Unsere Identität schlägt sich auch in unserem Chatverhalten nieder und unser Autor Martin dröselt auf amüsante Weise auf, wie das aussieht – inklusive Bildern!

© Martin Scherbakov

Unser Schreibstil auf WhatsApp, ich sage dazu gerne Chatverhalten, da heutzutage ja bei Weitem nicht immer nur geschrieben wird, scheint so einmalig zu sein wie unser Fingerabdruck. Ich glaube, es wäre nicht übertrieben, zu behaupten, dass unsere Chatgewohnheiten ein Stück weit ein Teil unserer Persönlichkeit, unserer Identität sind.

Für diesen Artikel habe ich mich nun gewagt, die unterschiedlichen Chattypen auf WhatsApp zu systematisieren. Dabei sollte schon vorab gesagt werden, dass es solche „Reinformen“, wie sie sich für mich herauskristallisiert haben, so gut wie nicht gibt, sondern immer nur Mischformen, bei manchen ist ein Typ stärker ausgeprägt, bei anderen ein nächster.

Ganz grob kann man uns alle in drei Gruppen aufteilen: Eine auditiv-orale, literale und pikturale. Was? Das klingt erst einmal wie Fachchinesisch? Ob das nicht an meinem Studium der Medienwissenschaft liegt? Jedenfalls erhebt meine persönliche „Studie“ keinen großen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.

Aber zurück zu den drei Fachtermini: Die auditiv-oralen Typen kommunizieren via Sprache und verinnerlichen diese durch ihr Gehörorgan. Einfacher ausgedrückt: Sie verschicken andauernd Sprachnachrichten. Für Medienwissenschaftler:innen stellen sie dabei ein ganz besonderes Phänomen dar, denn sie vollziehen eine Rückkehr zur mündlichen, also oralen Kultur, der Urform der Kommunikation. Denn geschichtlich gesehen wurde die Schrift erst viel später erfunden, danach der Buchdruck, so sprachen wir im Laufe der Zeit immer weniger und lasen und schrieben immer mehr.

Ein Nebeneffekt dieser Rückkehr zu prähistorischen Kommunikationsformen ist die sekundäre Analphabetisierung. Wozu die Rechtschreibung lernen und sich beim Lesen die Augen demolieren, wenn man doch einfach sprechen und sich das zur Antwort Gesprochene anhören kann? Zur Veranschaulichung der verschiedenen Chattypen erstellte ich Screenshots und erzählte dieselbe (fiktive) Geschichte in sieben unterschiedlichen Fassungen.

Typ Sprache und Typ Sprache

Unterhalten sich zwei Liebhaber:innen der gesprochenen Sprache über einen Messengerdienst, so kann man mithilfe eines Screenshots herzlich wenig über den Inhalt solcher Konversationen mitbekommen – denn der gesamte Chat besteht ausschließlich aus Sprachnachrichten.

Typ Sprache vs. Typ Text

Problematisch wird die Situation erst, wenn ein:e Verfechter:in der oralen Kultur auf eine:n Vertreter:in des literalen Chattyps trifft. Denn diese:r kennt keine Sprachnachrichten. Das geschriebene Wort ist für sie:ihn das höchste Gut. So wird die Kommunikation zu einem Kampf der Ideologien: Sprache vs. Text.

Typ Minimalist vs Typ Blockschreiber 

Aber selbst, wenn beide Personen aus demselben literalen Lager stammen, ist dies noch lange kein Garant für einen beidseitig zufriedenstellenden Austausch. Denn die textbasierte Gruppe ist am vielfältigsten unter den dreien. Besonders, wenn zwei Extremformen aneinandergeraten, kann es brenzlig werden. Ich nenne diese den:die Blockschreiber:in und den:die Minimalist:in.

Für Erstere:n ist WhatsApp nichts anderes als ein Brief, welchen man tippt und nicht handschriftlich schreibt. Geschrieben wird ausführlich, auf die deutsche Rechtschreibung und Interpunktion wird oft (penibel) geachtet.

Bekommt man daraufhin von der:dem Minimalist:in einen ganzen Satz als Antwort, kann man sich schon glücklich schätzen, denn in der Regel beschränkt sich dieser auf zwei bis drei Wörter, oder Abkürzungen wie LOL und OMG, die ein:e Minimalist:in liebt und ein:e Blockschreiber:in verabscheut (oder die Bedeutung dieser Abkürzungen nicht einmal kennt).

