Unsere Autorin berichtet von einer Erfahrung, wie sie hunderte Frauen täglich machen: Catcalling ist Gang und Gäbe. Dass Angst der tägliche Begleiter von Frauen ist, wird immer noch nicht ausreichend ernst genommen.

Es ist Sommer, und ich habe mich dazu entschlossen, spazieren zu gehen. Die Sonne brennt auf meinem Rücken und aus meinen Kopfhörern dröhnt auf voller Lautstärke ein Eminem-Song. Ich überlege mir – wie üblich beim Betrachten des Bergs, den ich gleich hoch gehen muss – was zur Hölle mich eigentlich dazu bewegt hat diesen Berg überhaupt runterzulaufen, als ich im Augenwinkel merke wie ein schwarzer BMW vielleicht 20 km/h auf der Landstraße einige Meter hinter mir fährt, obwohl hier 100 km/h erlaubt sind.

Bis hier hin klingt diese Geschichte für viele wahrscheinlich wie der Beginn einer mehr oder weniger spannenden Action/Gang-War/Fast&Furious Fan-Fiction.

Tatsächlich bemerke ich aber beim Umdrehen, dass die Männergruppe im Auto mir zuwinkt. Ob sie was sagen, keine Ahnung. Ich habe weiter die Kopfhörer drin und bin ehrlich gesagt auch froh, es nicht zu wissen. Vielleicht sagen sie was Nettes, vielleicht aber auch einfach nur etwas, das die Situation für mich noch unangenehmer gemacht hätte, von daher: manchmal ist Unwissen tatsächlich ein Segen. Ich laufe einfach weiter und denke „Vielleicht sind das einfach nur Betrunkene, kein Stress“.

Bis sie weiter abbremsen und aus dem nichts wenden. Da, wo ich in den 20 Jahren, die ich in diesem Dorf wohne, noch nie jemanden habe wenden sehen.

Und dann fahren sie wieder zurück und winken mir weiter zu. Ich habe immer noch die Kopfhörer drin und versuche mich möglichst desinteressiert zu geben, um sie auf keine Ideen zu bringen. Während ich den Berg langsam hochlaufe, versuche ich, mich möglichst wenig umzudrehen, aber immer noch genug, um mitzubekommen was sie tun. Und dann bete ich einfach nur, dass diese Typen mit ihrem Auto nicht diesen Berg hochfahren, auf dem ich alleine zu Fuß unterwegs bin. Ich war selten so erleichtert darüber ein Auto verschwinden zu sehen.

Vielleicht klingt diese Situation objektiv betrachtet für viele, die noch nie damit konfrontiert wurden, allerhöchstens unangenehm, deswegen möchte ich euch einen Einblick in meine Gedanken gewähren: Ich hatte Angst. Richtige, echte Angst davor was als nächstes passieren könnte. Ich habe mir vorgestellt, wie ich den Berg hoch renne, wo ich am besten abbiege, damit sie mit dem Auto nicht hinterherfahren können. Mein gesamter Körper hat die Bedrohung wahrgenommen und ich habe in diesem Moment nicht an später gedacht, sondern nur daran wie ich möglichst heil, das heißt ohne physische, aber vor allem emotionale Verletzungen rauskomme.

Irgendwie habe ich in diesem Leben so viel Glück gehabt, dass das für mich das erste dieser Erlebnisse war. Aber glaubt mir, die meisten meiner Freundinnen haben sowas nicht nur einmal erlebt. Und es ist eine absolut furchtbare Situation, die einen nicht einfach so loslässt. Während die Typen also einfach weiterfahren konnten und ihren Spaß hatten und sich an diese Minute ihres Lebens wahrscheinlich schon heute Abend nicht mehr erinnern, habe ich erstmal versucht mit mir zu verhandeln: war doch gar nicht so schlimm, war doch nur Spaß, die waren einfach nur betrunken, nimm es doch als Kompliment (weil ja, irgendwie ist unsere Gesellschaft so krank, dass sie uns dazu bringt, so etwas zu denken), aber am Ende des Tages war es eben doch nicht okay. Gar nicht, um genau zu sein.

