Unsere Autorin Anna absolvierte ihr Auslandssemester in Südkorea. Im Artikel erzählt sie von der Kultur des Landes aber auch den Herausforderungen, denen sie als Frau in Südkorea begegnete. Die Clubszene fungiert scheinbar als Live-Datingplattform, Consent wird impliziert. So etwas wie Awareness-Teams existieren – zumindest ihrer Erfahrung nach – kaum. 

Ich war in Südkorea im Auslandssemester und es war toll. Nie zuvor hatte ich die Gelegenheit, ein kulturell so andersartiges Land so lange und intensiv kennenzulernen. Nicht nur habe ich mich in die Essens- und Trinkkultur verliebt, sondern auch viele neue, tolle und internationale Freundschaften geschlossen. Auch die Modernität der Uni und des Campus war umwerfend. 

Koreas Ausgehkultur ist überdies[1] ein Erlebnis für sich. Schillernde Partybezirke wie Itaewon und Hongdae in Seoul und Seomyeon in Busan konkurrieren mit noch lauterer Musik und noch blinkenderen Lichtern um Aufmerksamkeit. Doch das böse Erwachen erfolgt innerhalb der zahlreichen Clubs: Nie zuvor wurde ich so oft angetatscht oder ungefragt angemacht wie in Korea. Die Macht der omnipräsenten CCTVs, die das Land ansonsten super sicher wirken lassen, ist dort ausgeschaltet. Doch woran liegt das? Zunächst fungiert die Partyszene scheinbar als Live-Datingplattform, Consent wird impliziert. So etwas wie Awareness-Teams existieren – zumindest meiner Erfahrung nach – kaum. Außerdem ist Korea das Land mit dem größten Wage-Gap der OECD-Länder, mit Abstand. Nicht ohne Grund rangiert es außerdem auf Platz eins der Länder mit der niedrigsten Fertilitätsrate. Aus Angst vor beruflichen Nachteilen und mangelnden Kinderbetreuungsmöglichkeiten entscheiden sich koreanische Frauen – zurecht – gegen das Kinderkriegen.[2] Diskriminierung und Sexismus am Arbeitsplatz sind nämlich ein weiteres Problem, Spycams in Badezimmern und Toiletten eine traurige Realität. Rigide Schönheitsideale, insbesondere für Frauen, und eine starke Wettbewerbsorientierung prägen den Alltag. Kurzum: Das Patriarchat wurzelt tief. 

All dies habe ich viel besser verstanden, nachdem ich Cho Nam-Joos Buch Kim Jiyoung, geboren 1982[3] gelesen habe. Darin skizziert die Autorin aus Seoul das Leben einer durchschnittlichen südkoreanischen Frau und die Alltagsdiskriminierung, mit der sie im Berufsleben und privat zu kämpfen hat. 

Weil Jiyoung diesbezüglich leider keine Ausnahme darstellt, haben sich koreanische Feministinnen etwas einfallen lassen: Die 4B-Bewegung wart begründet. Sie ähnelt dem Boy-Sober-Trend, wonach Frauen sich bewusst gegen heterosexuelle Liaison und für ein glückliches Singledasein entscheiden. 4B geht allerdings noch weiter. Konkret handelt es sich bei der Bewegung um die Ablehnung von heteronormativem Dating, Sex, Heiraten und Kinderkriegen; alles Begriffe, die auf Koreanisch mit bi- beginnen. Damit soll das misogyne, die Ungleichheit reproduzierende System boykottiert und ‚alternative Lebensentwürfe‘ propagiert werden.[4] Verstärkte mediale Aufmerksamkeit hatte die Bewegung speziell nach Trumps Wahlsieg auch in den USA generieren können.[5] Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten, doch die Hoffnung, damit ein gesellschaftliches Umdenken zu erreichen, besteht nicht zu unrecht. 

Vielleicht überlegt sich die koreanische Regierung ja dadurch noch andere Maßnahmen zur Überwindung der demografischen Krise als die Aufhebung der Mindestlohngrenze für ausländische Haushaltshilfen sowie ein Aussetzen der Wehrpflicht für Männer mit mehr als drei Kindern.[6] Autsch! 


Fußnoten

[1] Vgl. OECD: Reporting Gender Pay Gaps in OECD Countries: Guidance for Pay Transparency Implementation, Monitoring and Reform, OECD Publishing, Paris 2023, https://doi.org/10.1787/ea13aa68-en [Zugriff vom 26.11.2024]. 

[2] Vgl. o.A.: Weltweit niedrigste Geburtenrate. Südkorea erreicht neues Rekordtief. In: Tagesspiegel Online (28.02.2024). Auf Internetseite: https://www.tagesspiegel.de/internationales/weltweit-niedrigste-geburtenrate-sudkorea-erreicht-neues-rekordtief-11282539.html [Zugriff vom 26.11.2024].

[3] Cho Nam-Joo: Kim Jiyoung, born 1982. Übers. v. Jamie Chang. London 2020 [Seoul 2016]. 

[4] Vgl. Chas Newkey-Burden: South Koreas’s 4B movement: What is it and could it take off in the West? In: The Week UK. Auf Internetseite: https://theweek.com/culture-life/what-is-south-korea-4b-movement [Zugriff vom 26.11.2024]. 

[5] Vgl. Harmeet Kaur: After Trump’s win, some women are considering the 4B movement. In: CNN US (13.11.2024). Auf Internetseite: https://edition.cnn.com/2024/11/09/us/4b-movement-trump-south-korea-wellness-cec/index.html [Zugriff vom 26.11.2024]. 

[6] Raphael Rashid: Foreign maids and no military service: South Korea criticised over ideas to boost birthrate. In: The Guardian (30.03.2023). Auf Internetseite: https://www.theguardian.com/world/2023/mar/30/foreign-maids-and-no-military-service-south-korea-criticised-over-ideas-to-boost-birthrate [Zugriff vom 26.11.2024].

Beitragsbild: Anna Fürstaller

von Anna Fürstaller