TW: In diesem Artikel geht es unter anderem um mediale Belästigung und sexualisierte Cyerbewalt. Solltest du dich mit diesen Themen unwohl fühlen und dich dennoch dafür entscheiden weiterzulesen, pass bitte gut auf dich auf.  

Stell dir vor… 

Stell dir vor, du wachst an einem verregneten Novembermorgen von den schrillen Tönen deines Weckers auf. Seufzend schälst du dich aus deiner warmen Decke und reibst dir die Augen. Während zu mit deinem linken Arm deine Vorhänge beiseiteschiebst, greift deine rechte Hand dein Handy, entsperrt es und öffnet routiniert dein Social Media. Die Zahl 12 blitzt über deinen Direktnachrichten auf. Verwundert swipest du nach rechts und dich blöken zwölf fettgedruckte Nachrichten an. Du öffnest die erste. Ein fleischiges Glied glotzt dich an. Du verdrehst bloß die Augen und öffnest die nächste Nachricht. ,,Persönlich bumst es sich noch besser‘‘ steht da, eingerahmt von Auberginen, Pfirsichen und Wassertropfen im. Resigniert schließt du die App und greifst nach deiner Zahnbürste. Während du deine Zähne schrubbst, brummt dein Handy schon wieder auf. Entnervt wirfst du einen Blick darauf. Es ist eine Nachricht von einem Komillitonen, mit dem du dich gut verstehst. Er hat dir einen Link geschickt. Darunter steht ,,Tut mir leid, aber das solltest du sehen‘‘. Verwirtt öffnest du die Internetseite. Eine nackte Frau stöhnt und streckt ihren nackten Hintern in die Kamera. Dann dreht sich um und starrt dich an. Du bist es. 

,,gewalt, frauen‘‘ 

Tippe ich in meine Google- Suchleiste ,,gewalt frauen‘‘ ein, so breiten sich auf meinem Bildschirm erdrückende Bilder in trüben Farben aus, meist sieht man geballte Fäusten und verblasst im Hintergrund kauernde Frauen.  Dieses Suchergebnis ist vermutlich eine gute Repräsentation dessen, was in den Köpfen vieler Menschen aufploppt, wenn sie den Ausdruck ,,Gewalt gegen Frauen‘‘ hören – und ohne Zweifel ist diese physische Form ein Problem von hoher Relevanz und erschreckender Prävalenz.  Das gilt jedoch ebenso für eine Form der geschlechtsspezifischen Gewalt, die in Assoziationen bisher wenig Sichtbarkeit findet – Cybergewalt.  

Cybergewalt

Dieser Begriff umfasst zahlreiche Formen der Schädigung  durch Mittel des digitalen Raums. Sie betrifft alle Geschlechter, überproportional hingegen Mädchen und Frauen-  2023 mindestens 17.139 [1] von ihnen, Tendenz steigend. Von einer hohen Dunkelziffer in den Daten ist auszugehen. Cybergewalt ist äußerst facettenreich – sie reicht von Stalking durch Überwachungstools und Spyware, über Doxxing (= das Veröffentlichen persönlicher Daten durch Dritte) bishin zu digitaler Zwangsprostitution oder dem Veröffentlichen intimer Videos von anderen Personen ohne deren Einverständnis [2]. Durch die rasante Verbreitung von KI-Tools und KI-Kompetenzen nehmen Letzere auch immer häufiger eine Form an – Deep- Fake- Pornos. Deepfakes sind grundsätzlich Medieninhalte wie Fotos oder Videos, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz manipuliert wurden und dabei meist erschreckend echt erscheinen. So taucht dann der Papst mit trendigem, weißen Daunenmantel auf meiner FY- Page auf– oder eben in 98% der Deep-Fake-Videos ein Porno [3] mit dem Gesicht von weiblichen Stars, Mitschülerinnen, Studentinnen oder der Frau an der Supermarktkasse auf entsprechenden Websiten. Für sie ist das anfangs beschriebene Szenario schmerzhafte Realität. 

Die Betroffenen 

Die psychischen Folgen eines solchen Erlebnisses sind tiefgreifend. Betroffene können sich  beschmutzt fühlen, in Scham ertrinken, nichts mehr fühlen, an Zukunftsängsten über die Ergebnisse eines Backgroundchecks bei Bewerbungen zerbrechen, sie können nicht mehr leben wollen. Und: die Anonymität des Internets, das Nicht-Wissen über den Täter, kann es unmöglich machen, sich irgendwo sicher zu fühlen, zu irgendjemandem Vertrauen zu fassen.  Er könnte überall sein, er könnte jeder sein.   

Die Täter 

Bei der Erstellung und Verbreitung solcher Pornos spielen misogyne, anonyme Netzwerke eine entscheidende Rolle. Dort vernetzen sich (meistens) Männer, teilen Bilder ihrer Opfer- häufig Ex- Partnerinnen- und bitten andere Männer, davon Deep- Fake- Pornos zu erstellen und verbreiten ihre eigenen manipulierten Videos. Teils werden dabei inhumane Tauschhandlungen genutzt –   ,,ich mach sie dir, du machst sie mir‘‘. Für einige wird Cybergewalt durch die Nachfrage auch zum lukrativen, vergleichweise risikoarmen Business. Die Motive der Täter ähneln sich: meist sind es die gleichen Gesellschaftsstrukturen und das Gedankengut, die auch die analoge Gewalt gegen Frauen bestimmen. Es geht um Machtdemonstration, um die Ausübung von Kontrolle, um einen gekränkten, in seinem Inhalt ungerechtfertigen Anspruch, der von der Frau nicht erfüllt wurde, um Rache. Kurz: um Gewalt gegen Frauen, eben weil sie Frauen sind. [4]

