and-Kill“-Strategie zum Einsatz kommen. Hierbei werden die ruhenden Viren im Körper wieder in einen aktiven Zustand gebracht („Kick“), sodass sie anschließend von zum Beispiel breitneutralisierenden Antikörpern angegriffen und eliminiert werden können („Kill“). Die Einbeziehung körpereigener Immunzellen beim Angriff auf die Viren ist natürlich ein weiterer Pluspunkt, der aktuell ebenfalls erforscht wird.

Tatsächlich ist es in einzelnen Fällen bereits geglückt, einen Menschen vollständig von einer HIV-Infektion zu heilen. Menschen, die eine seltene genetische Mutation tragen, sind resistent gegenüber HIV, da das Virus nicht in ihre Zellen eindringen kann. Wenn ein HIV-Patient eine Stammzelltransplantation von einem Spender mit dieser Mutation erhält, können die neuen Stammzellen das Immunsystem des Patienten aufbauen und gleichzeitig das Virus eliminieren. Ein Beispiel, wo dies gelungen ist, ist der sogenannte “Berliner Patient”. Der Berlin-Patient war ein Mann, der sowohl HIV als auch Leukämie hatte. Um die Leukämie zu behandeln, erhielt er eine Stammzelltransplantation von einem Spender mit der seltenen „HIV-Resistenz“- Mutation. Nach der Transplantation zeigten Tests, dass das Virus nicht mehr im Körper des Patienten nachweisbar war und er offiziell als geheilt galt. Das Verfahren der Stammzelltransplantation ist jedoch nicht ohne Risiken und Komplikationen. Es ist sehr aufwendig und mit einem hohen Risiko verbunden, da es zu schweren Infektionen und Abstoßungsreaktionen kommen kann. Daher ist es nur unter sehr besonderen Umständen in Erwägung zu ziehen. Dennoch ist die Erfolgsgeschichte des “Berliner Patienten” ein wichtiger Schritt in der Forschung zur Heilung einer HIV-Infektion, denn sie hat gezeigt, dass es möglich ist, eine Infektion durch eine Stammzelltransplantation vollständig zu heilen. Die Forschung auf diesem Gebiet wird weiter fortgesetzt, um die Methode zu verbessern und eines Tages möglicherweise auch andere Menschen von einer Infektion zu heilen. HIV ist in einigen Ländern noch immer für unzählige Menschen eine enorme Einschränkung ihrer Lebensqualität und führt zu vielen frühzeitigen Todesfällen. Es lässt sich also hoffen, dass die Forschung durch Fallbeispiele wie der “Berliner Patient“ an Auftrieb gewinnt, mehr Geld und Aufmerksamkeit auch auf dieses Virus zu lenken, auch wenn es bei uns in Deutschland seinen Schrecken weitestgehend verloren hat.

Bildquelle: Foto von Louis Reed auf Unsplash

Von Leonie Hirt