Die Ökonomik muss nicht dogmatisch sein es gibt viele alternative Ansätze, die nur zu wenig beachtet werden.

 

Wenn ich mich als Laie mit den Wirtschaftswissenschaften auseinandersetze, dann habe ich immer recht schnell ein ungutes Gefühl: Auf den ersten zehn Seiten der Einführung in die Volkswirtschaftslehre denke ich mir bei jedem zweiten Satz: “Ja, aber das kann man doch so nicht stehen lassen” oder “diese Annahme ist doch totaler Käse”. Aber es funktioniert eben. Angeblich. Deswegen kann man das dann ruhig so lassen.

Denn die heutige neoklassische Wirtschaftswissenschaft basiert in erster Linie auf Gleichgewichten und mathematischen Modellen. Die Suche nach der besten Allokation und dem damit verbundenen Wohlstand gleicht längst mehr dem Mathematikstudium als dem der Geisteswissenschaften, denen die Ökonomie einmal entsprungen ist. Die Nachbarwissenschaften, darunter die Soziologie, kritisiert die Ökonomie und den Wahrheitsanspruch des ökonomischen Menschenbilds, des Homo Oeconomicus, seit Jahren ohne Erfolg.

 

Sozial-Sein ist ausgeschlossen

Das Menschenbild des Homo Oeconomicus besagt, dass Menschen egoistische Nutzenmaximierer sind. Sie sind demnach lediglich an dem Erreichen eines subjektiv beigemessenen Nutzen interessiert, der sich in der Regel durch Geld als allgemeines Äquivalent ausdrücken lässt. Für seine Mitmenschen interessiert sich der Homo Oeconomicus kaum, außer wenn es um Tauschbeziehungen geht und so eigene Bedürfnisse gestillt werden können. Empirische Erhebungen allerdings zeigen, dass der Mensch mitnichten so einfach gestrickt ist, wie die Ökonomie das für ihre Modelle gerne annimmt. Menschen sind höchst soziale Wesen, interagieren und bewegen sich im sozialen Umfeld, ohne in jedem Fall eine Kosten-Nutzen-Kalkulation im Hinterkopf mitlaufen zu lassen. Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Empathie allgemein finden im Homo Oeconomicus überhaupt keinen Platz.

Dass Menschen sich eben gerade nicht wie egoistische Nutzenmaximierer verhalten, lässt sich durch Experimente der sogennanten experimentellen Wirtschaftswissenschaften verdeutlichen. Zwei Versuchspersonen sitzen in einem Raum, ohne sich zu sehen. Die erste Versuchsperson bekommt einen bestimmten Geldbetrag ausgehändigt, beispielsweise 100 Euro, und ist angehalten, diese nach freier Entscheidung mit Versuchsperson 2 zu teilen. Versuchsperson 2 hat also keinen Einfluss auf die Geldmenge, die sie angeboten bekommt. Versuchsperson 2 hat allerdings die Möglichkeit, das Angebot abzulehnen, wenn der angebotene Betrag ihr zu gering erscheint. In diesem Fall bekommen beide Versuchspersonen kein Geld. Eine vielfache Durchführung und Wiederholung des Experiments zeigte: Versuchsperson 2 akzeptiert nicht jedes Angebot, wie man es von einem egoistischen Nutzenmaximierer erwarten würde. Stattdessen scheint bei der Entscheidung das Gefühl von Fairness und Anerkennung der anderen Versuchsperson relevant zu sein. Versuchsperson 2 agiert also, wenn sie ein zu geringes Angebot ablehnt, in Bezug auf Versuchsperson 1 und orientiert sich nicht primär an dem Nutzen, der sich in Form des Geldes bei jedem Angebot erhöhen würde. (Fun fact: Bei Studierenden der Wirtschaftswissenschaften liegt der Punkt, an dem Versuchsperson 2 das Angebot nicht mehr annimmt, wesentlich weiter unten.)

Sticker des Netzwerk Plurale Ökonomik e.V.
Sticker des Netzwerk Plurale Ökonomik e. V. Foto: Eric Hartmann

Aus Frust engagiert

Nicht nur Soziologen und Menschen jenseits der Wirtschaftswissenschaften sind frustiert, sondern zunehmend auch Studierende und sogar Professoren. So gründeten europäische Studierende der Wirtschaftswissenschaften das Netzwerk Plurale Ökonomik e. V., das sich für mehr Pluralität, Vielfalt und einen Geschichtsbezug in den Wirtschaftswissenschaften einsetzt. Die Universtität Siegen bietet jetzt als eine der ersten Universitäten im europäischen Raum ab dem Wintersemester 2016/17 einen Masterstudiengang ‘Plurale Ökonomie’ an, der sich kritisch mit der etablierten Wirtschaftswissenschaft auseinandersetzen und andere Ansätze miteinbeziehen will.

Denn die alternativen Ansätze sind da: Aus verschiedenen Strömungen gibt es Theorien und Analysen der Wirtschaft und demzufolge auch verschiedenste Kritik an den bestehenden Verhältnissen, darunter marxistische und postmarxistische, feministische oder postwachstumsökonomische Ansätze. Ein zentraler Kritikpunkt liegt auch in dem Status der Wirtschaftswissenschaften als “Naturwissenschaft”: Ökonomen erklären uns die Welt und die Gesetzmäßigkeiten, die sie entdecken, sind nicht zu hinterfragen man muss sich diesen unterwerfen. Diese Alternativlosigkeit beschränkt politisches Handeln und soziales Engagment, denn es beseitigt die Grundlage jeder möglichen Veränderung: den Glauben daran, dass die Welt auch anders sein könnte.

 

von Eric Hartmann