Das Internet ist für uns alle Neuland 

Um einen Deep-Fake-Porno zu erstellen braucht es nicht viel – die Bilder, die genutzt werden, um Zielmaterial wie Nacktaufnahmen anderer zu manipulieren, können aus Social-Media, privaten Fotoalben oder heimlichen Aufnahmen entnommen werden. Sich selbst vor einer solchen Gewaltausübung zu schützen, ist als Einzelperson dementsprechend kaum möglich. Umso wichtiger ist es, wirksame Methoden zur Strafverfolgung zu entwickeln und diese Kompetenzen zu lehren, Präventionsmaßnahmen zu ergreifen und Gesetzeslücken zu schließen. Doch genau daran fehlt es derzeit – Fälle von Deep- Fake- Pornos zeigen, dass Strafverfolgungsorgane mitunter überfordert sind. Zwar gibt es niedergeschriebene Rechte, die durch Deep-Fake-Pornos eindeutig verletzt werden und somit auch als Grundlage für eine Verurteilung im Einzelfall genutzt werden können – spezifische Vorschriften, die das Phänomen adressieren, gibt es bisher allerdings nicht. Ein Lichtblick: die EU- Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt fordert von den Mitgliedsstaaten bis 2027, auch im Hinblick auf Cybergewalt Straftatbestände klar zu definieren. Der Bundesrat legte bereits einen Gesetzesentwurf vor, der zwar abgelehnt und von der Bundesrechtsanwaltskammer kritisiert wurde, Letztere weist aber auch auf die Notwendigkeit hin, zumindest bestehende Regelungen zu erweitern. [5;6] Es bleibt zu hoffen, dass auch Plattformen effektive Schutzmaßnahmen gegen Deep- Fake- Material einführen und offen zugängliche Technologien zur Erstellung kritisch geprüft und reflektiert werden. Strafnormen sind jedoch nur ein Teil einer präzisen Strafverfolgung. Eine der größten Herausforderungen stellt die Rückverfolgung zu den Tätern dar, die ihre Online -Aktivitäten meist gezielt und erfolgreich verschleiern. Zudem ist die rasante Weiterverbreitung des Materials schwer zu unterbinden und eine entgültige Löschung dadurch kaum zu erreichen. Darüberhinaus fehlte es Strafverfolgungsbehörden bisher häufig an Verständnis über digitale Gewalt  und Kompetenzen, um vorhandene Möglichkeiten zu nutzen [4] Das Internet ist schließlich für uns alle Neuland, außer man ist Täter. Manchmal kommt es vor, dass die Betroffenen aus Mangel an offizieller Unterstützung selbst beginnen,zu kombinieren, zu recherchieren und den Täter aufdecken. Ist die Strafverfolgung  durch offizielle Behörden jedoch nicht erfolgreich, so steht das Wort der Betroffenen gegen das Wort der Täter. Das verstärkt Mechanismen, die bei Gewalt gegen Frauen ohnehin schon zu beobachten sind:  Er würde sowas niemals tun! Das ist doch alles nur ein Schrei nach Aufmerksamkeit! Frauen! [4] Und selbst wenn der Täter klar ist, hört das Victim Blaming nicht auf, was Kommentarspalten unter Berichten über das Thema eindrücklich belegen. 

Der Versuch, ein Fazit zu ziehen 

Cybergewalt wie Deep- Fake- Pornos sind ein Mittel mit enormen Schädigungspotenzial. Sie kann Frauen im aus Rachegelüsten und Besitzansprüchen zerbrechen und ihnen jeglichen sicheren Raum entreißen. Sie kann Frauen aus der Öffentlichkeit verdrängen – vor einer Tat und nach einer Tat. Sie ist eine Waffe, um den Krieg gegen Frauen, der analog nie aufgehört hat, weitererzuführen. Es braucht Gesetzte, die die Gewalt spezifisch adressieren, es braucht Strafverfolgungsbehörden und Staatsinstitutionen, die nicht kapitulieren und die mit Plattformen und Technologieunternehmen kollaborieren – und ganz besonders braucht es Handlungen um den Strukturen, die analoger sowie digitaler Gewalt zu Grunde liegen, entgegenzuwirken. 

Falls du selbst von digitaler Gewalt betroffen bist, kannst du dich unter anderem an folgende Adressen wenden: 

https://hateaid.org/betroffenenberatung/

https://weisser-ring.de/digitalegewalt

das Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 116 016 

Hilfe- Telefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530 

Weitere Tipps, auch bei anderen Formen digitaler Gewalt, findest du hier: 

https://www.uni-jena.de/171512/leitfaden-digitale-gewalt

Quellen:

  1. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2024/11/lagebild-geschlechtsspezifische-gewalt.html
  2. https://www.frauenhauskoordinierung.de/themenportal/gewalt-gegen-frauen/gewaltformen/digitale-gewalt
  3. https://www.securityhero.io/state-of-deepfakes/#overview-of-current-state
  4. https://www.ardmediathek.de/tv-programm/66f8d0f6b2f3d3e66cfe1f4f
  5. https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/tod-von-ki-bildern-oder-tod-der-wahrheit-deepfakes-bundesrat-brak
  6. https://www.wbs.legal/it-und-internet-recht/datenschutzrecht/deepfake-fakeapp-kann-personen-in-pornos-austauschen-welche-rechte-haben-geschaedigte-23489/

Von Madita Herget