Thomas Nunner und Maximilian Pulst geben als Ritter Don Quijote und Knappe Sancho Panza unter der Regie von Janning Kahnert ein starkes Duo ab.

Wo fängt der Traum an, wo hört die Realität auf? Vielleicht an der Grenze des Teppichs, der auf einer leicht erhöhten Plattform liegt und das Zimmer von Don Alonso Quijano markiert; ein Zimmer vollgestellt mit Büchern, Büchern, Büchern, einem Regal und einem Sekretär, einem kleinen Tisch, einer Chaiselongue. Hier lebt Don Alonso Quijano, der sich zu Don Quijote macht, einem tapferen Ritter. Auf dem Rücken seines stolzen Rosses Rosinante und mit seinem treuen Knappen Sancho Panza an seiner Seite stürzt er sich in die waghalsigsten Abenteuer. Zu zweit dreißig Riesen niederschmettern? Kein Problem! Rosinante vor dem Angriff gemeiner Gauner bewahren, die nicht größer sein können als Mäuse? Ein Klacks! Schade nur, dass keines dieser Gefechte real ist, sondern allein Don Quijotes Imagination entsprungen. Man denke an die Windmühlen!

Janning Kahnert stellt in seinem Regie-Debüt Miguel de Cervantes’ Roman “Don Quijote” (hier in einer Fassung von Jakob Nolte) mit einem Zwei-Personen-Ensemble auf die Bühne im Extended Reality Theater des Staatstheaters Nürnberg, kurz XRT. Als Schauspieler ist Kahnert dem Nürnberger Publikum aus Produktionen wie “Kaspar”, “Alice im Wunderland”, “Don Karlos” und “Wallenstein” bekannt. “Don Quijote”, das ist eine Geschichte, die man genauso gut auf die große Bühne des Schauspielhauses stellen könnte, mit allem Pomp und Prunk, die in der kleinen Spielstätte des XRT aber umso mehr die Vorstellungsfähigkeit des Publikums fordert – ganz im Sinne des Spiels mit Imagination und Illusion des Romans.

Thomas Nunner als Don Alonso Quijano a.k.a. Don Quijote. (Foto: Konrad Fersterer)

So viele “Schlachten” er auch schlägt: Am Ende steht Don Quijote wieder als Don Alonso Quijano da, im Prinzip nichts weiter als ein alter Mann, der die Realität vehement verweigert. Das lässt entfernt an Ex-US-Präsident Donald Trump (und andere Schwurbler*innen) denken, der jüngst aufgrund der Verschleierung von Schweigegeldzahlungen 34-fach verurteilt wurde, und dennoch stur behauptet, er sei unschuldig, der Prozess manipuliert. Trotz dieser und weiterer gerichtlicher Urteile gegen die wutnuschelnde Orange laufen ihm seine Anhänger*innen nach wie die Lemminge, was die Frage aufwirft: Wie schafft Trump es, dass sie weiter an ihn glauben? Eine Frage, die sich auch im Stück spiegelt. Wie gelingt es, andere in die eigene Fantasie – in die Welt der alternativen Fakten, wenn man so will – mitzureißen? Wie klappt es, dass andere bei dieser Wunschvorstellung mitmachen?

Im Gegensatz zu Trump kann man dem armen Don Quijote noch Verständnis und Empathie entgegenbringen. Das liegt nicht zuletzt an Kammerschauspieler Thomas Nunners Darstellung, der in seiner Figur sehr klug Verletzlichkeit durchscheinen lässt. Nunners Don Quijote weiß ganz genau, was er tut, er will es nur nicht zugeben. Er zeigt den “Ritter von der traurigen Gestalt” als zunehmend verzweifelt bemüht, an der selbst gesponnenen Illusion seines Heroismus festzuhalten. Anders ist ihm Kommunikation fast nicht mehr möglich. Möchtegern-weise schwingt er große Reden, imaginiert epische Kämpfe mit kindlicher Begeisterung, malt sich mit Kunstblut Wunden auf, die ihn nach seinen “Schlachten” als tapferen Krieger zeichnen sollen. Letztendlich landet er doch immer wieder in seinem Sessel, eine Decke um die Knie geschlungen, die Lesebrille auf der Nase. Zurück in der Gemütlichkeit, in Sicherheit, im Privileg.

Don Quijote (Thomas Nunner) und Sancho Panza (Maximilian Pulst) (Foto: Konrad Fersterer).

Maximilian Pulst verleiht Sancho Panza, der als typischer Comic Relief Charakter beginnt, im Verlauf des Stücks zunehmend an Tiefe. Er ist es, der Don Quijote zur Selbstreflexion zwingt, der die wichtigen Fragen stellt. Allen voran: Wer hat denn die Macht? Doch die Reichen und Gebildeten, die mit dem Kopf in den Wolken ihre Kämpfe auf den Rücken der “Kleinen” austragen. Anfangs noch voll dabei in Don Quijotes Spielen kehrt er in die Realität zurück, weil er merkt, dass Träumen nichts bringt – weder ihm selbst, noch seinem Herrn. Vom Träumen kann man nun mal nicht leben. Pulst, der die letzten zwei Spielzeiten am Burgtheater in Wien verbracht hat und ab September wieder das Ensemble in Nürnberg bereichert, beweist dabei mit vollem körperlichen Einsatz wieder seine große spielerische Bandbreite. Sein Versuch – und Scheitern -, als Sancho Panza eine ebenso monumentale Geschichte zu spinnen wie Don Quijote, ist ein großes Highlight. 

Zusammen sind Nunner und Pulst ein starkes Duo. Unter Kahnerts Regie gelingt es ihnen, den Bogen von hochfliegender Komik zu melancholischer Tragik zu schlagen. Mit letzterer verliert der Abend gegen Ende etwas an Spannung, was allerdings dadurch wettgemacht werden kann, dass die beiden Charaktere nicht als Symbole stehen bleiben. Sie haben eine sehr reale, menschliche Beziehung, die nun aber wie viele Dinge zu Ende gehen muss – das Kartenhaus fällt zusammen, begraben unter dem Amboss der Wirklichkeit.

Der tapfere Ritter und sein Comic-Relief-Sidekick? (Foto: Konrad Fersterer)

“Don Quijote” von Jakob Nolte nach Miguel de Cervantes

am Staatstheater Nürnberg

Regie: Janning Kahnert

Mitarbeit Bühne: Sabine Mäder

Kostüm: Anne Buffetrille, Lara Regula

Dramaturgie: Veronika Firmenich

Musik: Andrej Agranovski

Licht-Design: Norbert Böhringer, Nils Riefstahl

Besetzung: Thomas Nunner, Maximilian Pulst

Dauer: 90 Minuten, keine Pause.

Mehr Infos und Tickets gibt es hier.

von Svenja Plannerer

Beitragsbild/Bilder im Text: Staatstheater Nürnberg/Konrad Fersterer