Stress, Druck von anderen und von sich selbst, Burnout. Längst machen psychische Probleme nicht mehr vor Studierenden halt: circa 20 bis 25 Prozent der Studierenden leiden unter psychischen Störungen.
„Ich leide an totaler Prüfungsangst, die schon ab dem ersten Tag des Semesters anfängt (…) Ich blättere beim ersten kurzen Grübeln wirr durch die Seiten und bekomme Herzrasen, dann wieder diese Schuldgefühle, dieses ‘Ich bin dumm’. Du bist nur Geldverschwendung und ein schlechter Mensch. (…) Und das schlimme ist, dass durch den Bachelor das, was vorher auf zwei Semester verteilt wurde, innerhalb von einem Semester geprüft wird. (…) Ich weiß nicht mehr weiter. Diese Angst blockiert mich so.“
Das schreibt eine anonyme Nutzerin in einem Selbsthilfe-Forum über ihre Prüfungsangst. Die Autorin macht das Bachelor-/Mastersystem mitverantwortlich. Das ist keine neue Anschuldigung: Das starre, verschulte System erlaube den Studierenden kein freies Denken und keine eigenen Interessen mehr, erklären Holm-Hadulla et al. in dem Buch “Psychische Beschwerden und Störungen von Studirenden”. (Holm-Hadulla, R. et. al.: Psychische Beschwerden und Störungen von Studierenden, Psychotherapeut 2009).
Das hat auch Marita Luger beobachtet; Sie ist die Leiterin der psychologisch-psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studentenwerks Erlangen-Nürnberg und hatte zuvor einen Lehrauftrag in der Klinischen Psychologie: „Die Studierenden schauen sich weniger selbst um, welche Literatur sie interessiert. Sie sind viel stärker darauf fixiert, was der Dozent vorgibt. Es wird versucht, möglichst effektiv zu studieren.“ Das ‘Konzept Uni’ habe sich anscheinend geändert: Statt faulem Studentenleben, jetzt stures Ableisten von Pflichtveranstaltungen und Prüfungen. In den vergangenen 15 Jahren ist die Zahl der Studierenden, die in der Beratungsstelle des Studentenwerks Hilfe suchen, jährlich um drei bis acht Prozent gestiegen. Das liegt womöglich daran, dass die Hemmschwelle dafür gesunken ist – aber wahrscheinlich spielen auch höhere Studienanforderungen eine Rolle. Luger problematisiert, dass viele Studierende nur noch für Prüfungen lernen, ihr Wissen auskotzen und dann alles wieder vergessen – „Bulimie-Lernen“ eben. Motivation zum Lernen kommt dabei nur noch durch den Druck von außen, Neugier und Wissbegierde am Fach bleiben auf der Strecke. Holm-Hodulla et. al. schreiben dazu aber: Das Studium dürfe die Studierenden nicht in ihren Entwicklungsaufgaben einschränken. Neben (strukturierten) Anforderungen müssen die Universitäten auch Freiräume für die individuelle Entwicklung offenlassen.
Studierende sind besonders gefährdet!
Studierende sind stärker als andere Bevölkerungsgruppen gefährdet, psychisch zu erkranken. Warum? Luger erklärt: „[Das] ist eine Zeit, in der viele persönliche Entwicklungsleistungen stattfinden. Die Adoleszenz ist noch nicht zu Ende.“ Studienanfänger verlassen das sichere Umfeld von Zuhause, müssen neue Partner- und Freundschaften schließen, eine Wohnung finden. „Es ist eine Phase, in der viel Bewegung stattfindet.“ Wer bereits eine Ausbildung gemacht hat, habe es leichter, bringe mehr Willen und Durchhaltevermögen mit und neige weniger dazu, zu prokrastinieren.
Manche trinken Alkohol, um mit Stress und Problemen fertig zu werden. Studien finden stark schwankende Zahlen zum Alkohol- und Drogenmissbrauch unter Studierenden: Etwa drei bis dreißig Prozent sind abhängig. Holm-Hodulla et. al. vermuten, dass viele Studierende das Trinken gar nicht für ein Problem halten. Was ist schon dabei mal wegen eines Katers eine Vorlesung zu verpassen? Die Probleme verschwinden aber auch nach einem Blackout nicht.
