Unsere Autorin Carlotta hat sich Anton Tschechows Klassiker am Gostner Hoftheater angeschaut. Sie findet: Die Inszenierung ist gut durchdacht und transportiert die Zukunftssehnsucht der drei Schwestern.

Das Stück beginnt. Zunächst blicke ich auf einen Vorhang aus ergrauter Spitze. Dahinter sind die Schemen drei auf dem Boden sitzender Frauen zu erkennen, die sich fest an den Händen halten. Eine Stimme aus dem Off erklingt, und die Frauen beginnen sich zu bewegen. Ihre Haltungen alt und zerbrechlich, ihre Stimmen müde und zerbrochen. Nach und nach entfernen sie weiße Tücher, die diverse Möbelstücke auf der Bühne verdeckt haben. Das Attribut „verstaubt“ kommt mir in den Sinn, sowohl bei Entfernung der Staubtücher als auch bei der Betrachtung der Schauspielerinnen. Nach Zurückschieben des Spitzenvorhangs kommen drei junge Frauen in weißen viktorianischen Gewändern zum Vorschein, die drei Schwestern Olga (Philine Bührer), Mascha (Johanna Steinhauser) und Irina (Vanessa Czapla). 

Durch Anton Tschechows Theaterstück „Die drei Schwestern“ zum Leben erweckt, zeigt die Regisseurin Joanna Lewicka im Gostner Hoftheater in Nürnberg die Gedankenwelt der Schwestern in einem neuen Glanz. Durch Vermischung von Tanz-, Musik- und Sprechtheater entsteht eine neue Welt in Tschechows Stück. Seine entwickelte Dialogtechnik, die es ihm ermöglichte, den Eindruck des Aneinander-vorbei-Redens der Figuren zu erzeugen, findet auch im Gostner Hoftheater seine Verwendung. Die drei Schwestern führen zusammenhanglose Gespräche, welche auf kein Endziel hinweisen. Mehrere Monologe überschneiden sich und so geht keine der Schwestern länger als zwei, drei Sätze auf das Gesagte der anderen ein. 

Mascha schwärmt von ihrer Liebe zu Offizier Werschinin und verflucht ihre Ehe mit Fjodor. Währenddessen grämt sich Olga über ihre Arbeit als Lehrerin, plädiert aber dennoch für die Wichtigkeit der Arbeit an sich. Die jüngste Schwester Irina porträtiert immer wieder Moskau als die glorreiche Stadt ihrer Zukunft. Moskau entwickelt sich im Laufe des Stücks für sie zum zentralen Sehnsuchtsort. All ihre Probleme würden dort verschwinden. Sie würde einen Mann finden, der sie abgöttisch liebt, eine sinnvolle Arbeitsstelle antreten und das Leben ihrer Träume führen. Im Konjunktiv zeichnet sie ein Bild ihrer Zukunft, eng verbunden mit dem Auszug aus der Gouvernementstadt und das Zurücklassen aller Altlasten. 

Hinten: Vanessa Czapla als Irina, Philine Bührer als Olga. Vorne: Johanna Steinhauser als Mascha.

Ein Durcheinander aus Träumen, Sehnsüchten, Wünschen entsteht und reißt die Zuschauenden mit in den Strudel der jeweiligen Emotionen der Schwestern. Doch nicht nur die Gedanken der jungen Frauen stehen im Vordergrund. Joanna Lewicka gelingt es, trotz der nur drei Schauspielerinnen auf der Bühne, die Präsenz der jeweiligen Verehrer der Schwestern darzustellen. Ein Zusammenklopfen der Stiefel verrät den jeweiligen Rollenwechsel und so schlüpft Philine Bührer, vorher noch Olga, in die Figur des Offiziers Werschinin. Das Zusammenschlagen eines Buches oder Musik aus dem Radio kündigt ebenfalls einen Wechsel an und Irina wird zu Maschas Mann Fjodor. Zu Beginn ist es äußerst verwirrend, so viele Rollen in nur drei Schauspielerinnen zu verstehen. Jedoch wird es nach einiger Zeit zu einem ausgeklügelten System, um die Anwesenheit der männlichen Figuren darzustellen. 

Die Inszenierung ist äußerst gut durchdacht und lässt nur die Fragen offen, die offen gelassen werden sollten. Der Kontext der Zeit wird hierbei außer Acht gelassen. Die Handlung Tschechows wird in einen zeitlosen Raum transferiert. Sprache und Kostüm entsprechen dem Anfang des 20. Jahrhunderts in Russland, das Radio spielt jedoch Lieder aus den 2000ern und bringt aktuelle Nachrichten aus dem 21. Jahrhundert. Jedoch gelingt es Lewicka und den Schauspielerinnen so nicht weniger gut, die Welt der drei Schwestern nach Tschechows Sinn wiederzugeben. Die Sehnsucht nach der Zukunft, die Sorge vor dem Älterwerden, die Suche nach dem Sinn im Leben und die Angst vor dem Ausleben der eigenen Träume. Am eigentlichen Leben vorbeirennen, aber eigentlich gar nicht wissen, wohin man rennt. 

All das lassen uns die Schwestern fühlen und mit nach Hause tragen.

“Die drei Schwestern” von Anton Tschechow

am Gostner Hoftheater

Regie: Joanna Lewicka
Bühne und Kostüm: Marta Góźdź
Dramaturgie: Christine Haas
Video: Aleksander Janas
Besetzung: Philine Bührer, Johanna Steinhauser, Vanessa Czapla

Dauer: 105 Minuten, keine Pause

Mehr Informationen und Tickets findet ihr hier.

von Carlotta Leitner 

Beitragsbild und Bild im Text: Ali Al-Zubaidi & Aleksander Janas