Eine Rezension der Neuinszenierung von Samuel Becketts Tragikomödie “Glückliche Tage” im Erlanger Markgrafentheater
Wer sich nach Action auf der Theaterbühne sehnt, sollte einer Aufführung von Samuel Becketts „Glücklicher Tage“ im Erlanger Markgrafentheater unbedingt fernbleiben, denn sie ist wahrlich eine Entdeckung der Langsamkeit. Das Stück dauert exklusive Pause rund zwei Stunden. Während dieser etwa 120 Minuten rührt sich die Hauptprotagonistin Winnie, aus deren Monologen das Drama besteht, kein einziges Mal vom Fleck. Das kann sie auch gar nicht, denn sie steckt in einem Erdhügel fest, erst brusthoch, nach der Pause schaut lediglich ihr Kopf noch heraus. Willie, ihren Ehemann, kann man fast das gesamte Stück hindurch höchstens akustisch wahrnehmen, denn einzig und allein auf seinen Hinterkopf kann das Publikum einen Blick erhaschen. Die Zuschauenden sind also aufgerufen, sich voll und ganz auf Winnies endlose Selbstgespräche zu konzentrieren. Ob sie nun von tiefphilosophischer Natur sind, oder doch nur sinnloses Geschwafel muss jede:r für sich persönlich entscheiden. Beckett selbst soll Fragen nach dem Sinn seiner Stücke stets mit der Aussage, er wisse nur, was im Text stehe, beantwortet haben. Kein Wunder, denn allein das Genre – absurdistisches Theater – spricht schon für sich.
Im größten Kontrast zu der äußerst spärlichen Aktivität der Schauspielenden steht dagegen das fast überbordende Bühnenbild: Eine schier endlose Anzahl an Stoffbahnen und Stofffetzen, zusammengefügt zu einer einzigen riesigen Decke, welche die gesamte Bühne bedeckt. Eben aus dieser Decke heraus türmt sich ein Berg aus Stoffstücken empor, in welchem Winnie sich in Gefangenschaft hält. Mit einem schrillen Klingelton beginnt ihr Tag, es folgt die Körperpflege und das Zähneputzen, die tägliche Routine also, in welcher wir alle feststecken, und viele Fragen, die im Leeren verstummen. So lässt auch nur die kleinste Reaktion Willies – meist handelt es sich hierbei um Verbesserungen von Sprachfehlern seiner Partnerin – Winnie euphorisch werden. Feierlich verkündet sie dann: „Es wird wieder ein glücklicher Tag werden!“ – wie ein Mantra wiederholt sie diese Sentenz immer wieder aufs Neue.
Es würde jedoch eher schwerfallen, in diesem Kontext von Glück zu sprechen, denn Winnies Monologe wirken vielmehr wie ein verzweifelter Versuch, an der quasi bereits nonexistenten Beziehung zu Willie festhalten zu wollen. In Anbetracht mehrerer überstandener Lockdowns erscheint das vor über 60 Jahren erschienene Stück dabei im neuen Licht und gewinnt an Aktualität: Über Monate hinweg waren auch wir gefangen in unseren eigenen vier Wänden und hierbei oft gezwungen, 24 Stunden am Tag Seite an Seite mit unseren Liebsten zu verbringen. Eben dadurch gelangte auch die offensichtliche Beziehungsunfähigkeit mancher Paare schnell ans Tageslicht, vorher vielleicht über Jahre hinweg kaschiert durch die wenige, zusammen verbrachte Zeit. So befindet sich auch Winnies Beziehung mit Willie in einem stark vorangeschrittenen Zerfallsstadium. Man hört aber keinen Streit, Willie wird nicht gewalttätig. Stattdessen peitschen Winnies Monologe wie eine tosende Brandung gegen eine Mauer aus Stille.
Katja Ott, die Intendantin des Erlangen Theaters persönlich, zeichnet sich als Regisseurin dieser Inszenierung, und die beiden Hauptdarsteller:innen Alissa Snagowski und Hermann Große-Berg hätten eigentlich einen viel lauteren Applaus verdient, doch war der Publikumsraum coronabedingt leider immer noch geisterhaft leer – und gleichzeitig ausgebucht. Wer sich nun die Chance nicht entgehen lassen will, in Becketts absurde Welten einzutauchen, welche in ihrem Kern der unsrigen leider doch beängstigend ähnlich sind, sollte eine der noch vier geplanten Vorstellungen besuchen. Mein Tipp: Gut ausgeschlafen in den bequemen weichen Theatersesseln Platz nehmen! Außerdem regt dieses Stück sehr zum Nachdenken an: So kann es durchaus passieren, dass sich der erste Eindruck noch ändern kann, je mehr man über das Gehörte und Gesehene zu sinnieren beginnt.
Martin Scherbakov
Glückliche Tage von Samuel Beckett
Vorstellungen im Markgrafentheater Erlangen am:
- Do 18.11.2021, 19.30 Uhr
- Fr 19.11.2021, 19.30 Uhr
- Sa 11.12.2021, 19.30 Uhr
- Mo 13.12.2021, 19.30 Uhr
Studierende zahlen nur den halben Preis!
Alle Bilder wurden freundlicherweise von Jochen Quast (https://www.jochenquast.de) zur Verfügung gestellt.