Also habe ich mit zwei Freundinnen gesprochen, die mich aufgebaut haben, für die das ganze aber leider auch nicht fremd war. Lösungen? Nicht wirklich. Pfefferspray und eine andere Route vor allem. Nicht weil wir die Schuld wirklich bei uns sehen oder die Verpflichtung, dass wir andere belebtere Routen nehmen, wenn wir alleine spazieren gehen, sondern weil Vorsicht eben doch besser als Nachsicht ist.

Aber es ist mehr als nur andere Routen und Pfefferspray. Es ist ewig warm draußen und ich fühle mich in einer kurzen Hose nicht mehr sicher. Es ist der Fakt, dass ich jetzt bei jedem langsamer fahrenden Auto oder Auto voller Männer ein mulmiges Gefühl habe. Es ist der Fakt, dass mir das immer noch nachgeht und ich mich nicht mehr sicher fühle auf einer Strecke, die ich seit mehreren Jahren laufe. Es ist der Fakt, dass es für diese Menschen ein paar Sekunden, für uns aber ein lebenslang prägendes Ereignis ist, das uns sicherlich nicht nur einmal passiert. Es ist der Fakt, dass jemand in unser Leben mir nichts dir nichts eingreift und uns unsere Sicherheit einfach wegnimmt. Und sich dabei der Konsequenzen seiner Handlungen nicht mal bewusst ist, weil es so normal in unserer Gesellschaft ist und er sich bisher dieser Verantwortung einfach nicht stellen musste.  Wir sollen uns alle nicht so haben und nicht so eine Mücke aus einem Elefanten machen, aber ich sitze jetzt nun mal hier und muss mich damit auseinandersetzen und muss irgendeinen Weg finden mit dem Erlebten und mit Gefühl, das es in mir ausgelöst hat, umzugehen: Ziehe ich immer etwas Langes an? Aber dann fühle ich mich, als hätten sie gewonnen und sie könnten über mich bestimmen. Mach ich alles wie vorher und fühle mich aber immer unsicher? Laufe ich nur noch mit Pfefferspray rum? Fühle ich mich dann sicher? Aber was soll dann bitte am Spazieren gehen entspannend sein.

Denn genau das will ich. Spazieren gehen. Nachts alleine draußen sein. Im Club tanzen. Und dabei einfach nur das machen, ohne an alles andere denken zu müssen. Ich will keine Extrabehandlung, ich will einfach nur dasselbe Privileg, das Männer haben, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachdenken zu müssen.

Und ich hab keine Lust, dass jemand in mein Leben, meine Sicherheit, mein gutes Gefühl eingreift. Dazu hat niemand das Recht. Punkt. Lasst Menschen einfach in Ruhe. Wenn jemand im Gym ist, will die Person ins Gym. Die Person will niemanden kennenlernen und auch nicht, dass du sie anstarrst. Wenn ich spazieren gehe, will ich spazieren gehen, weil es mir guttut und ich will keine Angst haben, dass ich gleich vor einem Auto weglaufen muss. Wenn sie im Club ist, will sie nicht, dass du ihr ungefragt an den Arsch fasst („Hi, ich bin…, wie geht’s dir?“ Führe einfach eine Konversation und dann checkst du schon ob sie was von dir will oder nicht!). Es ist sehr einfach. Aber vielleicht nicht so einfach wie seinen eigenen Spaß vor das Wohlfühlen und die Sicherheit einer anderen Person zu stellen.

Anmerkung: der Artikel ist einen Tag nach dem Spaziergang entstanden, allerdings habe ich bis jetzt gebraucht, um ihn zu überarbeiten, daher ist es inzwischen leider keine kuscheligen 30 Grad mehr. Die Message und meine Erfahrung bleiben aber dieselben.


anonym

Beitragsbild: unsplash (Emma Simpson)