Die Psychologisch-Psychotherapeutische Beratungsstelle des Studentenwerks Erlangen-Nürnberg ist laut Luger für etwa 70.000 Studierende zuständig. Sie deckt einen sehr großen Einzugsbereich von Nürnberg bis Ingolstadt ab; Der Hauptsitz ist in Erlangen. In der Beratungsstelle arbeiten derzeit acht Psychologen. Weil immer mehr Studierende psychologische Hilfe suchen, werde für Triesdorf und Ansbach bald eine weiterer Stelle geschaffen.
Das Angebot der Beratungsstelle ist vielfältig. Ein besonders leicht zugängliches Angebot ist die offene Sprechstunde, in die Betroffene anonym und ohne Voranmeldung kommen können. Auch Nicht-Studierende, wie Eltern und Dozenten, dürfen die Sprechstunde nutzen. Diese findet jeden Dienstag von 13.30 Uhr bis 15.30 Uhr in der Beratungsstelle statt. Natürlich reicht die Zeit dabei noch nicht aus, um konkrete Anliegen zu besprechen. Man könne jedoch „schauen, ob es das Richtige ist und eventuell ein längeres Erstgespräch vereinbaren“, so Luger. Man könne sich auch direkt für ein Erstgespräch anmelden, das dann etwa eine Stunde dauert.
Häufig auftretende Probleme der Studierende sind Arbeitsstörungen, Prüfungs- und (zunehmende) Zukunftsängste, psychosomatische Schmerzen und Depressionen. Insgesamt leiden wohl 20 bis 25 % der Studierenden unter psychischen Störungen. Luger nennt verschiedene Gipfel, also konkrete Zeitpunkte im Studium, an denen auffällig viele Studierende das Angebot wahrnehmen. Der erste Gipfel sei zu Beginn des Studiums. Ein weiterer zu Zwischenprüfungen, wenn die Studierenden von Umfang und Zeitdruck beim Lernen überfordert sind. Darüber hinaus gebe es einen Gipfel zum Ende des Studiums; besonders Langzeitstudierende müssen sich dann mit dem Ausblick auf weitere Lebensphasen kritisch auseinandersetzen.
„Aufschieberitis“ und Selbstzweifel
Ein sehr weit verbreitetes Problem ist die „Aufschieberitis“. Diese entstehe, wenn sich Klienten durch ihre hohe Motivation und überhöhten Erwartungen „selbst im Weg stehen“. Leistungsstörungen entlarven sich laut Jahresbericht der Beratungsstelle oft auch als Depressionen, starke Selbstzweifel, Ängste, sowie psychosomatische Störungen. Zum Thema Prokrastination sowie zur Prüfungsangst gibt es in der Beratungsstelle ebenfalls ein Gruppenangebot zur Selbsthilfe.
Überraschend ist der hohe Anteil männlicher Studierender, die das Betreuungsangebot in Anspruch nehmen: Im Jahr 2014 waren es 42 %. Luger freue sich darüber, dass dieser Anteil stetig ansteigt. Schließlich seien die Belastungen bei Männern und Frauen gleich schwer. Dass immer mehr Männer zur Beratungsstelle kommen, liege wahrscheinlich an der wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz. Besonders in Fächern der technischen Fakultät mit hohem „Männer-Anteil“ wie Mathematik, Informatik oder Maschinenbau steige die Anzahl der Klienten an.
Die Beratungsstelle rechnet nicht mit Krankenkassen ab und unterliegt extremer Schweigepflicht. Nicht einmal der Chef der Beratungsstelle wisse, wer hier behandelt wird. Alles werde streng vertraulich behandelt. Der Unkostenbeitrag beträgt 10€ pro Therapiestunde. Wenn Studierende sehr knapp bei Kasse sind und beispielsweise auf einen Nebenjob angewiesen sind, wird eine Kostenbefreiung angeboten.
Was tun, wenn man im Freundeskreis bemerkt, dass jemand unter einer psychischen Belastung leidet? Hier erklärt Luger, es sei immer wichtig, Freunden die eigenen Sorgen und Beobachtungen aus der Ich-Perspektive mitzuteilen. Ein persönliches Gespräch sei für Betroffene oft eine Erleichterung. Viele brauchen die Brücke von Freunden oder Bekannten, um sich selbst einzugestehen, dass sie Hilfe benötigen. Man könne als Freund/in zusammen mit der/dem Betroffenen zur offenen Sprechstunde gehen oder die Person hinbegleiten. Betroffenen helfe das sehr.
von Annette Göller & Sabrina Mellerowic