So eine Unterhaltung ist meist zum Scheitern verurteilt, da sich ein:e Minimalist:in auf Dauer nicht damit abquälen wird, die ellenlangen Texte eines:r Blockschreiber:in zu lesen, diese:r dagegen der Enttäuschung über die empfangenen Nachrichten kaum standhalten können wird.

Typ Vielschreiber vs Typ Kaskadenschreiber

Eine evolutionär weiterentwickelte Form der Blockschreiber:innen sind die Vielschreiber:innen, denn diese haben sich an die Gegebenheiten und Möglichkeiten von WhatsApp besser angepasst. Im Prinzip schreiben sie genauso viel wie die Blockschreiber:innen, bloß teilen sie diesen Block in einzelne Häppchen, ergo Nachrichten, auf. So können ihre Chatpartner:innen auf einzelne Punkte direkt antworten.

Die ganz raffinierten Vielschreiber:innen erstellen ihre Nachrichten sogar im Flugmodus, um sie ihrem Gegenüber alle auf einmal zukommen zu lassen. Problematisch wird die Situation, wenn ein:e Vielschreiber:in auf eine:n weitere:n Vertreter:in aus dem Lager der Schreibfaulen trifft, eine:n Kaskadenschreiber:in. Diese verschicken zwar ebenfalls viele Nachrichten, doch bestehen diese oft aus nur einem Wort, wie ein Wasserfall ergießen sie sich in den Chat.

Dies kann bei Vielschreiber:innen eine Überforderung auslösen, da man zehn Nachrichten, die man in eine hätte verpacken können, nicht unbedingt gut verarbeiten kann.

Typ Emoji und Typ Emoji

Nun kommen wir aber zu der dritten und letzten großen Übergruppe der Chattypen, zu den Liebhaber:innen des Pikturalen, also Bildlichen bzw. Bildhaften. Emojis stehen dabei noch an der Schwelle zum Literalen, da sie zwar keine mit Buchstaben geschriebene Sprache darstellen, sehr wohl aber eine Zeichensprache sind.

Obwohl sie immer seltener werden, gibt es sie noch, die Hardcore-Emojist:innen. Sie verweigern jeglichen Gebrauch von Sprache und drücken sich genialerweise ausschließlich über Emojis aus. Dabei können sie ganze Sätze aus einzelnen Emojis bilden, gar kleine Geschichten erzählen, Hauptsache, auch ihr Gegenüber ist dieser Emojissprache mächtig.

Typ GIF und Typ GIF

Doch werden in letzter Zeit die Emojis immer stärker von einer mächtigeren Art verdrängt, den GIFs. Ein GIF sagt mehr als tausend Worte – hieß das nicht so? Und so werden nunmehr keine Texte oder Emojis hin und hergeschickt, sondern diese kleinen Videoschnipsel, welche oft eine ihnen zugrundeliegende Nachricht bildlich übermitteln.

Typ Sticker und Typ Sticker

Doch auch die goldenen Jahre der GIFs neigen sich ihrer Dämmerung zu. Mal wieder ist eine neue Art in die WhatsApp-Weiten eingewandert: Die Sticker, und mit ihnen auch eine gewisse Stickermanie. Diese kleinen Bildchen werden nun direkt selbst produziert und verschickt, und können Stimmungen meisterhaft ausdrücken oder auch Witziges pointiert rüberbringen.

Wissenschaftler:innen sprechen in diesem Zusammenhang von einem iconic bzw. pictorial turn, also einer immer stärker zunehmenden Abwendung von der Schrift und einer Hinwendung zu Bildern und Videos, welche immer mehr unseren Alltag bestimmen.

Anders als ein Fingerabdruck können wir unser Chatverhalten jedoch künstlich manipulieren. So würde man eine Nachricht an eine:n Vorgesetzte:n sicherlich ganz anders verfassen, als eine Mitteilung an den Kumpel. Denn man macht sich, oft sogar unbewusst, ein Bild von einem Menschen nur anhand ihrer:seiner Chatgewohnheiten.

Daher sind vor allem die im Vorteil, die in mehreren Registern spielen können. Vom Vielschreiben über Sprachnachrichten bis hin zu GIF-Konversationen – sie fühlen sich überall wohl. In der Zukunft aber werden wohl die literalen Typen immer stärker von den oralen und pikturalen verdrängt. Wer weiß, vielleicht wird in 50 Jahren kein Mensch mehr Nachrichten tippen. Zumindest, wenn wir uns gegen eine immer stärkere Verdrängung des Schriftlichen aus unserem Alltag nicht wehren sollten.

 

von Martin Scherbakov

Screenshottexte: Martin Scherbakov und Henrik Hösch

Beitragsbild: Martin Scherbakov