Unsere Autorinnen Sophie und Carlotta waren bei der Premiere des zweigeteilten Ballett Abends am Staatstheater Nürnberg. Die Tänzer*innen haben die Choreografien von Marco Goecke und Goyo Montero zu der Musik von Igor Strawinsky in der Staatsoper realisiert. In einem Gespräch lassen Sophie und Carlotta diesen Abend Revue passieren.

Wir blicken auf eine dunkle Bühne. Kein Scheinwerfer erhellt den Boden. Das erste was wir hören, sind Schüsse. Die Zuschauenden befinden sich mitten auf einem Schlachtfeld. Die Tänzer*innen sind abwechselnd Waffen und Beschossene. Die abrupten Bewegungen ihrer Körper geben in Marco Goeckes Choreografie die Grausamkeit des Krieges wieder. Gleichzeitig kann in ihren Bewegungen auch die gewohnte Sanftheit eines Ballettes erkannt werden, die mit der Musik des Orchesters im Einklang steht. Intendiert als Übertönung des New Yorker Bombenlärms in Zeiten des zweiten Weltkrieges, schuf Strawinsky eine Tanzsuite in elf Teilen, die sich jeder klassischen Narration entzieht. 

Staatstheater Nürnberg / Jesús Vallinas

Im Gegensatz dazu choreografiert Goyo Montero in der zweiten Hälfte des Abends das Stück „Firebird“ im Sinne von Strawinsky, der sich durch russische Folklore inspirieren ließ, als ein modernes Märchen. Die Hälfte der Tänzer*innen bewegen sich in einem dschungelartigen Bühnenbild, in auf den ersten Blick befremdlich wirkenden Kostümen. In silbernen Rüstungen stellen sie die gegnerische Seite der in flammenden Anzügen gehüllten zweiten Hälfte des Ensembles dar. Auf tänzerische Weise zeigen sie eine Geschichte von Liebe, Schmerz und Gewalt und dem Überleben in Zeiten von Krieg. 

Staatstheater Nürnberg / Jesús Vallinas

Sophie und Carlotta tanzen beide selbst Ballett und lassen in ihrem Gespräch auch persönliche Erfahrungen mit einfließen. 

Wie habt ihr den Ballett Abend erlebt, was war für euch besonders?

S: Mich hat vor allem die Koexistenz und die scheinbare Widersprüchlichkeit beeindruckt, die durch die Bewegungen der Tänzer*innen ausgedrückt wurde: Einerseits wirkten diese hart, gewaltvoll und brutal, gleichzeitig jedoch strahlten sie auch eine gewisse Sanftheit aus.

C: Die Emotionen, die allein durch die Körper der Tänzer*innen ausgedrückt wurden, haben mich ins Staunen versetzt. Die Liebesszene der beiden Tänzer*innen aus „Firebird“ war so leidenschaftlich, drückte aber auch so viel Verzweiflung über die vorliegende „West-Side-Story Situation“ aus. Trotz fehlender verbaler Sprache wurde der Schmerz der beiden Liebenden über ihre Trennung so eindrücklich durch ihre Bewegungen transportiert.

Der Abend war zweigeteilt und beide Stücke wiesen ein ganz anderes Bühnenbild auf. Wie veränderte das eure Wahrnehmung von den Ballettstücken?

C: Die Bühne bei Goecke war ja völlig leer, bis auf eine Videoproduktion an der hinteren Wand. Die Tänzer*innen tanzten scheinbar in einen leeren Raum hinein. Jedoch ist es mir hier erstaunlicherweise leichter gefallen, mir eine bildliche Welt zu den Bewegungen vorzustellen, als das mir dies mit einem vorgegebenen Bühnenbild gelingt. 

S: Das erste Ballettstück löste im Zusammenspiel mit dem nicht vorhandenen Bühnenbild ein Gefühl der Leere und Beklemmung in mir aus – was wahrscheinlich auch gut zu der dargestellten Thematik des Krieges passt. Bei „Firebird“ fand ich vor allem das Zusammenspiel der Kostüme mit dem Bühnenbild spannend. Die Tänzer*innen verschmolzen in ihren Anzügen nahtlos mit der Kulisse und erzählten durch ihre Bewegungen nicht nur den Tanz des Balletts, sondern auch eine tiefgreifende Geschichte.

Staatstheater Nürnberg / Jesús Vallinas

Eine letzte Frage: Was bedeutet Ballett für dich?

S: Für mich bedeutet Ballett vor allem: sich dem eigenen Körper bewusst sein und jede noch so kleine Bewegung bewusst ausführen. Jedes Körperteil steht in Korrelation zueinander und hat gleichzeitig doch auch seinen ganz eigenen Bewegungsablauf. Ballett hat für mich auch ganz viel mit Musik zu tun und damit, die Musik zu spüren und meine Bewegungen an diese anzupassen.

C: Ballett ist für mich die schönste Art, eine Geschichte zu erzählen. Ganz ohne Worte, allein durch die Bewegungen des eigenen Körpers, entsteht eine starke Narration, die tiefe Gefühle transportieren kann. Gleichzeitig ermöglicht Ballett mir Kontrolle über den Körper, ohne dabei dessen Freiheit zu verlieren. Tanze ich durch einen Raum, habe ich das Gefühl den Boden unter mir zu verlieren und gerade in Pirouetten, wortwörtlich, davon zu drehen.

Danke für eure Eindrücke, Carlotta und Sophie!

Ballett: Strawinsky: Goecke/Montero am Staatstheater Nürnberg

Choreografien von Marco Goecke und Goyo Montero

SCÈNES DE BALLET
Uraufführung von Marco Goecke
„Scènes de ballet“ (1944) von Igor Strawinsky 

Musikalische Leitung: Roland Böer
Choreografie, Inszenierung: Marco Goecke
Choreografische Assistenz: Ludovico Pace
Bühne, Kostüme: Michaela Springer
Lichtdesign: Udo Haberland

FIREBIRD (Deutsche Erstaufführung)
von Goyo Montero
„L’Oiseau de feu“ (Der Feuervogel, 1909) von Igor Strawinsky
Uraufführung: 28. Juni 2023, Les Ballets de Monte-Carlo, Grimaldi Forum Monaco (MCO) 

Musikalische Leitung: Roland Böer
Choreografie, Inszenierung: Goyo Montero
Choreografische Assistenz: Gaetan Morlotti (Monte-Carlo), Beatriz Hack CanabalPreston McBain
Bühne: Leticia GañánCurt Allen Wilmer
Kostüme: Salvador Mateu Andújar
Lichtdesign: Samuel TheryGoyo Montero

Karten und Infos erhaltet ihr hier:

Beitragsbild und Bilder im Text: Staatstheater Nürnberg / Jesús Vallinas

Von Sophie Winter und Carlotta Leitner