Mit TikTok sicher nachhause kommen. Unsere Autorin Sophie schreibt, wie Heimweg und Dunkelheit ein Sicherheitsrisiko im Leben von FLINTA* Personen darstellen und wie FLINTA* feindliche Stadtplanung ein weiteres Problem des Patriarchats ist.
Es ist Ende September und es wird wieder früher dunkler. Für FLINTA* Personen bedeutet dies im Zweifelsfall ein abfallendes Sicherheitsgefühl auf dem Nachhauseweg. Es halten sich weniger Menschen draußen auf, der Heimweg führt mitunter an öffentlichen Orten vorbei, die menschenleer und nicht gut einsehbar sind. Dieses Phänomen zeigen Befragungen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
In einer anderen Befragungssequenz der Untersuchung zum Sicherheitsgefühl von Frauen in verschiedenen Alltagssituationen gaben rund ein Drittel aller befragten Frauen an, sie würden sich wenig bis überhaupt nicht sicher fühlen, wenn sie spät abends oder nachts allein im Dunkeln nach Hause gingen, und weitere 20% aller Befragten mieden diese Situationen vollständig und gaben an, sie gingen nie (!) abends allein im Dunkeln nach Hause.[1]
Dass FLINTA* Personen nachts teilweise gar nicht alleine nach Hause laufen, sollte uns als Gesellschaft zu denken geben. Videos auf Instagram oder Tiktok spiegeln diese Realität wider: Gibt man „walking home alone at night“ auf Tiktok ein, werden einem zahlreiche Videos von FLINTA* Personen angezeigt, die ihre Erlebnisse teilen oder Tipps für einen sicheren Heimweg geben – so beispielsweise den Schlüssel zwischen den Fingern zu halten und einen Taschenalarm bei sich zu tragen. Immer wieder bin ich selbst schockiert von den vielen Vorkehrungen, die ich und alle anderen weiblich gelesenen Personen in meinem Freund*innenkreis treffen, wenn sich jemand von uns auf dem Heimweg machen muss. „Schreib mir, wenn du zuhause bist“ ist nur der Gipfel des Eisbergs. Kopfhörer werden konsequent nicht mehr getragen, sobald es dunkel ist, der Schlüssel befindet sich in der einen Hand, das entsperrte Handy in der anderen. Hohe Schuhe werden durch Turnschuhe ausgetauscht, dunkle Wege werden gemieden und über den Livestandort wird jeder einzelne Schritt an die Freund*innen übermittelt, die zuhause sind.
Das fehlende Sicherheitsgefühl von FLINTA* Personen ist im Gegensatz zu so mancher Behauptung in den Kommentaren auf Social Media Plattformen nicht nur ein unbegründetes Gefühl oder eine unerklärbare Angst, sondern basiert unter anderem auf eigenen Erfahrungen oder Erfahrungen im Bekanntenkreis. Jede einzelne FLINTA* Person in meinem Freund*innenkreis war schon einmal von Catcalling und/oder sexueller Belästigung auf offener Straße betroffen. Jede. Einzelne. Person.
Darüber hinaus zeigen auch Befragungen von oben genannter Institution die Fakten zu sexuellen Belästigungen. Im Gegensatz zu sexuellen Übergriffen geschieht sexuelle Belästigung meist von Menschen ausgehend, die der betroffenen Person unbekannt sind. Auch der Ort der Belästigung ist prozentual gesehen weitaus häufiger an öffentlichen Orten:
Ein Überblick zeigt zunächst auf, dass die Frauen sehr viel häufiger als bei sexueller oder körperlicher Gewalt durch nicht oder kaum bekannte Personen an öffentlichen Orten belästigt wurden und sehr viel weniger durch Personen aus dem engsten sozialen Nahraum von Familie und Paarbeziehungen. 86% aller Frauen, die sexuelle Belästigung erlebt haben, hatten diese durch nicht oder wenig bekannte Personen an öffentlichen Orten, Straßen oder Plätzen erlebt […].[2]
Dazu auch folgendes Diagramm[3]:

Es stellt sich schnell die Frage danach, weshalb an öffentlichen Räumen so häufig sexuelle Belästigung – wie beispielsweise Catcalling[4] – geschieht und weshalb sich FLINTA* Personen an öffentlichen Orten oft unsicher fühlen. Mitunter liegt das sicherlich an der Stadtplanung, die zumeist von Männern und ohne den Einbezug von Bedürfnissen von FLINTA* Personen vonstatten ging. Das bedeutet konkret, dass Angsträume bestehen, in denen sich FLINTA* Personen unsicher fühlen oder die gar komplett gemieden werden. Oft sind das öffentliche Räume, die wenig beleuchtet und nicht überschaubar sind. Verwinkelte Gassen, hohe Mauern oder Hecken sind nur ein Beispiel für solche Orte. Eine feministische und genderneutrale Stadtplanung ist aus diesem Grund unglaublich wichtig und das nicht nur wegen der eben genannten Probleme. Auch die unterschiedlichen Mobilitätsmuster von FLINTA* Personen, die eng mit der Care Arbeit zusammenhängen, die bis heute prozentual mehr von FLINTA* Personen geleistet wird, erfordern eine feministische und genderneutrale Stadtplanung.[5]
Vor allem das oben gezeigte Diagramm macht bildlich sichtbar, wie prekär die Situation für meist FLINTA* Personen ist. Doch anstatt, dass sich diesem Problem angenommen wird, werden betroffene Personen oft für ihre Angst belächelt. Noch immer liest man in den Medien regelmäßig unter Videos von FLINTA* Personen, die ihre Geschichten zu sexuellen Übergriffen teilen, Kommentare wie: „Selbst schuld, warum läuft sich auch nachts alleine nach Hause?“ oder „Warum begibt sie sich auch in solche gefährlichen Situationen?“ Beim Lesen solcher Kommentare stellen sich mir immer wieder die Fragen: „Warum wird die Schuld immer bei FLINTA* Personen gesucht und nie bei den Personen, die übergriffig waren? Warum bin ich als weiblich gelesene Person daran schuld, wenn ich auf dem Heimweg angesprochen werde und nicht mehr gehen gelassen werde?“ Wenn mein Heimweg eine Gefahr für mich selbst darstellt, dann bin vielleicht nicht ich das Problem. Und mein Heimweg ist es auch nicht. Vielleicht ist ja das Problem die fremde Person, die mich nicht in Ruhe lässt. Die fremde Person, die mich in einer einsamen Straße fragt, ob ich mit ihm Sex haben möchte. Die Person, die mein „Nein“ nicht akzeptiert und weiter auf mich einredet.
[1] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): „Lebensrealitäten und Einstellungen von Frauen mit unterschiedlichem Einwanderungshintergrund in Deutschland“, Teil 1, 2023, S. 82, URL: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/84328/3bc38377b11cf9ebb2dcac9a8dc37b67/langfassung-studie-frauen-teil-eins-data.pdf (letzter Zugriff: 01.10.2024).
[2] BMFSFJ: Lebensrealitäten und Einstellungen von Frauen, 2023, S. 96.
[3] Ebd. S. 96
[4] Sexuelle Belästigung ohne Berührung, so beispielsweise anzügliches Hinterherrufen
[5] Dazu siehe beispielsweise Herrmann, Peter: Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession. Eine Einführung in: Borrmann, Stefan & Spatscheck, Christian (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit und Menschenrechte, 2023, Wiesbaden: Springer VS, URL: https://doi.org/10.1007/978-3-658-45290-2_3 (letzter Zugriff: 01.10.2024).
Text und Beitragsbild von Sophie Winter